Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

110 Kamber Peter: Fritz Rotters Jahre in Frankreich und sein Tod am 7. Oktober 1939 im elsässischen Colmar 
dank der Hilfestellung des Zürcher Anwalts Wladimir Rosenbaum, der danach am Vaduzer Prozess auch die Zivilklage vertrat. Dessen Frau, die Schriftstellerin Aline Valangin, hielt in einem unveröffentlichten Manuskript aus dem Nachlass («Interview mit mir selbst»)11 fest, es sei bestimmt worden, dass «Dr. L.» den «R.» [Fritz Rotter] in Liechtenstein «holen und durch die ganze Schweiz nach Genf fahren würde.» Hinter der Abkürzung Dr. L. verbarg sich Dr. Erich Lewinsky (geboren am 1. Januar 1899) – Rechtsanwalt in Kassel und Mitglied des Inter- nationalen Sozialistischen Kampfbundes ISK.12 Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte er nach Zürich. Aline Valangin hielt zudem das Folgende 
fest: «Rechtsanwalt Dr. L. aus Kassel war mit seiner Frau und einem noch jungen Sohn . . . , damals in letzter Minute, in Zü- rich eingetroffen, in der Absicht, sich später nach Paris ab- zuzsetzen. Bis dahin sass er in einer kleinen Stube in unserem Haus und bereitete für Ro [Wladimir Rosenbaum] Prozesse vor. . . . Nun galt es also, einen der Brüder R. . . . in die Schweiz 
zu schaffen, um ihn von da aus weiter nach Paris zu verschi- cken. Keine ganz leichte Aufgabe.»13 Erich Lewinsky holte Fritz Rotter in Vaduz ab, während Aline Valangin mit dem zweiten Wagen am anderen Ufer des Genfersees «an einem kleinen Ort zu warten» 
hatte: «Am selben Morgen bestiegen die beiden Herren in Genf ein sonntägliches Aussflugsschiff, das an der kleinen Ort- schaft, die mir angegeben worden war, anhalten sollte. Ich war bereit. Herr R. verliess das Schiff, kam ruhig über die Strasse und stieg in meinen Wagen ein. Alles ging ohne jede Störung.»14 Rechtsanwalt Lewinsky emigrierte einige Zeit später ebenfalls nach Frankreich. Seine Frau Herta Lewins- ky-Voremberg (geboren 1897) hatte, Aline Valangin zufolge, in Zürich «im Institut Bircher-Benner, berühmt durch seine Diät-Küche (das Müesli), einen Diatkurs» absolviert, «den sie später in Paris, in einem grossen Re- staurant mit vielen Angestellten, verwerten konnte».15 «Beide waren ernste, sozial bewusste Menschen.»16 Das Restaurant der Lewinskys befand sich seit 1934 «auf dem Boulevard-Poissonnière» und war «eine vege- tarische Gaststätte», «die sich bald eines regen Zuspruchs erfreute», wie es in einer Studie über die Geschichte der «Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes» ISK heisst, dem die Lewinskys wie gesagt angehörten. «Der Reinertrag diente der Finanzierung der ISK-Arbeit».17 Später, ab 1940, organisierte Erich Lewinsky in Marseille «die Ausreise von gefährdeten Emigranten nach den USA», in engem Kontakt mit dem bekannten US-amerikanischen Flüchtlingsretter Varian Fry (dem die Schriftstellerin Eveline Hasler 2013 den Roman «Mit dem letzten Schiff» widmete).18 Theoretisch hätte also der in Frankreich gestrandete Fritz Rotter über beste An- knüpfungspunkte verfügt. Möglicherweise traf er Erich Lewinsky auf dem Pariser Boulevard Poissonnière wie- der – hätte dort in Notzeiten vermutlich sicher auch es- sen können. Aline Valangin brachte ihn zu einem Kreis engagier- ter Antifaschisten, die aber wenig mit ihm anzufangen wussten. Fritz Rotter hatte – das fiel schon Aline Valan- gin während der Reise auf – andere Neigungen. «Nun, ein Berliner, aus gewissen Kreisen, man soll nicht urtei- len», schreibt sie. Die Frau, die ihn in Paris aufgenom- men hatte, empfing Aline Valangin am folgenden Mor- gen «mit entsetzt erhobenen Armen» – Fritz Rotter sei 
Richard Tauber, Alfred Rotter und Gertrud Rotter (von links).
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.