Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

91 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Chormusik, wozu ich von Natur aus immer eine beson- dere Neigung gehabt habe, war die Anleitung meines Lehrers Hans Koessler umso mehr geeignet, als er selbst als Chorkomponist das Beste geleistet hat und mir dies- bezüglich gute Ratschläge geben konnte.13  . . . Nach dem Abschluss der technischen Studien, die Koessler sehr in- tensiv mit uns betrieben hat, standen wir vor der Wahl, entweder Brahms-Epigonen zu werden, oder aber einen eigenen Weg zu suchen. . . .».14 Kodály wählte den französischen Weg. Er studierte die Werke Debussys. Seine frühen Klavierwerke zeigen einen eindeutigen Einfluss des Franzosen. Koesslers prominentester Schüler war eine Leitfigur der Komponisten des 20. Jahrhunderts: Béla Bartók. Dem Beispiel seines Freunds Dohnányi folgend, kam er 1899 auch aus Pressburg nach Budapest, um zu studieren: Kom- position mit Koessler und Klavier mit Thomán. Seine ver- öffentlichten Briefe an seine Mutter schildern die Kompo- sitionsstunden bestens.15 Dazu habe ich noch seine sämtli- chen Aufgabe-Lösungen an der Musikakademie in Kopie. Es ist an der Zeit, diese kompositorischen Aufgaben mit denen des Rheinberger-Schülers Humperdinck, die ver- öffentlicht wurden, zu vergleichen und zu analysieren. Es sind viele ähnliche Aufgaben und Lösungen vorhanden. Kommen wir aber nun zurück zu den Briefen, aus denen ich folgende Ausschnitte zitieren 
möchte: «Budapest, 16. Juni, 1900: . . . Ich finde die Kompositionsprüfung nicht für ein grosses Ding. Wenn ich diese verflixte Fuge nicht machen kann, dann . . . Übrigens war Koessler mit meiner Arbeit zufrieden . . . »16 «Budapest, 27. April, 1901: . . . Ich habe eine Kadenz zum Beetho- ven G-Dur Klavierkonzert fabriziert, Koessler fand sie gut . . . »17 «Budapest, 5. Oktober, 1901: . . . Bei Koessler geht das Ding nicht so gut: ich habe wenig Zeit und kann kaum arbeiten. Ich weiss nicht, was daraus wird . . . »18 «Budapest, 16. Oktober, 1902: . . . Gestern brachte ich das Scherzo aus meiner Sinfonie. Er war damit zufrieden . . . »19 «Budapest, 17. Januar, 1903: . . . Nach der Stunde gingen wir un- ter Koesslers Leitung in den Grossen Saal und dort spielte ich das ‹Heldenleben› (von Richard Strauss). Er war erstaunt darüber, dass ich das Stück auswendig wusste . . . »20«Budapest, 
10. Februar, 1903: . . . Koessler gab merkwürdige Rat- schläge für meine Sinfonie. Ich werde sie wahrscheinlich nicht befolgen . . . »21 «Budapest, 15. Februar, 1903: . . . Gestern brachte ich Koessler meine Sonate für die linke Hand. Er war zufrieden und sagte, dass diese bis jetzt meine beste Komposition (?!) ist. Er hatte nichts zu kritisieren – nichts über die Form und auch nichts über den Inhalt . . . »22 «Budapest, 18. Juni, 1903: Gestern nahm ich Abschied von Koessler. Er wünscht sich mein Scherzo (für Klavier und Orches- ter, opus 2) nächstes Jahr beim Konzert der ehemaligen Schüler an der Akademie vorzuspielen. Er hat doch recht, ich schulde dies der Musikakademie. Er hat meine ‹Kossuth-Sinfonie› angehört und hat sie allgemein gut gefunden . . . »23 Béla Bartók schätzte Dohnányis Klavierkunst so hoch, dass er sich nicht scheute, in Gmunden bei ihm Klavier- stunden zu nehmen. Nach dem Studium folgte er zuerst dem Weg von Richard Strauss, dann fand er aber in Liszts Spätwerk die richtige Richtung für seine Weiterentwicklung. Mit sei- nem Freund Kodály studierte er Volksmusik. Sein Inter- esse – nicht wie Kodály – widmete er nicht nur der un- garischen, sondern auch der slowakischen, bulgarischen, rumänischen und türkischen Volksmusik. Ich habe nun ein leichtes Spiel mit dem letzten Rhein- berger’schen Enkelschüler, den ich ausgewählt habe: 12  Thies, Johann: Die Dohnányis. Eine Familienbiografie. Berlin, 2005, S. 29–30. 13  Kodály, Zoltán: Wege zur Musik. Ausgewählte Schriften und Re- den. Hrsg. von Ferenc Bónis. Budapest, 1983, S. 278–279. 14  Ebenda, S. 274. 15  Bartók Béla családi levelei (Béla Bartóks Familienbriefe) szerkesz- tette (zusammengestellt) von Béla Bartók Junior. Budapest, 1981. 16  Ebenda, Brief Nr. 30, S. 38. Diese und alle nachfolgenden Über- setzungen vom Ungarischen ins Deutsche stammen von István P. Korody. 17  Ebenda, Brief Nr. 34, S. 43. 18  Ebenda, Brief Nr. 39, S. 47. 19  Ebenda, Brief Nr. 67, S. 70. 20  Ebenda, Brief Nr. 80. S. 82. 21  Ebenda, Brief Nr. 85, S. 86. 22  Ebenda, Brief Nr. 86, S. 89. 23  Ebenda, Brief Nr. 104, S. 105.
	        

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