Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

26Vogt Wolfgang: Der Aufbau der Krankenversicherung in 
Liechtenstein 
für erkrankte Gehilfen und Lehrlinge durch Gründung einer Genossenschaftskrankenkasse oder durch den Beitritt zu bereits bestehenden Krankenkassen»154 über- nehmen. Gewerbeinspektor Hubert Stipperger hatte von der Regierung den Auftrag zur Ausgestaltung eines Gesetzes erhalten. Ergänzend dazu bat die Regierung den liech- tensteinischen Gewerbeverein um Vorschläge zur neuen Gewerbegesetzgebung, welche Inspektor Stipperger bei der Ausarbeitung seines Entwurfes zumindest teilweise berücksichtigte.155 
Der Gewerbeverein forderte ebenfalls einen verbesserten Schutz der Arbeitnehmer und mo- dernisierte Krankenversicherungsbestimmungen, ging dabei allerdings verständlicherweise deutlich weniger weit. Insbesondere sollten nur Betriebe mit mindestens 20 Hilfsarbeitern verpflichtet sein, Krankenkassen zu er- richten.156 Diese Grössenbegrenzung betraf de facto nur die drei im Land tätigen Textilfabriken. Ähnlich wie Stip- perger wünschten sie ein Krankengeld von minimal ei- ner Krone pro Tag.157 Ein Versicherungsobligatorium für die übrigen Arbeitnehmer war nicht vorgesehen. Inte- ressant ist aber die Forderung des Gewerbevereins nach mehr Transparenz bei den 
Versicherungen: «Die Verfügung über Vermögensteile der Krankenkassen und deren Fonde darf nie ein einseitiges Recht des Gewerbeinha- bers sein, sondern es muss auch durch die Arbeiterschaft resp. ihre Ausschüsse vertretend geleitet werden.»158 Die Regierung war mit Stippergers Arbeit offensicht- lich zufrieden und erstellte eine Gesetzesvorlage aus sei- nem Entwurf, wobei sie nur einzelne Punkte veränderte. In Bezug auf die Krankenversicherung folgte sie sogar vollständig dem Vorschlag Stippergers. In den kurz da- rauf stattfindenden Sitzungsperiode 1908 beschloss der Landtag, die Beratungen zum Gesetz noch fortzuführen und erst im kommenden Jahr abzuschliessen. Das Ge- setz wurde damit erst in den Landtagssessionen 1909 eingehend behandelt. In den Kommissionssitzungen mit einem Vertreter der Regierung wurden noch vor der Behandlung durch den Landtag einige kleinere Kor- rekturen beschlossen. Insbesondere das von Stipperger in seinem Entwurf mit einem Fixbetrag festgelegte mi- nimale Taggeld im Krankheitsfall wurde verändert. Der Kommission erschienen die «Taggelder von 1 K 20, 1 K und 80 h für verschiedene Arbeiterkategorien» als «of- fenbar zu niedrig gegriffen ..., weshalb es sich empfiehlt, das Minimum prozentual festzusetzen».159 Die in der 
wollte im Bereich der Krankenversicherungen längst überfällige Reformen vornehmen. Die Neuregelung der von Stipperger als unzureichend betrachteten Kranken- versicherung war in § 55 
vorgesehen: «Jeder Gewerbsinhaber ist verpflichtet sein Hilfspersonal bei einer mit behördlich genehmigten Statute versehenen Krankenkasse zu versichern, welche ihren Mitgliedern als Mindestleistung gewährt: 1. Von Beginn der Krankheit an freie ärztliche Behandlung mit Inbegriff des geburtshilflichen Beistandes sowie der notwendigen Heilmittel. 2. Ein tägliches Krankengeld für die Dauer der Erwerbsun- fähigkeit, und falls diese nicht früher endet, bis zu 20 Wo- chen; das Krankengeld beträgt für erwachsene männliche Arbeiter 1.20 K, für erwachsene weibliche Personen 1.00 K und für jugendliche Arbeiter 0.80 K.»149 Dabei verwies Stipperger auf notwendige weitrei- chende Anpassungen, welche die neu vorgesehenen Regelungen von den Betriebskassen und der einzigen zu der Zeit tätigen nicht betrieblichen Krankenversiche- rung, dem allgemeinen liechtensteinischen Krankenkas- senverein, verlangen würden.150 Da er in seinem Entwurf ein Versicherungsobligatorium für alle Arbeitnehmer vorsah, musste Stipperger sicher gehen, dass eine Ver- sicherungslösung für die nicht in den Fabriken beschäf- tigten Arbeiter grundsätzlich bestand. Eine solche Ver- sicherungslösung musste auch für den Fall gelten, dass der Krankenkassenverein sich nicht an die neuen gesetz- lichen Regelungen anpassen könnte. Er schrieb an die Regierung, dass für diesen 
Fall «die Versicherung der Arbeiter jener Gewerbetreibenden, welche ihr Gewerbe weder fabriksmässig betreiben noch einer Genossenschaft angehören, dessen ungeachtet bei der Genos- senschafts Krankenkasse erfolgen könnte.»151 Die damit angesprochene Gewerbegenossenschaft beziehungsweise die von ihr zu unterhaltende Genos- senschaftskasse sollte gemäss dem neuen Gewerbe- gesetz nach österreichischem Vorbild entstehen.152 Bedingt durch die Kleinheit des Landes konnten aber nicht Genossenschaften für einzelne Berufsgruppen ent- stehen. Stattdessen konnte es sich in Liechtenstein nur um die Errichtung «einer Genossenschaft beziehungs- weise eines Genossenschaftsverbandes handeln, worin die einzelnen Gewerbe in entsprechenden Fachsek- tionen»153 
vertreten waren. Bezüglich der Krankenversi- cherung sollte die Gewerbegenossenschaft «die Vorsorge Kapitel_1_Vogt.indd   2626.07.11   13:44
	        

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