Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

81 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Eine Variante der Sage vom aus dem Himmel fallenden Stein wurde 1914 im Tirol veröffentlicht, unter dem Na- men «Die blauen Steine».4 Diese Sage berichtet unter an- derem über die himmlische Herkunft einiger Steine, die den Menschen Wohlstand brachten. Die Rede ist darin von dem sogenannten Donnerstein: «Der fällt, wenn es blitzt und donnert, aus der Luft . . . Vergeht die Zeit, ver- gehen sieben Jahr, da wachsen dann sieben solche Steine aus dem Boden heraus. Wer einen findet, dem fehlt dann nichts mehr, derselbige hat sein Glück schon gemacht. Trägt er den Stein bei sich, so besitzt er die Stärke eines Bären; lässt er ihn aber daheim, so kann kein Blitz das Haus treffen, kein Hagel seine Saaten, Unheil und Jam- mer bleiben ihm fern».5 Interessant ist die Tatsache, dass der oben zitierte Text von Hans-Friedrich Walser mit einer Zeichnung illustriert ist, auf welcher die Rückseite jener Goldmedaille6 dar- gestellt ist, die 1694 vom Augsburger Meister Philipp Heinrich Müller angefertigt wurde. Diese Goldmedaille erinnert an die Auszeichnung, die Fürst Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein im Jahr 1693 erhalten hat. Der Kaiser zeichnete damals den Fürsten mit dem Orden vom Goldenen Vliess aus. Die Rückseite der Medaille stellt einen «lichten Stein» im Meer dar. Über dem Stein strahlt ein Stern, dessen Strahlen in alle Richtungen gehen und teilweise das Wasser berühren. Das kann auf zwei Arten gedeutet werden: Einerseits zeigt dieses Bild die Mytho- logie des Vliesses selbst, das Fallen der Göttin Hella ins Meer, und andererseits wird die Symbolik des Vliesor- dens dargestellt. Diese Symbolik zeigt sich im Vorhanden- sein von goldenen Teilen, so in Form von Feuersteinen, die von Flammenzungen umgeben sind. Die Illustration zum Text von Hans-Friedrich Walser weicht von diesem Bild etwas ab: Anstelle des Sterns ist hier eine Krone zu sehen, der obere Teil des Wappens von Liechtenstein. Eine poetische Bearbeitung des Sujets vom lichten Stein schuf Johann Langer (1795–1858), ein Vertreter des Wiener Biedermeiers. Der Dichter erklärte die Geschichte der Steinentdeckung auf seine Weise. Das Pferd, unter dessen Huf der Stein aufblitzte, gehörte seiner Meinung nach einem Reiter aus der Horde «blutiger Marhonen».7 Bemerkenswert ist, dass der von den «wilden Räubern» geschädigte Bauer eher geneigt war, den Stein als ihren Besitz zu betrachten. Deswegen wollte er den Fund nicht behalten, sondern den Reitern (indes vergebens) zurück- geben. Der Bauer traf sodann einen Krämer, dem er den 
Stein gegen «ein trocken Stücklein Brot für Kind und Mutter» anbot. Der Bauer hatte den Stein lediglich als «Kinderspielwerk» betrachtet. Der Krämer spielt hier die Rolle des Wanderers, wie sie auch in den Märfassungen von Larese und Walser vorkommt. Der Krämer spricht dabei dieselbe Wahrsage aus: der Stein («ein Kleinod, einer Königskrone würdig») werde dem Bauer Glück bringen.8 Der Bauer wurde dabei mit Hugo von Liechtenstein gleich gesetzt. Diesem sei die Ehre zuteil geworden, auf diesem Stein ein Haus (lies: das fürstliche Haus, wie bei Larese und Walser) zu 
begründen: . . . So  wie es sonnig leuchtet, strahlt dir des Glückes Schein; ein Haus wirst du begründen auf diesem lichten Stein! Ein Haus, das Stürmen trotzet, das nimmermehr vergeht, so lang ein Stern des Ruhmes auf deutschem Himmel steht!» So sprach der wackre Krämer, und was er sprach, traf ein. Das ist – wie ich vernommen – die Mär vom lichten Stein.9 3  Liechtensteiner Sagen aus Berg und Tal. Hrsg. von Hans-Friedrich Walser. Schaan, 1948. Dritte Auflage: Schaan, 2004, S. 11–13. 4  Laurins Rosengarten. Sagen aus den Dolomiten. Hrsg. von Franz Sylvester Weber. Bozen, 1914. S. 87–98. 5  Diese Sage steht den englischen Sagen nahe, in welchen die Rede von der Herkunft der Steine im Tal von Salisbury ist: Blaue Stei- ne, von blauer Flamme umgeben, fallen in der Nacht mit Lärm aus dem Himmel und bringen Fruchtbarkeit. Quelle: http://www. ldbp.ru/text/izdan/taini.htm, abgerufen am 2. Februar 2010. 6  Diese Medaille befindet sich im Liechtensteinischen Landesmuse- um in Vaduz. 7  Der Begriff «Marhonen» kann sowohl auf den Volksstamm der Awaren als auch auf die Markgrafschaft Mähren hinweisen. 8  Es sei bemerkt, dass auch andere Märfassungen, und zwar die von Larese und Walser, auf den engen Zusammenhang des Edel- steins mit einer Krone als Machtsymbol verweisen. 9  Liechtenstein im Liede. Aus Anlass des fünfzigjährigen Regie- rungs-Jubiläums Seiner Durchlaucht des Fürsten Johann II. von Liechtenstein. Hrsg. von Franz Kraetzl. Brünn, 1908, S. 16–19; Jens Dittmar: Mit dem Willen zur Tradition. Eine kleine Litera- turgeschichte anhand der Lyrik aus Liechtenstein. In: Lyrik aus Liechtenstein. Hrsg. von Jens Dittmar. Schaan, 2005, S. 28–29.
	        

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