Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

66Frick Nadja/Good Jeannette: Vertrieben aus der 
Heimat 
ihm hörigen Mönch und bemächtigte sich dadurch der Herrschaft über Tibet. Bis zum Einfall der westmongo- lischen Dsungaren 1717, welche Lhabtsang Khan ermor- deten und den von ihm erkorenen Sechsten Dalai Lama absetzten,11 
konnte er seine Herrschaft sogar noch erwei- tern. Tibetisch-mandschurische Beziehungen von 1720 bis 1913 Nachdem die Mandschus – Angehörige eines mongo- lischstämmigen Volks – 1644 China überwältigt und dort die Quing-Dynastie etabliert hatten, planten sie die Eroberung von Tibet.12 
Da die Mandschus aber ihr Ziel nicht durch einen militärischen Übergriff erreichen wollten, suchten sie nach einer anderen Möglichkeit: Im Jahr 1720 unternahm der Siebte Dalai Lama eine Reise von Kumbum in Nordosttibet nach Lhasa; zum Geleit – die kürzlich eingefallenen Dsungaren hatten es auf den jungen Siebten Dalai Lama abgesehen – liess ihm der Mandschu-Kaiser K’Ang-Hsi 4 000 Soldaten zukommen. Er machte sich durch diese Geste bei den Tibetern sehr beliebt. Noch im gleichen Jahr unterzeichneten der Dalai Lama und der Mandschu-Kaiser einen Vertrag, «dessen genauer Inhalt heute nicht mehr bekannt ist. Vermutlich vereinbarten sie eine Oberherrschaft des Mandschu- Kaisers, deren Bedeutung und Tragweite jedoch be- schränkt waren. ... Die aus dem Vertrag von 1720 zwischen dem Siebten Dalai Lama und dem Mandschu- Kaiser resultierende Beziehung war ihrer tatsächlichen Natur nach nicht mehr als eine Chö-Yön-Beziehung ..., die formell schon vorher bestanden hatte, aber bisher bloss ein Ausdruck diplomatischer Höflichkeit und Tra- dition ohne effektive Bedeutung gewesen war. Mit den Ereignissen von 1720 erhielt nun die Chö-Yön-Bezie- hung mit den Mandschus eine praktische Dimension».13 Inzwischen konnten die Tibeter mit ihrer eigens nach dem Einfall der Dsungaren aufgebauten Armee – und nicht zuletzt dank der Nachricht von den anrückenden Mandschu-Soldaten – die Dsungaren aus ihrem Land vertreiben. Die Mandschus hatten dadurch «einen Fuss im Tür- spalt»14 
und erreichten somit durch Yung-Cheng (Sohn und Nachfolger des Mandschu-Kaisers K’Ang-Hsi’s), 
Tibetisch-mongolische Beziehungen im 14. und frühen 18. Jahrhundert Im frühen 13. Jahrhundert kam es zu immer häufigeren Kontakten zwischen den Tibetern und den Mongolen. Nachdem Fürst Dschingis Khan im Jahr 1206 die im Streit liegenden mongolischen Stämme wieder zusam- mengeführt und ein ansehnliches Reiterheer aufgebaut hatte, drangen die Mongolen bereits im folgenden Jahr in Tibet ein. Die Tibeter unterwarfen sich den Mongolen daraufhin widerstandslos. Da sich der mongolische Hof sehr für den Buddhismus interessierte, ersuchte Godan Khan, ein Enkel des Dschingis Khan, die Tibeter um eine Einführung in den Buddhismus. Er traf diesbezüglich 1240 mit dem tibetischen Lokalherrscher Kunga Gyalt- sen eine Abmachung. Durch diese Abmachung standen die beiden Völker unter einer Chö-Yön-Beziehung, was man in unserem Sprachgebrauch etwa als «Priester- Patron-Verhältnis»6 bezeichnen könnte. Diese Chö-Yön- Beziehung beinhaltete für die eine Partei «die Pflicht zur religiösen Unterweisung und Beratung des Partners»7 und für die andere Partei «die militärische Beistands- pflicht».8 Kunga Gyaltsen wurde im Jahr 1249 von Godan Khan zum Vizekönig von Tibet ernannt. Drögon Phakpa, ein Neffe von Kunga Gyaltsen, wurde 1253 
9 vom Nachfolger Dschingis Khans, Kublai Khan – ebenfalls ein Enkel Dschingis Khans – sogar zum Herrscher über ganz Tibet ernannt. Über 100 Jahre herrschten nun – unter- stützt durch die Mongolen – buddhistische Priesterkö- nige, welche die politische und religiöse Herrschaft in- nehatten. Die tibetisch-mongolische Chö-Yön-Beziehung endete im Jahr 1350, was für Tibet wieder die vollstän- dige Unabhängigkeit mit sich brachte. Da nun die Schirmherrschaft der Mongolen über Ti- bet beendet war, wurde das Land für drei Jahrhunderte lang erneut von unabhängigen Königen regiert. In der Mitte des 17. Jahrhunderts begann schliesslich die Herr- schaft der Dalai Lamas über Tibet. Der erste in dieser Reihe war der so genannte Fünfte Dalai Lama. Die ersten vier Dalai Lamas hatten zwar bereits diesen Titel getra- gen, jedoch nicht über die politische Macht verfügt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts tauchten die Mongo- len nochmals in der Geschichte Tibets auf:10 1706 setzten die Koshot-Mongolen den zu diesem Zeitpunkt herr- schenden Sechsten Dalai Lama ab. Der Fürst der Koshot- Mongolen, Lhabtsang Khan, ersetzte diesen durch einen Kapitel_3_Frick_Good.indd   6626.07.11   13:45
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.