Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

39 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 110, 2011249 
 Geiger 2007, S. 170 f. 250  Vgl. Ospelt 1972, S. 270. 251  Ebenda, S. 276. 252  LGBl.1865, Nr. 9: Gewerbeordnung vom 16. Oktober, LR 930.1. 253  Vgl. Hoch 1991, S. 36, der darauf verweist, dass diese Aufgabe bei der Errichtung der ersten Betriebskrankenkasse 1870 von der offenbar unsicheren Regierung an den amtierenden Landge- richtsvorstand delegiert wurde. 254  Ähnliches ist in der Schweiz beim Scheitern der Lex Forrer fest- stellbar. Siehe dazu eingehend: Degen 1997, S. 148 ff.; Sommer 1978, S. 89 ff.; Maurer 1981, S. 782 ff. 255  Hoch 1991, S. 16. 256  Für eine Zusammenstellung der Beschäftigtenzahlen in der Texti- lindustrie siehe Ospelt 1972, Anhang 67 auf S. 214. 257  Vgl. Geiger, Geschichte 1970, S. 317. 258  Quaderer 19941, S. 
256. 
wurden die Gewerbeinspektoren teilweise zu wenig un- terstützt. Wie jedoch der Beizug von Gewerbeinspektor Stipperger als Experten für die Ausarbeitung der neuen Gewerbeordnung von 1910 belegt, waren die Inspek- toren durchaus als Fachleute geschätzt. Die Zusammen- arbeit mit den österreichischen Inspektoren endete denn auch nur angesichts der Kündigung des Zollvertrags mit Österreich und der damals im Land weit verbreiteten Ablehnung österreichischer Beamten. Wenn die Regie- rung auf Berichte der Inspektoren bezüglich Mängeln oder auf Anfragen teilweise kaum reagierte, so ist dies vor allem auf eine hohe Arbeitsbelastung des nur kleinen Verwaltungsstabes und allenfalls auf mangelnde Sensibi- lisierung bezüglich der sozialen Frage zurückzuführen. Obwohl die seit den 1860er Jahren bestehenden Tex- tilfabriken eine beachtliche Anzahl Personen beschäf- tigten,256 
kam es nicht zu einer eigentlichen Arbeiterbe- wegung. Der Grossteil der Angestellten waren Frauen und so blieb die Arbeiterschaft noch weitgehend im Bauerntum verwurzelt.257 Besonders in der Anfangszeit waren die relativ wenigen Männer, die in der Textilindu- strie Arbeit fanden, grösstenteils qualifizierte Vorarbeiter aus dem benachbarten 
Ausland. «Die kleinstaatlichen ländlichen Verhältnisse und die sozia- len Strukturen verhinderten eine Entwurzelung breiter Bevöl- kerungsschichten. Dazu wirkten traditionsgebundene Kräfte wie Kirche und Monarchie und die autoritäre Staatsführung systemerhaltend.»258 Es entwickelte sich in Liechtenstein kein eigentliches Proletariat als Gesellschaftsschicht und auch eine Politi- sierung der Arbeiterschaft blieb aus. Erst mit der Grün- 
pierung, die sich später als Volkspartei konstituierte und vehement für die Sozialversicherungen kämpfte, war es auch, die die Gewerbeordnung von 1910 ohne jeden Rettungsversuch für den Abschnitt zur Krankenversi- cherung zu Fall brachte. Das erste Versicherungsobli- gatorium für die gesamte Arbeitnehmerschaft scheiterte trotz eines ursprünglichen politischen Konsenses denn auch an einer heterogenen Allianz mit unterschiedlichen Beweggründen.254 Mit dem Ersten Weltkrieg begann sich für Liechtenstein eine Neuorientierung an die Seite der Schweiz abzuzeichnen. In der noch vor Kriegsausbruch formierten parlamentarischen Opposition wurde bereits mehr oder weniger offen gegen Österreich politisiert. Aus Sicht des Gewerbes entscheidend waren hingegen die stärkere Reglementierung und die Angst des Gewer- bes vor stärkeren staatlichen Eingriffen, welche bereits kurz nach Inkrafttreten der Gewerbeordnung zu mas- siven Widerständen führte. Auch die einzige damals be- stehende offen zugängliche Krankenversicherung, der Allgemeine Kranken-Unterstützungs-Verein zeigte sich wenig kooperativ. Dabei spielten finanzielle Gründe – der Verein wollte seine Reserven nicht mit einer grös- seren Anzahl Neumitglieder teilen – eine Rolle, aber wohl auch das Selbstverständnis als vom Staat unabhän- gigem Zusammenschluss freier Bürger, der sich keine Zwangsmitglieder aufdrängen lassen wollte. Nicht zu vergessen ist, dass der Vereinsvorstand aus etablierten Gewerbetreibenden bestand und wohl auch die meisten Mitglieder sich gegen die stärkere Regulierung in der Gewerbeordnung wandten. Mit diesen massiven Wider- ständen konfrontiert, war eine neuerliche Revision der Gewerbeordnung nicht mehr zu verhindern, obwohl die Regierung an der Regelung von 1910 festhalten wollte. Spätestens mit dem Kriegsausbruch und den zu erwar- tenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten war auch der in den Debatten nur selten direkt angegriffene Krankenver- sicherungsartikel mit dem Versicherungsobligatorium für alle Arbeitnehmer nicht mehr zu halten. Rückbli- ckend gesehen ist es trotzdem erstaunlich, «wie leichthin der Landtag mit dieser Gesetzesrevision die Entwicklung der liechtensteinischen Sozialversicherung um Jahr- zehnte zurückwarf.»255 
Dies erklärt sich nur teilweise vor dem Hintergrund, dass nur die in der Praxis zumindest scheinbar undurchführbaren Teile revidiert wurden. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Ge- werbeinspektorat funktionierte grundsätzlich, doch Kapitel_1_Vogt.indd   3926.07.11   13:44
	        

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