Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

112Rezensionen 
Gegenbewegung zur VDBL gegründet. Dem Putschver- such vom März 1939 trat sie mit einer Unterschriften- sammlung entgegen, worin sich eine erdrückende Mehr- heit von 95,4 Prozent der Stimmberechtigten für die Erhaltung der Selbständigkeit des Landes aussprach – darunter allerdings auch einzelne NS-Anhänger. Unter dem Eindruck der zunehmenden VDBL-Agitation er- folgte im Sommer 1940 eine Reaktivierung. Die Bewe- gung wollte keine Partei sein, sondern möglichst viele «heimattreue» Liechtensteiner über die Parteien hin- weg unter dem Motto «Für Gott, Fürst und Vaterland!» einigen. Der angestrebte Brückenschlag zwischen den politischen Kräften scheiterte: Die VU-Führung sah in der Bewegung eine politische Konkurrenz und distanzierte sich brüsk, da sie den Zusammenhalt der Partei mit ihren zwei gegensätzlichen Flügeln gefährdet sah. Im August 1942 nahm die sich hauptsächlich aus Schweizern rekrutierende Geistlichkeit (Liechten- stein war Teil des Bistums Chur) in einem Protest- brief an die Regierung geschlossen Stellung gegen den «Umbruch» und forderte ein schärferes Vorge- hen. Die den Nationalsozialismus ablehnende Haltung der gesamten Priesterschaft – deren Einfluss als Respektspersonen damals noch ungleich grösser war als heute – hatte zweifellos eine bedeutende Ausstrahlung in der Bevölkerung. Die VDBL versuchte, Geistliche aus politischen Ämtern zu drängen und mundtot zu machen. Als dezidierter NS-Gegner wurde insbesondere Regierungsrat Pfarrer Anton Frommelt angefeindet. Auch das damals noch eng mit der katholischen Geist- lichkeit verbundene Schulwesen erwies sich weitgehend immun gegen die braune Versuchung, zumal auch die Lehrerschaft mit ihrem noch hohen Gewicht als mora- lische Autorität grösstenteils gegen den Nationalsozialis- mus eingestellt war. Die über 600 Mitglieder umfassende Pfadfinderschaft bezeichnet Geiger als 
«eigentliche Jugendgarde gegen die Nationalsozialisten», deren Hauptziel die Verteidigung der Freiheit und Selbständigkeit Liechtensteins wurde. Auch wenn parteipolitisch neutral, war sie stärker in der FBP als in der VU verankert und wurde zeitweise vom «Vaterland» heftig unter Beschuss genommen. Ob- wohl äusserlich der Hitlerjugend ähnlich, war sie ideo- logisch doch völlig konträr ausgerichtet. Eine Gruppe von Rovern (älteren Pfadfindern) war zum bewaffneten Widerstand im Falle eines «Anschlusses» 
beziehungs- 
Extrem hohe Quote an Kriegsfreiwilligen Ein jahrzehntelang tabuisiertes Kapitel sind die min- destens 100 Liechtensteiner, von wenigen Ausnahmen abgesehen überzeugte Nationalsozialisten aus dem Umfeld der VDBL, die sich als Kriegsfreiwillige nach Deutschland meldeten, wovon 70 in die Waffen-SS, vereinzelte in die Wehrmacht. Dies sind rund fünf Prozent der wehrfähigen Liechtensteiner, eine im Ver- gleich zur Schweiz sehr hohe Quote. Den Hauptgrund dafür sieht Geiger in der «Mobilisierungsdynamik» der VDBL, hin zur Selbstisolation und Desintegration ihrer Gefolgschaft. Geiger charakterisiert das Handeln der Hitlerfreiwilligen, von denen mindestens acht gefallen sind, als 
«Mitwirken am grossen Unrecht», das nicht verharmlost werden dürfe. Insofern wäre die be- sonders von den Betroffenen vertretene Sichtweise, die Waffen-SS habe rein nichts mit der übrigen, verbreche- rischen SS zu tun, vor dem Hintergrund neuerer For- schungen auch zur Rolle der Wehrmacht kritisch zu hinterfragen. Rückkehrer wurden in Liechtenstein straf- rechtlich nicht belangt, etliche erhielten – kaum zufällig – im von Martin Hilti geführten Unternehmen 
Arbeit. Breiter Widerstand gegen die braune Bedrohung Der staatliche Selbstbehauptungswille Liechtensteins gegen «Anschluss»-Tendenzen manifestierte sich sym- bolhaft in verschiedenen identitätsstiftenden, patrio- tischen Anlässen und Gemeinschaftshandlungen, welche stark um den Fürsten als Symbol für den Selbständig- keitswillen kreisten. Anlässlich der Huldigungsfeier vom 19. Mai 1939 wurde der Unabhängigkeitswille bekräftigt. Die Muttergottesweihe vom 25. März 1940 bei der Wall- fahrtskapelle Dux in Schaan benutzte der Monarch, um den Schutz der Muttergottes für das Land zu erbitten. Der 15. August, Mariä Himmelfahrt und zugleich Vor- abend des Fürstengeburtstags, wurde 1940 per Regie- rungsbeschluss zum Staatsfeiertag erhoben und als pa- triotische Einigkeitskundgebung begangen. Festlicher Höhepunkt war die Fürstenhochzeit vom 7. März 1943 in Vaduz. Anfang 1939 wurde die «Heimattreue Vereinigung Liechtenstein» (ab 1940 «Nationale Bewegung») als Kapitel_4_Hagmann.indd   11226.07.11   13:46
	        

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