Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

75 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112, 201316 
 Ausführlich und mit Teilweise unterschiedlichen Resultaten un- tersuchten Ariès, Tod; Gurjewitsch, Persönlichkeit und dann vor allem Le Goff, Geburt die historische Entwicklung der christli- chen Jenseitsvorstellungen. Zusammenfassend vgl. auch Jezler, Jenseitsmodelle. 17 So die ‹Einheitsübersetzung›. Die ‹Lutherbibel› übersetzt: Hölle. 18 Vgl. dazu die Erklärungen bei Le Goff, Geburt. 19 Gurjewitsch, Darstellung, S. 89. 20 Zitiert nach Wegmann, Weg, S. 154. 21  Die Konstitution Benedictus Deus von Papst Benedikt XII. aus dem Jahr 1336 setzt die Unterscheidung bereits stillschweigend vor- aus. Vgl. Jezler, Jenseitsmodelle, S. 18. 22 Vgl. dazu Le Goff, Geburt, S. 90–100. – Wegmann, Weg, S. 7–10. 23  In Enchiridion 29, 109 spricht Augustinus von «verborgenen Auf- enthaltsorten». 24  Augustinus, Enchiridion 29, 110. – Deutsches Zitat nach Hendrix, Totenoffizium, S. 
70. 
Zeit zwischen dem individuellen Tod und dem jüngsten Gericht. Andererseits erörterte er die Frage, welche Le- bensweise zur Verdammung führte und wer «wie durch Feuer hindurch» gerettet werden könne. Eine eigentliche ‹Theorie des Fegefeuers› entwickelte Augustinus aller- dings nicht, er blieb in vielen Punkten unklar. Augu- stinus interessierte sich nicht so sehr für die Frage, wo genau sich die läuterungsbedürftigen Seelen nach dem Tod befanden,23 als vielmehr dafür, ob und wie die Le- benden den Verstorbenen helfen und welche Seelen von der Hilfe der Lebenden überhaupt profitieren konnten. Seine Erörterungen erhielten für das mittelalterliche To- tengedenken entscheidende 
Bedeutung:24 «Dabei darf nicht in Abrede gestellt werden, dass die Seelen der Verstorbenen dank der Frömmigkeit ihrer noch lebenden Angehörigen Erleichterung finden, wenn für sie das Opfer des Mittlers dargebracht oder Almosen in der Kirche gespendet wer- den. Aber nur solche haben davon Nutzen, die es während ihres Lebens verdient haben, dass es ihnen später einmal nutzen kann. Es gibt nämlich eine Art zu leben, die nicht so gut ist, dass sie eine solche Hilfe nach dem Tode nicht brauchte, die aber doch auch nicht so schlecht ist, dass eine solche Hilfe nach dem Tode nicht mehr helfen könnte ... Wird also das Opfer des Altares oder ir- gendeines Almosens für alle verstorbenen Getauften dargebracht, so bedeutet es für die sehr guten Christen ein Dankopfer, für die nicht gerade sehr schlechten ein Sühneopfer, für die sehr schlech- ten allerdings kein Hilfsmittel für die Toten, aber immerhin einen gewissen Trost für die Lebendigen.» 
Bei Matthäus begegnet uns also das Gericht am Ende der Zeit, bei Lukas am Ende des individuellen Lebens. Zur der Zeit, als die Evangelien geschrieben wurden, wurde diese Diskrepanz möglicherweise noch nicht empfun- den, denn für die ersten Christen schien das Weltende ohnehin unmittelbar bevorzustehen.19 Im Mittelalter sa- hen sich die Theologen jedoch gezwungen, die zeitlich immer weiter auseinanderdriftenden Gerichtstermine in ein stimmiges System einzuordnen. Thomas von Aquin (um 1225–1274) nahm sich des Problems in der 88. Frage seiner 
Summa Theologiae an. Da jeder Mensch sowohl als Einzelperson als auch als Teil des ganzen Menschenge- schlechts anzusehen sei, gebühre ihm auch ein doppeltes Gericht, so argumentierte Thomas. Das Einzelgericht, das unmittelbar nach dem Tod stattfinde, gelte dabei nicht dem Leib, sondern nur der Seele. Das zweite, Letzte Gericht dagegen werde nach der Auferstehung des Flei- sches über die Person als Teil des ganzen Menschenge- schlechts gehalten. In ihm werde die Strafe vervollstän- digt, «denn nach diesem werden die Gottlosen an Leib und Seele zugleich gepeinigt».20 
Diese Unterscheidung zwischen Individual- und Endgericht setzte sich durch,21 und wir dürfen sie auch im spätmittelalterlichen Eschen als in ihren Grundzügen bekannt voraussetzen. Auch die zweite Schwierigkeit, die das Matthäusevan- gelium den Menschen bereitet hatte, war im 15. Jahrhun- dert, als Pfarrer Kaspar Ammann das Eschner Jahrzeit- buch anlegte, gelöst. Auch die grauen Schafe hatten im Jenseits einen Platz zugewiesen erhalten: das Fegefeuer. Als wichtigster biblischer Hinweis für die Existenz eines ‹reinigenden Feuers›, in dem die nicht ganz vollkom- menen Seelen geläutert und auf diese Weise doch noch gerettet werden konnten, galt eine schwierige Passage aus dem 1. Korintherbrief (3,13–15). Der Apostel Paulus schrieb dort: «Das Werk eines jeden wird offenbar werden; jener Tag wird es sichtbar machen, weil es im Feuer offenbart wird. Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.» Augustinus beschäftigte sich in seinem Werk wiederholt mit diesem Pauluszitat.22 
Im 26. Kapitel des XXI. Buches De civitate Dei hielt er beispielsweise den Zeitpunkt fest, in dem das ‹Reinigungsfeuer› wirkte, nämlich in der Kapitel_2_Kuratli.indd   7511.06.13   15:44
	        

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