Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

50Schindling Anton: Karl VI. und das Heilige Römische Reich deutscher Nation im Jahr 
1712 
Zweigs des Hauses Habsburg gelangen müsse. Eine wechselseitige Erbfolge war im 16. Jahrhundert in den habsburgischen Hausverträgen bei der Teilung in zwei Linien durch Karl V. und Ferdinand I. festgelegt worden. Erbrechte von Frauen, auf die sich Ludwig XIV. mit Blick auf seine habsburgische Mutter und seine habsburgische Ehefrau, beide Infantinnen von Spanien, berief, waren nach salischem Recht irrelevant. Dieses altfränkische Recht galt allerdings strikt nur in den Gebieten des ehe- maligen Frankenreichs Karls des Grossen, nicht aber in Spanien, wo vor den Habsburgern immerhin mit Köni- gin Isabella von Kastilien die Grossmutter Kaiser Karls V. regiert hatte. Das strikte Erbrecht von Männern galt auch in den Fürstentümern des Heiligen Römischen Reichs. Ebenso wie in Frankreich konnten es Frauen hier nur bis zu Regentinnen für minderjährige Söhne bringen, wofür es markante Beispiele in der deutschen Territorialge- schichte gibt. Für das römische Kaisertum, ein von den Kurfürsten vergebenes Wahlamt, war allerdings die Kan- didatur einer Frau ebenso undenkbar wie eine weibliche Regentschaft für einen minderjährigen Amtsinhaber. Wenn die österreichischen Habsburger die seit 1438 be- stehende Verbindung von Landesherrschaft in den Erb- landen und römischer Kaiserkrone bewahren wollten, mussten sie also jeweils einen volljährigen männlichen Kandidaten zur Verfügung haben, den sie bei Interregna der Wahl durch das Kurfürstenkollegium stellen konn- ten. Bis 1711 war dies stets möglich gewesen – wenn auch schon bis dahin nicht immer ohne Probleme. Die Bedrohung durch ein mögliches Aussterben be- stand auch für die österreichischen Habsburger schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. Leopold I. musste nach dem Tod seines älteren Bruders, des zu Lebzeiten des Vaters Ferdinand III. gewählten römischen Königs Ferdinand IV., auf die geplante geistliche Laufbahn und den Zölibat verzichten, um die Dynastie fortzusetzen. 1658 wurde Leopold nach einem langen Interregnum zum Kaiser gewählt. Erst in seiner dritten Ehe, die er 1676 mit Eleonore Magdalene Therese von Pfalz-Neu- burg einging, wurden ihm überlebende Söhne, die bei- den späteren Kaiser Joseph I. und Karl VI., geboren. Da- mit war die Gefahr des fast gleichzeitigen Erlöschens des Hauses Habsburg mit den Vettern in Madrid und Wien fürs erste gebannt. Der bis 1705 regierende Leopold I. und seine Söhne, die Erzherzöge Joseph und Karl, schie- 
klesschwert geschwebt hatte. Karl II. war seit 1665 König von Spanien. Seine durch die zahlreichen Verwandten- ehen der Habsburger verursachte biologische Debilität liess jedoch weder Regierungsfähigkeit noch Nachkom- menschaft erwarten. Dennoch regierte Karl II. pro forma länger als vorherzusehen, nämlich 35 Jahre. Während der faktisch regierungsunfähige König in Madrid von dem allmächtigen Staatsrat abgeschirmt wurde, blühten zwischen der spanischen Hauptstadt Madrid, Wien, Paris beziehungsweise Versailles, London und Den Haag die Spekulationen über die Nachfolge, über den Zusammen- halt oder die Aufteilung des spanischen Weltreichs in Europa, Amerika und Asien. Sowohl Kaiser Leopold I., das Haupt der österreichi- schen Linie des Hauses Habsburg, als auch König Ludwig XIV. von Frankreich konnten qualifizierte Erbansprüche auf den spanischen Thron geltend machen. Alle Kriege des Sonnenkönigs seit dem Devolutionskrieg 1667/68 verfolgten das Ziel, seine Position für den erwarteten spanischen Erbfall zu verbessern. Bei den Friedenskon- gressen, welche die Kriege beendeten, spielte in Aachen, Nimwegen und Rijswijk stets im Hintergrund der diplo- matischen Verhandlungen die spanische Erbschaft eine Hauptrolle. Auf Vorschlag der sogenannten Seemächte, England und Holland, wurden auch Teilungspläne dis- kutiert, welche auf die Abtrennung der italienischen und belgischen Nebenländer von der spanischen Monarchie hinausliefen. Die führenden spanischen Politiker wie auch Wien und Versailles wollten jedoch am liebsten an der ungeteilten Einheit des spanischen Reichs in Europa und Übersee und damit an dessen Weltstellung festhalten. Wenn Spanien auch seit der Mitte des 17. Jahrhun- derts einen deutlichen Niedergang zu verzeichnen hatte, der 1659 im Pyrenäenfrieden mit Frankreich deutlich wurde, so stellte die zusammengesetzte spanische Mo- narchie mit ihren europäischen Nebenzentren in Brüs- sel, Mailand, Neapel und Palermo doch noch immer eine starke Grossmacht dar, die dank der familiären Verbin- dungen mit Wien und durch den Burgundischen Reichs- kreis auch für die Politik im Heiligen Römischen Reich von Belang war. Über Burgund war Spanien Reichsstand mit Sitz und Stimme im Fürstenrat des Reichstags in Re- gensburg. In Wien gingen die Erzherzöge davon aus, dass gemäss dem salischen Erbrecht, welches nur Män- ner für erbfähig erklärte, das ungeteilte spanische Erbe an die männlichen Erbberechtigten des österreichischen Kapitel_2_Schindling.indd   5022.10.12   12:31
	        

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