Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

121 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 110, 
2011schen 
Kyjov bei Brünn stammende Josephine Postolka, geboren 1874, katholisch. Beide starben in New York, 1960 Siegfried Bieber 87-jährig, 1970 Josephine, 96-jäh- rig, ohne Nachkommen. Siegfried Biebers Eltern waren jüdisch, der Vater war im Lederhandel tätig. Die kleinbürgerliche Familie lebte im damals preussischen, heute polnischen Csersk. Siegfried hatte fünf jüngere Geschwister, die ihrerseits Familien gründeten und Kinder zeugten. Die weitere Verwandtschaft war verzweigt. Siegfried ging in Danzig zur Schule, danach absolvierte er eine kaufmännische Lehre in Berlin und Hamburg bis 1895. Fortan war er im Bankfach tätig, fähig und aufsteigend. Von 1896 bis 1900 wirkte er in London bei der Bank «Crédit Lyonnais» und bei der «Disconto Gesellschaft». Von 1900 bis 1911 leitete Bieber in New York die Abteilung Devisengeschäfte im «Bankhaus Goldman Sachs & 
Co.» Erster Weltkrieg, Aufstieg in Berlin 1911 kam das Ehepaar Bieber zurück nach London, Bie- ber führte hier die Filiale der mächtigen «Banca Commer- ciale Italiana». Doch der Erste Weltkrieg änderte vieles. 1915 wurde Bieber von den britischen Behörden in ein Internierungslager gesteckt, er galt wie einige zehntau- send weitere deutsche Zivilisten in England als Feind- staatsangehöriger. Im Jahr darauf konnte Bieber 1916 im Rahmen eines Personenaustauschs nach Deutschland ausreisen. Hier stellte sich der nun 43-Jährige dem deut- schen Kriegsdienst zur Verfügung. Man setzte den Bank- fachmann von 1917 bis zum Oktober 1918 im deutsch besetzten Belgien in Brüssel als «Zwangsverwalter» und «kaiserlicher Bankkommissar» ein. Nach dem Krieg musste sich Bieber neu orientieren. Er blieb im Bankensektor, seine Beziehungen nützend. Gleich 1919 wurde er in den Vorstand der «Berliner Handels-Gesellschaft» (BHG), eine bedeutende, von Carl Fürstenberg geführte private Handelsbank, berufen. Bieber zählte 1919 bis 1934 zu den Geschäftsinhabern. Zugleich vertrat er die Bank in Aufsichtsräten anderer Gesellschaften. Das Ehepaar Bieber pflegte den grossbürgerlichen Le- bensstil der Reichshauptstadt. Bieber liess 1923 in Berlin- Dahlem an der Nikischstrasse 4 eine herrschaftliche Villa bauen. Von dort liess er sich täglich zum Büro chauf- 
Die deutsche Historikerin Erika Schwarz setzt im Titel ihres im Sommer 2011 vorgelegten Buches zu «Siegfried Bieber» die Charakteristika «Jude, Bankier, Gutsbesitzer, Emigrant». Sie hätte beifügen können, «Liechtensteiner». Denn dies waren Siegfried Bieber und seine Frau Jose- phine ein Jahrzehnt lang, von 1938 bis 1948. Zwar widmet Erika Schwarz von ihren 176 Seiten nur deren vier dem Unterkapitel «Die liechtensteinische Staatsbürgerschaft – eine Lebensversicherung», doch aus dem letzteren Begriff ergeht die für Bieber und Frau existenzielle Bedeutung. In Liechtenstein Eingebürgerte waren in den 1930er und 1940er Jahren im Lande selbst kaum präsent oder gar wohnhaft. Von auswärts wurden die Einbürge- rungstaxen entrichtet und in Vaduz wurde rasch der Staatsbürgereid abgelegt. Vom früheren Leben der Neu- bürger kannte man wenig, ebenso von deren Aufenthalt während des Krieges und von späteren Lebensorten. Die meisten erwarben alsbald wieder eine andere Staats- bürgerschaft und die Spuren verloren sich ganz. Indem nun Erika Schwarz exemplarisch das Woher und Wo- hin eines liechtensteinischen Neubürgerpaars schildert, füllt sie, auch wenn es ihr nicht um diesen Aspekt geht, auch eine Lücke in der liechtensteinischen Geschichts- forschung. Die Autorin zeichnet akribisch und zugleich spannend lesbar den Lebensweg von Siegfried Bieber (1873–1960) und seiner Familienangehörigen nach, vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis an die Schwelle der Ge- genwart. Konkret anschaulich werden dabei die übersee- isch vernetzte Banken- und Handelswelt, deren Verwer- fungen im Ersten Weltkrieg, der Aufschwung der 1920er Jahre, ab 1933 die Entrechtung und Enteignung der Ju- den in Hitlerdeutschland und ihre Vernichtung während des Zweiten Weltkrieges, Flucht- und Rettungsstrategien – unter anderem erfolgreich mittels liechtensteinischem Pass – und  Hilfebemühungen für Verwandte im 
Reich. Von Cserk über Vaduz nach New York Der Lebensweg von Siegfried Bieber führte von der preussischen Provinz über Danzig nach Berlin und Ham- burg, darauf nach London und New York, wieder zurück nach London, Brüssel, Berlin, dann nach Amsterdam, Maroggia im Tessin – mit Stippvisite nach Vaduz – und schliesslich über Quito/Ecuador nach New York. Gehei- ratet hatte Bieber 1897 die aus dem damals 
österreichi- 
Mit Liechtensteiner Pass davongekommen Lebensgeschichte eines Neubürgers Peter Geiger Kapitel_4_Hagmann.indd   12126.07.11   13:46
	        

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