Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

175 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112, 
2013Rahmen 
der Benutzung von italienischen Saisonniers als konjunkturelle Manövriermasse 1970 die Richtlinie eines maximalen Ausländeranteils an der Wohnbevölkerung von 33 Prozent festgelegt. Auch die Diskussion um die erleichterte Einbürgerung alteingesessener Ausländer hat ihre Wurzeln in dieser Zeit. Martina Sochin D’Elia erkennt im liechtensteinischen Verständnis der Natura- lisation interessanterweise ein Belohnungsmittel, das mit der Ausländergesetzgebung von 2008 nichts an Aktuali- tät verloren hat: Die Aufnahme ins Bürgerrecht wird von den Behörden als Belohnung für die erfolgreiche Einglie- derung in die Gesellschaft angesehen. In diesem Kontext scheint insbesondere die Festlegung der notwendigen Aufenthaltsdauer auf im europäischen Vergleich lange 30 Jahre als fragwürdig. Das Bürgerrecht scheint dabei in Liechtenstein immer noch als ein exklusives Merk- mal der Identität zu dienen. So bedurfte es selbst bei den mit offenen Armen aufgenommenen indochinesischen Flüchtlingen mehrerer Anläufe, bis das Stimmvolk diese ins Bürgerrecht aufnahm. Dies zeigt sich konsistent mit den Ergebnissen einer 2006 durch Wilfried Marxer durchgeführten Studie zur nationalen Identität Liechten- steins: Dort wird die Staatsangehörigkeit zwar als we- sentlicher Bestandteil der persönlichen Identität verortet, rangiert jedoch bezüglich des «Liechtensteiner-Seins» deutlich hinter den sprachlichen Kenntnissen und der Wertschätzung liechtensteinischer Institutionen. Weitere Aspekte der Nachkriegsgeschichte Liech- tensteins bezüglich dem Umgang mit Fremden werden in der Dissertation zwar angesprochen, jedoch aus for- schungspragmatischen Gründen leider nicht ausführ- licher behandelt. So bleibt etwa die Sicht der Fremden komplett aussen vor. Hierbei handelt es sich um einen Aspekt, der das Bild des Umgangs mit den Fremden um wesentliche Fragmente ergänzen, wenn nicht sogar prä- gen könnte. Allerdings hätte dies wohl den Rahmen der Untersuchung gesprengt – weitere Studien diesbezüg- lich sind nach Martina Sochin D’Elia aufgrund der guten Quellenbasis jedoch denkbar. Ein weiterer Aspekt, der lediglich angeschnitten wird, ist in der Arbeitsmigration verortet. Während sich die Autorin auf den Umgang mit italienischen Saisonniers beschränkt, dürfte diesbezüg- lich auch der Umgang mit den aufgrund der grösseren kulturellen Distanz als weniger leicht assimilierbar wahrgenommenen Saisonniers aus Ex-Jugoslawien be- ziehungsweise der Türkei für ein Gesamtbild sehr auf- 
So wurden von Behördenseite Flüchtlingskontingente genehmigt, wenn in der Bevölkerung eine hohe Emoti- onalität gegeben war wie dies etwa bei den als freiheits- kämpferische Helden aus dem Volk stereotypisierten Ungarn der Fall war. Diese Wahrnehmung deckte sich zwar zumeist mit der behördlichen Sicht, jedoch konnte auch bei differenzierenden Ansichten die Bevölkerung ihren Standpunkt durchsetzen, beispielsweise bei der gerichtlich erkämpften Aufnahme von tibetischen Asyl- suchenden in den 1990er-Jahren. Entsprechend dieser behördlichen Wahrnehmungsmuster wurde insbeson- dere Flüchtlingen, die nicht im Rahmen der offiziellen Kontingente nach Liechtenstein gelangten, mit einer ab- weisenden Haltung begegnet. Diese Handlungsmuster könnten auch für die 2009 aufkeimende Diskussion um die somalischen und eritreischen Asylsuchenden vermu- tet werden. Martina Sochin D’Elia behält diesen Fall der afrikanischen Migranten jedoch aufgrund des 2011 noch nicht abgeschlossenen Prozesses aussen 
vor. Weitreichende politische Entscheidungen Nüchtern und sachlich führt die Autorin durch die Nachkriegsgeschichte Liechtensteins als Aufnahmege- sellschaft von Migranten. Dabei treten interessante Er- kenntnisse bezüglich der Generierung von Trennlinien zwischen der Wahrnehmung als «eigen» und «fremd» zutage. Die zu erwartenden Faktoren der religiösen und sprachlichen, sprich der kulturellen Prägung des Her- kunftslandes standen dabei nicht immer im Mittelpunkt der Debatte. So galt erstaunlicherweise – und aus heu- tiger Sicht kaum nachvollziehbar – etwa bei der Frage der Ausbürgerung von Liechtensteiner Frauen, die einen Ausländer heirateten, die Staatsbürgerschaft als wesent- liches Kriterium zur Verortung als Fremde. Dies führte bis hin zu abstrusen Situationen, dass vormals liechten- steinische Frauen ihr Heimatland verlassen mussten, wollten sie den Wohnort mit ihrer Familie teilen oder dass eine liechtensteinische Frau durch Heirat staatenlos wurde – ohne ihr Wissen. Diese bürgerrechtliche Ungleichbehandlung der Ge- schlechter wurde mittlerweile zwar aufgehoben. Jedoch existierten ähnliche Ungleichheiten auch bezüglich an- deren Bevölkerungsgruppen, wo sie teilweise auch heute noch Auswirkungen haben. So wurde beispielsweise im Kapitel_7_Rezensionen.indd   17511.06.13   15:49
	        

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