Kunst aus der Natur geboren
Ausstellung 5. - 28. Oktober 1974 in der Galerie Haas, Vaduz —- Von Elmar Vogt
Es gehört zu den reizvollen Eigenarten unserer Region,
dass jede Landschaft ihre eigene künstlerische Formulierung
herausgebildet hat und pflegt. Auch wenn sich die strengen
Gemarkungen der einzelnen Kulturräume verwischen, gibt es
immer wieder jene schöpferischen Menschen, die zuerst das
Malen und Zeichnen, was sie in ihrer unmittelbaren Umgebung
sehen und erkennen. Die gestalterische Interpretation kann
auch in der geradlinigen unverfälschten Sprache vielsagend
sein. Die Galerie Haas in Vaduz zeigt in den nächsten Wochen
[...] Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Serigraphien von
Josef Schädler aus Triesen, in denen sich vie! Empfindung dem
Beschauer mitteilt. Zwei Seelen scheinen sich in Schädler ge-
genseitig einen Kampf zu liefern. Er bleibt einerseits in seinen
Landschaftsmotiven der Natur mit einer fast heiligen Scheu
treu, er übersetzt sie nur zaghaft auf eine intellektuelle Ebene,
die selbst das in Zweifel ziehen kann, was so unverrückbar da-
steht und mit den eigenen Händen erfasst werden kann.
Gut, einerseits das !dyll, in dem man vermeint, im Schat-
ten eines Waldes zu stehen und den Duft von frisch gemähten
Wiesen zu atmen. Hier ist Schädler das, was man bürgerlich
als «konservativ» bezeichnet, was heute selbst im Kreis von
Avantgardisten keine Abwertung mehr bedeutet, weil gerade
’n internationalen Kunstzentren eine Wiedergeburt des Gegen-
ständlichen in der einfachsten, infantilen Darstellung wieder
an Boden gewinnt. Doch wer eine starke Wurzel hat, hat auch
viel Fantasie und viele Gedanken. Schädler greift diese mit be-
achtlicher Kühnheit auf und improvisiert sie frei mit Farben
und Formen zu einer Komposition, die vielseitig ist, alles offen
‚ässt und den Beschauer deshalb verwirren könnte, weil diese
Gegenströmung unmittelbar und ohne Übergang auf ihn her
einbrach.
Wir hören oft grosse, intelligente und gebildete Menschen
darüber sprechen, dass sie sich halb als Mönch und halb als Zi-
geuner fühlen. Warum erwartet man dann ausgerechnet dann
und wann einen lange Geschichte, die einen Anfang und ei-
nen Schluss hat. Schädlers neue Arbeiten lösen sich stark von
den althergebrachten Ausdrucksformen, er hat sich von ihnen
frei gemacht und in diesen Essays widerspiegelt sich auch der
Aufbruch einer Kulturlandschaft zu einer Kunst, die die bishe-
rigen Schranken sprengt, aber in all der Freiheit die Züge jener
Gelassenheit trägt, die mit den alten Zeiten nicht abrechnet,
sondern ganz einfach den Radius und den Horizont ausdehnt.
losef Schädler hat seine neue Dimension entdeckt und wer ihn
und sein Werk kennt, wird ihm seine Ressentiments, die im
ınteren Stock der Galerie hängen, nicht übel nehmen. Kunst
stellt viele Fragen und sucht nach Antworten, die immer un-
verbindlich und undogmatisch sein werden. Schädler präsen-
:jert sich in Vaduz als ein Künstler, der plötzlich von Zweifel
gepackt wird, ob das, was er zu wissen und zu empfinden
glaubte, auch alles sei.
Schon allein dieses Spannungsfeld setzt interessante und
erlebenswerte Akzente.
Apr
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