Reisen bildet - Wanderjahre
im kulturgeschichtlichen Rückblick lassen sich sehr verschiedene
Formen des Reisens ausmachen. Üblicherweise wird mit der
Renaissance die Entdeckungsreise und mit dem bürgerlichen Zeit-
alter die Bildungsreise in Beziehung gebracht, während der Jetzt-
zeit der Tourismus zugeordnet wird. Würde man diese Einteilung
feiner gliedern, wäre festzustellen, dass Form und Ziel des Reisens
in ihrer Art und Bedeutung immer den Lebensstilen der jeweiligen
Epochen entsprechen. So lässt sich eine Expedition kaum mit
einer Pilger- oder Bildungsreise vergleichen.
Reisen blieb bis ins 18. Jahrhundert einer gesellschaftlichen Min-
derheit vorbehalten. Es war spezifischen Zwecken unterworfen,
sodass auf den Strassen in erster Linie Soldaten, Kuriere, Staats-
männer, Gelehrte, Studenten, Bettler, Pilger, Kaufleute, Spielleute,
Kleriker, Handwerker und Verbrecher anzutreffen waren. Reisen,
die keinem pragmatischen Zweck dienten, waren ein Privileg der
herrschenden beziehungsweise wohlhabenden Klasse. Je stärker
unter den nachrückenden sozialen Schichten die Zahl jener
zunahm, die in der Lage waren, diesen Lebensstil nachzuahmen,
desto mehr wurde das Reisen im Laufe der Zeit zur gesellschaftli-
chen Normalität.
Nicole D. Ohneberg
Gedanken über die Art des Reisens
Die Schriftsteller mit ihren Naturschilderungen und die Maler mit
ihren Landschaftsbildern bereiteten die Reisenden darauf vor, wie
Natur, Landschaft oder Kulturstätten «richtig» zu sehen und zu
erleben seien. Und da das Wandern eine besonders dichte, sinnli-
che Erfahrung verspricht, wird es zu einer wichtigen Übung in der
kulturellen Praxis der Bürger. Letztlich steht für dieses lernende
Reisen jenes goethesche Modell der bürgerlichen «Lehr- und Wan-
derjahre» Pate, wonach die Erfahrung der Weite und die Vielfalt
von Natur, Kultur und Gesellschaft, vor allem aber die Selbstfin-
dung des eigenen Ich in der Fremde, als wichtigste Schule bürger-
licher Charakterbildung dienen. Auch Egon Rheinberger hat diese
wandernde Reiseerfahrung gemacht, war er doch des Öfteren zu
Fuss unterwegs - natürlich nicht ausschliesslich. Falls vorhanden,
nutzte er auch andere Fortbewegungsmittel wie beispielsweise das
Schiff, so beschrieben in einem Brief, den er auf seiner Italienreise
verfasste.
Nachfolgend werden die eindeutig mit Quellen belegbaren Reisen
Egon Rheinbergers beschrieben. Diese sind in zwei Bereiche
Aaisen bildet — Wandertiar: