Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

115 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 110, 
2011zwischen 
1938 und 1945 auf Hitler vereidigte reichsdeut- sche Richter an der Rechtsprechung im Lande mitbetei- ligt waren. Wieweit dies die liechtensteinische Gerichts- praxis zu beeinflussen vermochte, wird gegenwärtig im Rahmen einer Dissertation 
untersucht. Vaterländische Union, Volksdeutsche Bewegung und das «Dritte Reich» Vor dem Hintergrund der fortdauernden Wirtschafts- krise und der immer noch ausstehenden Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes für Liechtensteiner machte der stellvertretende Regierungschef Alois Vogt Ende Juli 1940 an einem Vortrag in Schaan die ominöse Andeu- tung, 
«dass man daran denken müsste, sie [die wirtschaftli- chen Sorgen] eines Tages abzulegen.» Damit konnte nur ein «Anschluss» an den deutschen Wirtschaftsraum gemeint sein. Im Herbst 1940 unternahm Vogt, von deutscher Seite als «Mann Berlins» in der Liechtensteiner Regierung betrachtet, hinter dem Rücken von Landtag, Regierung und Fürst eine geheime Sondierung im Reich. Es ging um die Frage eines «Anschlusses», wobei ihm das Aus- wärtige Amt signalisierte, dass zurzeit kein Interesse da- ran bestünde. Die Haltung Vogts danach ist vom Wissen um die deutsche Absage bestimmt. Aus der Rückschau stellte er sein Vorgehen als patriotische Taktik dar. Die wahren Absichten Vogts bleiben aufgrund der Quellen- lage aber im Dunkeln. Bestrebungen für ein Zusammengehen von VDBL und VU, welche von deutscher Seite beide als deutsch- orientiert eingestuft wurden, gipfelten am 13. und 14. März 1943 in einer Geheimkonferenz in Friedrichs- hafen mit Vertretern deutscher SS-Amtsstellen und den Spitzen von VDBL und VU. Angesichts der zu ungunsten Deutschlands veränderten Kriegslage stellte sich die VU jedoch gegen eine enge politische Kooperation oder gar eine Fusion mit der VDBL und be- schränkte sich auf eine bloss noch taktische Kooperati- onsbereitschaft, hielt sich – für alle Fälle – aber weiterhin «nach der nationalsozialistischen Seite hin den Weg offen». Jedoch ist allein die Tatsache einer Teilnahme der VU- Spitze am heimlichen, von deutscher Seite organisierten Treffen auf Reichsboden, um mit SS-Funktionären und Liechtensteiner Nazis hinter dem Rücken von Fürst, 
für Liechtenstein zuständig war. Grundlegende kriegs- wirtschaftliche Verhandlungen und Verträge erfolgten hingegen über die Schweiz. Hauptziel gegenüber Deutschland war die Respektie- rung des Status quo durch eine Strategie der Konfliktver- meidung. Anfang März 1939 stattete der Fürst in Beglei- tung von Regierungschef Hoop und dessen Stellvertreter Vogt bei Hitler und weiteren Vertretern des NS-Regimes in Berlin einen Höflichkeitsbesuch ab. In Liechtenstein wurde dies als Anerkennung der Eigenstaatlichkeit gedeutet, schürte in der Schweiz aber Misstrauen. Mit verschiedenen Freundlichkeitsgesten zwischen diplomatischer Höflichkeit und Anbiederung bemühte sich Liechtenstein, das Reich bei Laune zu halten. Im Dezember 1940 hielt Regierungschef Hoop eine Rede in Stuttgart – eine Verbeugung gegenüber NS-Deutsch- land bei gleichzeitiger Betonung der Eigenständigkeit des Landes. Als aussenpolitische Freundlichkeit gedacht war auch ein im Sommer 1941 mit Billigung der Re- gierung durchgeführtes, militärisch straff organisiertes Sommerlager der «Reichsdeutschen Jugend Schweiz» im Saminatal in Steg. Auch mit Deutschland bestand eine enge wirtschaft- liche Verflechtung: Einerseits produzierte die ab Ende 1941 aufkommende Metallindustrie (Maschinenbau Hilti, Schaan; Press- und Stanzwerk AG Presta, Eschen; Präzisions-Apparatebau PAV, Vaduz) primär für den deutschen Kriegsbedarf. Anderseits arbeiteten rund 400 Grenzgänger in Vorarlberg – eine Grenzübertrittsbewil- ligung erhielt aber nur, wer den deutschen Behörden genehm war, wobei offenbar auch die Volksdeutsche Be- wegung die Hände im Spiel hatte. In Liechtenstein lebten rund 1400 Reichsdeutsche, wobei sich die örtliche «NSDAP Ortsgruppe Liechten- stein» ruhig hielt und kaum mit den einheimischen Nazis zusammenarbeitete. Mindestens 108 Deutsche wurden in die Wehrmacht eingezogen, wovon 16 gefallen sind und 10 verschollen blieben. 30 Weitere weigerten sich einzurücken (Refraktäre) oder kehrten aus dem Urlaub nicht zur Truppe zurück (Deserteure). Die enge Verflechtung mit den Nachbarstaaten be- schränkte sich nicht auf politische und wirtschaftliche Belange, sondern tangierte auch die Justiz: Da Liech- tenstein zu wenig eigenes Personal aufbringen konnte, sassen auch Richter aus der Schweiz und aus Österreich in den Gerichten. Dies führte zur heiklen Situation, dass Kapitel_4_Hagmann.indd   11526.07.11   13:46
	        

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