Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

34Frommelt Fabian: Der Kauf der Grafschaft Vaduz am 22. Februar 
1712 
Dr. med. Albert Schädler, Landtagspräsident und Präsident des Historischen Vereins, hielt bei der Jubiläumsfeier am 14. Juli 1912 die 
Festansprache. 
Nachhaltig und mit grosser Breitenwirkung werden Ein- stellung und Mentalität der Bevölkerung durch Schule und Schulbücher geprägt. Herauszuheben sind die bei- den Lesebücher von 1914 und 1938: Das «Lesebuch für die liechtensteinischen Volksschu- len» von 1914 behandelt die Zeit der Grafen von Ho- henems und die Erwerbung durch das Haus Liechten- stein nur knapp, findet aber Raum für folgende Zusam- menfassung: «So waren die Leute der beiden Landschaf- ten Untertanen der Fürsten von Liechtenstein geworden. Das Volk hatte harte Zeiten durchgemacht, aber darob 
doch den Mut und das Gottvertrauen nicht verloren. Die gütige Vorsehung führte darum die Leute jetzt unter den neuen Landesherrn einer besseren Zukunft entgegen.» 
104 Das «Lesebuch» von 1938, das noch Ende der 1960er Jahre in Gebrauch war, stellt die Geschichte etwas aus- führlicher dar. Es verweist auf die 1691 geschlossene Ehe des Grafen Franz Wilhelm II. von Hohenems-Vaduz, des jüngsten Bruders der Grafen Ferdinand Karl und Jakob Hannibal III., mit Prinzessin Luise Josepha von Liechten- stein, einer Nichte Fürst Anton Florians, um dann fest- zuhalten: «Durch diese Ehe hat die göttliche Vorsehung die Aufmerksamkeit eines Herrscherhauses auf unsere Landschaften gerichtet, das sie einer schöneren Zukunft zuführen sollte».105 
Vaduz und Schellenberg «waren in den Besitz eines ruhmvollen österreichischen Adelsge- schlechtes, der Fürsten von Liechtenstein, übergegangen. ... Wir sehen Mitglieder des fürstlichen Hauses in ruhm- reichen Schlachten die Sache des Kaisers verfechten; wir sehen sie aber ganz besonders in den Tagen des Friedens segensreich wirken.»106 Auch die Schulbücher nehmen die sich wiederho- lenden Elemente der obrigkeitlich geprägten Kaufer- zählung auf: harte Hohenemser Zeiten, göttliche Vor- sehung, bessere Zukunft unter der reichen, milden und ruhmvollen Familie Liechtenstein, Ausblendung von Konflikten. Sie entsprachen damit einer Zielsetzung des Geschichtsunterrichts, wie sie noch bis 1975 im Lehrplan definiert war, nämlich «die Jugendlichen zu Liebe und Treue zu Fürst und Heimat zu erziehen.»107 Diese Beispiele mögen genügen. Sie machen deut- lich, dass die dargelegte obrigkeitliche Variante der Er- zählung vom Kauf der Grafschaft Vaduz verschiedenen Merkmalen, Erscheinungsformen und Funktionen eines Nationalmythos entspricht, wie sie von der Mythosfor- schung beschrieben 
werden. Die Vaduz-Schellenberger Kauferzählung im Licht der Mythosforschung108 Politische Mythen zeugen – wie die Liechtensteiner Kauferzählung – «vom Ursprung einer politischen Ära und eines abgegrenzten politischen Raums».109 National- mythen beschwören Ereignisse und Gestalten der Ver- gangenheit, und zwar in einer selektiven, emotional auf- geladenen Weise. Sie inszenieren den «Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen» und neigen zu Idealisierung und Glorifizierung.110 Kapitel_1_Frommelt.indd   3422.10.12   13:20
	        

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