Volltext: Was will Liechtenstein sein?

«Es ist schwer einzusehen, weshalb der Landesfürst [...] verbissen an seinen Verfassungskonstruktionen festhält, die weder mit der wirt- schaftlichen Dynamik [...] noch mit den aussenpolitischen Ambitionen des Fürstentums in Einklang zu bringen sind. In seinem technokrati- schen Kalkül hat Hans-Adam II. offenbar zu wenig in Rechnung ge- stellt, dass die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen auch Auswirkungen auf die Innenpolitik nach sich zieht. Sollte sich der Fürst dieser Einsicht verschliessen und den europäischen demokratischen Mi- nimalstandard nicht akzeptieren, sind weitere Strapazen unausweichlich, auch deshalb, weil die Staatenwelt der Respektierung der Grundrechte wachsende Beachtung schenkt. Eine Überforderung der zahlenmässig schwachen politischen Elite wäre nur eine Frage der Zeit.» Liechtenstein, in welchem von 1938 bis 1997 die politischen Par- teien gemeinsam eine Regierung bestellten (so genanntes Ko-Opposi - tionsmodell), leistet sich heute ein Mehrheits-/Oppositionsmodell und eine Halbierung der Kräfte – in einer Zeit, wo die Parteien personell und fachlich kaum mehr in der Lage sind, die Probleme zu bewältigen. Umfassten die Regierungsberichte und -vorlagen an den Landtag sowie die Landtagsprotokolle zusammengenommen noch in den Sechzi- gerjahren jeweils zwei Jahresbände, so füllen etwa 1999 allein die Regie- rungsberichte und -vorlagen an den Landtag neun volle Bände. Die vom Volk gewählten Abgeordneten stehen unter dauernder «Zeit-, Sach- kunde- und Bewertungsnot» (Kurt Eichenberger). Ein kleines Heer von inzwischen mehr als sechshundert Beamten und Angestellten (ohne Lehrer und Beschäftigte in öffentlichrechtlichen Instituten) arbeitet in der Staatsverwaltung. 1999 wurden überdies drei Millionen Franken für auswärtige Gutachten ausgegeben, eine Summe, die heuer schon Ende August erreicht war. Der Bürger findet sich einem stets grösser werdenden und mit einheimischen Kräften nicht genüg - lichen Beamtenapparat gegenüber. Das Privileg des überschaubaren Landes, wo jeder jeden kennt, Staat und Heimat gleichsam zusammenfallen, erodiert. Dass an unseren Gerichten auch ausländische Richter tätig sind, hat alte Tradition. Doch ebenfalls die liechtensteinischen Richter am Menschengerichtshof und am EFTA-Gerichtshof sind Nichtliechten- steiner. Liechtenstein ist nahezu überfordert, in der komplex gewordenen, dynamisch sich weiter entwickelnden und verändernden Welt den Über- 188Texte 
aus dem Nachlass von Gerard Batliner
	        

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