Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

43 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Um den Bauholzbedarf so niedrig wie möglich zu halten, war es üblich, Holz von abgerissenen Gebäuden wieder- zuverwenden oder Bauten bei einem Wegzug zu zerle- gen und am neuen Standort wieder aufzubauen. Holz- häuser – namentlich Wirtschaftsbauten wie alleinste- hende Ställe – galten vielerorts bis weit ins Spätmittelal- ter als «Fahrhabe», das heisst als bewegliches Gut. Dieses gehörte oft nicht der Herrschaft, sondern den Bauern.41 Bauernfamilien, die umzogen, konnten solche Bauten zerlegen und am neuen Standort wieder aufbauen. Ein erhalten gebliebenes Beispiel aus Liechtenstein für ein solches Bauernhaus, das mehrfach transloziert wurde, ist das Biedermann-Haus in Schellenberg.42 Die Möglichkeit des Transfers von Wirtschaftsbauten beim Wegzug von Bauernfamilien ist in den Ostschwei- zer Quellenbeständen gut dokumentiert. Hier ein Bei- spiel: 1453 verlieh das Kloster Magdenau bei Flawil im Kanton St. Gallen einem Ueli Schnätzer sowie dessen Frau und ihren leiblichen Kindern einen Hof mit einem Speicher und einem Stadel. Unter dem Speicher und Sta- del kann man sich separat stehende Nebenbauten vor- stellen, die Schnätzer in eigener Initiative, eventuell un- terstützt vom Kloster Magdenau, baute. Darüber konnte er als Eigentümer frei verfügen, denn im Lehenseintrag heisst es, «wen er nitt me da wil sin, so mag er den Stadel und Spicher an weg fueren».43 Zwischen Konflikten und Solidaritäten Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich das Leben der Menschen in einem weiten Spannungsfeld zwischen Konflikt, Konsens und Solidarität bewegte.44 Deutlich wird dies in der Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlagen; der Druck auf die in der Nähe vor- handenen Ressourcen war gross. Allein schon aufgrund der beschränkten Möglichkeit des weiten Transports von verderblichen Waren musste ein grosser Teil der Grund- versorgung aus der lokalen und regionalen Landwirtschaft sichergestellt werden. Diese grosse Bedeutung der Land- wirtschaft erklärt unter anderem den hohen Anteil von wirtschaftlichen Bestimmungen in den so genannten Off- nungen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um schriftliche Fixierungen der Rechtsver- hältnisse in den Niedergerichten, die an Gerichtstagen der Bevölkerung «eröffnet», das heisst verlesen werden sollten. 
35  Bei Dörfern im Getreidegebiet, wo die Dreizelgenbrachwirtschaft verbreitet war, lassen Luftaufnahmen die Trennung der drei Be- reiche Wohnen, Ackerfluren, Weide/Waldweide noch heute er- kennen. Siehe das Beispiel Affoltern am Albis (ZH): Stromer, Markus: Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse auf dem Land 1100–1350. In: Geschichte des Kantons Zürich. Band 1. Frühzeit bis Spätmittelalter. Hrsg. Niklaus Flüeler und Marianne Flüeler- Grauwiler. Zürich, 1995, S. 269–297, hier S. 275. – Menolfi, Ernst: Bürglen. Geschichte eines thurgauischen Dorfes vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zürich, 1996, S. 141. Eine schematische Dar- stellung ist zu finden in: Sablonier, Roger: Fällanden. Wirtschaft und soziales Leben eines Dorfes um 1800. Zürich, 1986, S. 11. 36  Weitere Beispiele für Konflikte zwischen Gemeinden um Wei- de- und Holznutzungsrechte: Am 28. Juni 1425 entschieden Hans Vaistli von Vaduz, Heinzelmann von Schiers, Ammann zu Vaduz, und Ulrich Ammann, Ammann am Eschnerberg die Nutzungs- streitigkeiten zwischen den Gemeinden Mauren einerseits und Eschen und Bendern andererseits. Am 7. August 1497 entschied ein Schiedsgericht unter dem Vorsitz von Ludwig von Brandis durch Festlegung des Grenzverlaufs die Nutzungs- und Weidekon- flikte zwischen den Nachbarschaften Ruggell und Schellenberg. 37  Sonderegger, Stefan: Landwirtschaftliche Entwicklung in der spätmittelalterlichen Nordostschweiz. Eine Untersuchung ausge- hend von den wirtschaftlichen Aktivitäten des Heiliggeist-Spitals St. Gallen. St. Gallen, 1994 (St. Galler Kultur und Geschichte. Bd. 22), S. 321–323. 38  Malanima, Paolo: Uomini, risorse, tecniche nell’economia europea dal 10 al 19 secolo. Mondadori, 2003 (Economica. Bd. 121), S. 45. 39  Gmür, Max: Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen. Erster Teil: Offnungen und Hofrechte. Zweiter Band: Toggenburg. Aarau, 1906 (SSRQ SG 1/2/4.2), S. 316–320. 40  Hess, Michael: Wald- und Holznutzung im Mittelalter. In: Vaduz und Schellenberg im Mittelalter. Hrsg. Arthur Brunhart. Zürich, 1999 (Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge. Bd. 1), S. 321. 41  Meyer, Werner: Hirsebrei und Hellebarde. Auf den Spuren des mittelalterlichen Lebens in der Schweiz. Zürich, 1987, S. 86. Noch nach heutigem Recht können Hütten, Buden, Baracken u. dgl. als Fahrnisbauten gelten und gehören ihrem besonderen Eigen- tümer. Artikel 677 im ZGB hält fest: «Hütten, Buden, Baracken u. dgl. behalten, wenn sie ohne Absicht bleibender Verbindung auf fremdem Boden aufgerichtet sind, ihren besonderen Eigentü- mer.» Vgl. dazu Clavadetscher, Otto P.: Kontinuität und Wandel im Recht und in den Lebensverhältnissen (nach St.Galler Quellen des 14. Jahrhunderts). In: Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen 132 (1992), S. 7–28, hier S. 22–23. 42  Burgmeier, Markus: Biedermann-Haus. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein. Hrsg. Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein. Bd. 1. Vaduz, Zürich, 2013, S. 98. 43  Archiv des Zisterzienserinnenklosters Magdenau, Bd. XLI, fol. 31r. Siehe auch Sonderegger, Stefan: Bauernfamilien und ihre Landwirtschaft im Spätmittelalter. Beispiele aus Untersuchungen zur ländlichen Gesellschaft der Nordschweiz. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 60 (2012), H. 2, S. 35–57, hier S. 44–46. 44  Sablonier, Roger: Regionale ländliche Gesellschaft im mittelalter- lichen Liechtenstein: eine Ideenskizze. In: Vaduz und Schellen- berg im Mittelalter. Hrsg. Arthur Brunhart. Zürich, 1999 (Baustei- ne zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge. Bd. 1), S. 25.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.