Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

169 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112, 
2013ten 
die Gemeinden bis ins zweite Drittel des 19. Jahrhun- derts äusserst zurückhaltend, was die Einbürgerungen anbelangte. Wer sich in einer Gemeinde einbürgern las- sen wollte, musste dafür ein sogenanntes Einkaufsgeld bezahlen, dessen Höhe von Gemeinde zu Gemeinde va- riieren konnte. Insofern sah die Bürgerrechtsreform von 1864 einige Verbesserungen für bis dahin benachteiligte Personen, wie beispielsweise die sogenannten Hintersassen, vor. Ein Hintersasse war eine Person, die zwar in einer Ge- meinde als heimatberechtigt galt, jedoch nicht über die jeweiligen Nutzungsrechte verfügten. Wie Klaus Bieder- mann beschreibt, wurde der Status der Hintersassen 1864 offiziell abgeschafft. Hintersassen erhielten 1864 automa- tisch das Gemeindebürgerrecht derjenigen Gemeinde, in der sie heimatberechtigt waren. Allerdings taten sich die Gemeinden schwer damit, die ehemaligen Hinter- sassen auch als vollberechtigte Gemeindebürger anzu- erkennen und ihnen die Nutzungsrechte zuzugestehen. Sie verlangten von diesen teils überhöhte Einkaufstaxen und versuchten damit, die Aufnahme neuer nutzungsbe- rechtigter Bürger möglichst zu verhindern. Dies führte, so Klaus Biedermann, unweigerlich zu Auseinanderset- zungen zwischen den Gemeinden und der Regierung, die als Aufsichtsbehörde überhöhte Taxforderungen der Gemeinden herabsetzen konnte. Oder wie Klaus Bie- dermanns schreibt: «Die Gemeinden waren von einer konservativen, auf Besitzstandwahrung ihrer eingeses- senen Bürgerfamilien bedachten Politik bestimmt. Die Landesbehörden zeigten sich zumeist fortschrittlicher und zugleich sozialer als einzelne Gemeindebehörden des Fürstentums.» (S. 147) Auch anhand der sogenannten Brauteinkaufstaxe, die ein Mann bei der Heirat für seine Frau – die Höhe dieser Taxe war je nachdem abhängig davon, ob die Frau aus einer anderen Gemeinde Liech- tensteins oder aus dem Ausland kam – bezahlen musste, kann Klaus Biedermann die dem Gemeindebürgerrecht inhärenten ausschliessenden und konservativen Merk- male, die, wie er schreibt, sich «im Grundsatz bis heute erhalten haben» (S. 290), festmachen. Klaus Biedermann unterlegt mit zahlreichen Fallbei- spielen von eingebürgerten oder eben nicht eingebür- gerten Personen und Familien das spannungsreiche Ver- hältnis, in dem sich das liechtensteinische Bürgerrecht im 19. Jahrhundert entwickelte. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass auch die schwierige Situation von allein- 
zeitig überblicksartige Darstellung. Mit dem Abschluss des ‹Einbürgerungsprojekts› des Historischen Vereins konnte dieses Desiderat in der liechtensteinischen Ge- schichtsforschung nun beseitigt werden. Die insgesamt vier Bände behandeln jeweils eigene Themenbereiche beziehungsweise Zeitepochen, sind aber dennoch sowohl chronologisch als auch inhaltlich aufeinander abgestimmt. Gerade anhand der in den Ein- leitungen aufgeführten Erklärungen zu den in den ein- zelnen Studien verwendeten Begrifflichkeiten wie bei- spielsweise «Landesbürgerrecht», «Staatsbürgerrecht», «Gemeindebürgerrecht», «Finanzeinbürgerung», «Assi- milation» oder auch «Hintersasse» und «Einkaufstaxe» wird deutlich, wie eng die Autorinnen und Autoren der einzelnen Studien miteinander gearbeitet und ihre Texte aufeinander abgestimmt haben. Die erste Teilstudie befasst sich mit den Einbürgerungen in Liechtenstein vom frühen 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 
Klaus Biedermann konzen- triert sich dabei auf das Verhältnis zwischen dem sich modernisierenden Staat und den noch in vormodernen Traditionen stehenden Gemeinden, das sich gerade in Einbürgerungsfragen besonders spannungsreich gestal- tete. Die Konflikte, die sich zwischen Staat und Gemein- den im 19. Jahrhundert anhand von Bürgerrechtsfragen teilweise ergaben, gründen darin, dass sich das Staats- und das Gemeindebürgerrecht in Liechtenstein aus zwei unterschiedlichen Rechtsformen entwickelt haben. Erst die Bürgerrechtsreform von 1864 knüpfte die beiden Bürgerrechtsformen aneinander, ab 1864 musste jeder liechtensteinische Staatsbürger damit auch zwingend Bürger einer Gemeinde sein. Klaus Biedermann bezeich- net das Jahr 1864 demzufolge als «Schlüsseljahr für die liechtensteinische Bürgerrechtsgeschichte des 19. Jahr- hunderts» (S. 290). Staat und Gemeinden standen sich mit ihrer jewei- ligen Auffassung von Bürgerrecht ab 1864 als Partner und zugleich als Kontrahenten gegenüber. Während zu- vor die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (1812) vorgesehen hatten, dass Personen, die seit zehn Jahren oder mehr in Liechtenstein lebten automatisch Staatsbürger wurden, war dies auf Gemein- deebene restriktiver geregelt gewesen. Aufgrund der dorfgenossenschaftlichen Nutzungsrechte, die eine Per- son bei Erhalt des Gemeindebürgerrechts erhielt, agier- Kapitel_7_Rezensionen.indd   16911.06.13   15:49
	        

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