Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

195 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 111, 
2012Der 
Landtag hatte gemäss Verfassung nur bei den Finan- zen ein Kontrollrecht. Festgestellten Mängeln in Bezug auf die Staatsverwaltung durfte er nur in Form von An- trägen an den Fürsten zur Behebung von Mängeln oder als Beschwerden einreichen (§ 40 Bc d der Verfassung); die Regierung konnte er nicht direkt zur Verantwortung ziehen. Eine Vorgabe für die Organisation der staatlichen Behörden enthielt die Verfassung einzig durch die Be- stimmung, dass die oberste Verwaltungsbehörde – also die Regierung – ihren Sitz im Fürstentum haben musste (§ 28). Der wesentliche Gedanke des Konstitutionalismus war, dass die Rechte des Landesfürsten in der Gesetzge- bung eingeschränkt wurden und dieser an die Zustim- mung der Volksvertretung gebunden war. Die Verfas- sung (Konstitution) konnte nicht mehr einseitig geändert beziehungsweise zurückgenommen werden. Der Lan- desfürst hatte sowohl in Hohenzollern-Sigmaringen wie in Liechtenstein im Sinne des «monarchischen Prinzips» eine dominierende Stellung gegenüber dem Landtag. Die Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des Landtags benötigten für ihre Gültigkeit die Zustimmung des Fürsten. Staats- verträge musste der Landesfürst nur dann dem Landtag vorlegen, wenn damit Teile des Staatsgebiets veräussert, neue finanzielle Lasten übernommen oder in die Rechte der Landesangehörigen eingegriffen wurde. Beide Land- tage hatten kein Recht zur Selbstversammlung, sondern mussten vom Landesfürsten einberufen werden. Dieser konnte den Landtag auch auflösen oder auf drei Monate vertagen, wobei der Fürst lediglich verpflichtet war, die Gründe mitzuteilen. Wenn der Landtag eröffnet war, übernahm der Landtagspräsident (in Liechtenstein) be- ziehungsweise der Landtagsdirektor (in Sigmaringen) die Leitung des Landtags und konnte die Sitzungen einberu- fen. Für die Zeit der Schliessung des Landtags bestand in beiden Fürstentümern ein Landesausschuss mit drei Mitgliedern, der bei Bedarf einberufen werden sollte. Grundsätzlich bekannte sich die Verfassung von 1862 zu einem Repräsentativsystem mit gewählten Volksver- tretern. Die Verfassung von Hohenzollern enthielt im 
ordnung enthielt sechs Grundsätze zur Organisation der staatlichen Behörden: 1. Das Landgericht ist die erste Gerichtsinstanz. 2.   Die Regierung mit Sitz in Vaduz besorgt die öffent- liche Verwaltung. 3.   Die Hofkanzlei in Wien ist Rekursinstanz in Verwal- tungsangelegenheiten und Appellationsgericht in Ge- richtsverfahren. 4.   Das Oberlandesgericht in Innsbruck ist oberster Ge- richtshof. 5.   Die Domänenverwaltung wird von der Regierung «je- doch vorerst nur in objektiver Beziehung» getrennt. 6.   Die fürstliche Buchhaltung in Butschowitz bildet so- wohl für die Staatsbehörden wie auch für das Rent- amt die Rechnungskontrollbehörde. Die Amtsinstruktion von 1862, die die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Landesbehörden enthielt, stützte sich rechtlich auf diese Verordnung und nicht auf die Verfassung ab.30 Zurück zum Landtag: Im Fokus der Landstände stand die Forderung nach einer effektiven Mitwirkung in der Gesetzgebung, alles andere wurde diesem Ziel unterge- ordnet. Mit einer bloss beratenden Funktion wollten sie sich nicht zufrieden geben. Die Erfüllung dieser Forde- rung setzte auch eine begriffliche Trennung von Gesetz und Verordnung voraus: Bis 1862 wurde nicht zwischen Begriffen wie Gesetz, Verordnung, Patent usw. unter- schieden. Die Verfassung von 1862 bestimmte dann, dass kein Gesetz ohne Mitwirkung des Landtags erlassen werden konnte, die Verordnungskompetenz aber allein beim Fürsten war. Bei den Verordnungen gab es genau genommen zwei unterschiedliche Typen: jene, die die Organisation der Staatsbehörden betrafen, und solche, die «zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze» erforderlich waren (§ 24). Soweit Verordnungen Ausfüh- rungsbestimmungen zu den Gesetzen enthielten, wurde damit 1862 auch ein Stufenbau in der Rechtsordnung (Verfassung – Gesetz – Verordnung) eingeführt, was im Hinblick auf die Entwicklung des Rechtsstaats eine be- deutende Leistung war. Dass die gesamte Regierungs- und Verwaltungstätig- keit praktisch völlig aus dem Zuständigkeitsbereich des Landtags ausgenommen wurde, war konform zu andern Verfassungen der damaligen Zeit und wurde von den Vertretern des Ständelandtags daher auch nicht kritisiert. 
30  LI PfAT A 3b/180. Verordnung betr. Organisation der obersten Verwaltungsbehörde und der Gerichte sowie die Trennung der Domänenverwaltung von der Landesverwaltung vom 26. Sep- tember 1862. Elektronisch publiziert in: www.e-archiv.li. Kapitel_9_Vogt.indd   19522.10.12   13:31
	        

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