Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

55 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Stigmatisierung der Tobelhocker bildete ein zweckrati- onales Mittel in einem überaus schweren gesellschaft- lichen Zerwürfnis im Gefolge der Verbrennung von mehreren Dutzend Personen im Rahmen einer Hexen- prozesserie, die zusammen mit den Salzburger Zaube- rer-Jackl-Prozessen immerhin zu den letzten grossen Hexenverfolgungen im deutschsprachigen Raum zählt.21 In der Grafschaft Vaduz kam es dabei auch insofern zu einer Besonderheit, als es einer Gruppe von verzwei- felten Untertanen über Interventionen beim kaiserlichen Hof in Wien gelang, ein Moratorium sowie eine juris- tische Überprüfung der Hexenprozesse von höchster Stelle zu erwirken. Nach längeren Untersuchungen wur- den schliesslich sämtliche Urteile für unrechtmässig er- kannt und durch ein Reskript des Reichshofrats als ei- nem der beiden höchsten Reichsgerichte – allerdings nur implizit – aufgehoben wurden. Das Vaduzer Gericht hatte daraufhin alle Konfiskationen zurückzuerstatten und die Ehre der Angeklagten oder Verurteilten samt jener ihrer Familien wiederherzustellen. Diese Forde- rungen erwiesen sich jedoch als überaus schwierig, da das Gericht die meisten eingezogenen Güter mittlerweile verkauft hatte, um die hohe öffentliche Verschuldung zu verringern. Darüber hinaus liess die Entscheidung des Reichshofrats offen, ob die der Hexerei Angeklagten tatsächlich als unschuldig zu gelten hatten oder ob nur die Prozesse unrechtmässig geführt worden waren. Von Letzterem ging ein grosser Teil der Bevölkerung aus, der sich die Fortsetzung der gerichtlichen Hexenverfolgun- gen erwartete, um von den vermeintlichen Hauptverur- sachern ihrer drückenden Nöte befreit zu werden. Schon vor diesen heiklen Entscheidungen war übri- gens der durch wilde Eskapaden berüchtigte und psy- chisch schwer angeschlagene Landesherr der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, Graf Ferdinand Karl von Hohenems, auf kaiserliche Veranlassung hin durch den Fürstabt von Kempten, der man kommissa- risch mit der Verwaltung der Territorien betraut hatte, gefangen ins Allgäu gebracht worden, wo er einige Zeit später jung verstarb. Aus einer Vielzahl von nicht gelösten alten und nun- mehr noch zusätzlich erzeugten neuen Problemen hatte sich eine sozial explosive Lage entwickelt. Im Frühjahr 1685 stand das Land knapp vor einem «Bürgerkrieg», so dass der Obersthauptmann der benachbarten öster- reichischen Herrschaften vor dem Arlberg vorsorglich 
einen Landmilizhauptmann geheim die Lage sondieren liess. Letztlich gelang es den kaiserlichen Subkommissä- ren aber doch, das Ärgste zu verhindern. Sie liessen zwar die Ehre der Verfolgten per Dekret wiederherstellen, den finanziellen Ruin und die gesellschaftliche Spaltung vermochten sie aber nicht zu verhindern beziehungs- weise aufzuheben.22 «Hexenverfolgungen» unter geänderten  Vorzeichen Das aus Wien verordnete Ende der Vaduzer Hexenpro- zesse bewirkte beim Grossteil der Bevölkerung beileibe keine weltanschauliche Neuorientierung. So scherte man sich in der Gemeinde Schaan nicht einmal darum, dass der mehrere Jahre lang als Zauberpriester inhaftierte Ka- plan Gerold Hartmann durch die päpstliche Inquisition freigesprochen worden war. Da ihm die Rückkehr auf seine frühere Stelle verwehrt blieb, wanderte er schliess- lich ins Schwäbische aus.23 Im nördlichen Landesteil fand man Wege, weiterhin wenigstens symbolische Hexenverfolgungen durchzu- führen. Diese erfolgten in Form ritueller Verfluchungen eines gewissen Uli Mariss bei Bittgängen und Prozessi- onen zur Erlangung guter Witterung. Dessen angeblicher Verrat soll 1499 zum verlustreichsten militärischen Ereig- 17  Johann Baptist Büchel: Geschichte der Pfarrei Triesen. In: Jahr- buch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (fortan: JBL), Bd. 2 (1902), S. 3–296, hier S. 68. 18  Bühlerblut. Die Nachfahren des Johann Evangelist Bühler. Fest- schrift zum 70. Geburtstag von Ernst Bühler. Red. Robert Allgäu- er. Mauren, 1989, S. 20. 19 Seger, Sagen (wie Anm. 12), Nr. 60, S. 44. 20  Vgl. Michael Schröter: Denunziation in den Hexenverfolgungen des 16./17. Jahrhunderts. In: Der willkommene Verrat. Beiträge zur Denunziationsforschung. Hrsg. von demselben. Weilerswist, 2007, S. 81–114, hier S. 113–114. 21  Vgl. Manfred Tschaikner: «Der Teufel und die Hexen müssen aus dem Land . . .» Frühneuzeitliche Hexenverfolgungen in Liech- tenstein. Vaduz, 1998. Auch in: JBL Bd. 96 (1998), S. 1–197, hier S. 123. 22  Manfred Tschaikner: Hohenemser Schreckensherrschaft in Va- duz und Schellenberg? – Graf Ferdinand Karl von Hohenems und die Hexenprozesse (1675–1685). In: Montfort 64/2 (2012), S. 87–99, hier S. 89–96. 23  Vgl. Franz Näscher: Hartmann, Gerold. In: HLFL. Bd. 1. Vaduz, Zürich, 2013, S. 335; Tschaikner, Kreuz (wie Anm. 6), S. 275.
	        

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