Volltext: Liechtensteinisches Verfassungsprozessrecht

dann gelten, wenn sich die entscheidende Behörde bei unklarer Sachlage entscheidungswesentlich auf umstrittene Tatsachen und Beweismittel beruft, zu denen sich der Beschwerdeführer nicht äussern konnte.484Zu- lässig ist es dagegen, einen Verfahrensbeteiligten vor einer gerichtlichen Entscheidung nicht zu einer vom Gericht eingeholten Stellungnahme einer anderen Behörde zu Wort kommen zu lassen, weil diese eingeholte Stellungnahme für das Gericht offensichtlich irrelevant oder von vorn- herein bindend gewesen ist.485 Diese Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, wonach das recht - liche Gehör nur dann verletzt ist, wenn die Verfahrensbeteiligten keine Möglichkeit hatten, sich zu entscheidungserheblichen Beweisunterlagen und Tatsachenfeststellungen in irgendeiner Form mitteilen zu können, steht nicht im Einklang mit der Praxis der Strassburger Organe. Danach haben die Verfahrensbeteiligten Anspruch darauf, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äussern (Art. 6 EMRK). Dies erfordert, «dass sie den Vortrag der Gegenseite und alle Beweisunterlagen zur Kenntnis- und Stellungnahme mitgeteilt bekommen, gleich ob sie von der Gegenseite vorgelegt oder von Amts wegen eingeholt worden und ob sie entscheidungserheblich sind oder nicht».486 Die vom Staatsgerichtshof praktizierte Einschränkung auf die Ent- scheidungserheblichkeit von Tatsachenfeststellungen und Beweismitteln ist daher wohl nicht haltbar.349 
§ 21 Anspruch auf rechtliches Gehör 484StGH 1998/24, Urteil vom 27. September 1999, LES 2/2002, S. 65 (69 f.). 485StGH 1996/41, Urteil vom 27. Juni 1997, LES 4/1998, S. 181 (184); StGH 2003/29, Urteil vom 1. März 2004, nicht veröffentlicht, S. 17. 486Frowein/Peukert, Art. 6, Rz. 72. Siehe auch Villiger, Neuere Entwicklungen, S. 76, der ausführt, dass sich die Parteien nach der Rechtsprechung des EGMR grund- sätzlich zu allen Unterlagen des Verfahrens sollen äussern können. Vgl. dazu auch das Urteil des EGMR (Dritte Sektion) vom 19. Mai 2005 über die Beschwerde Nr. 6 151.00 im Fall Steck-Risch u.a. gegen Liechtenstein, LES 2/2006, S. 53 (57 f.), in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Nichtzustellung einer Stellungnahme zur Gegenäusserung als Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK be- trachtet hat. Vgl. in diesem Zusammenhang auch StGH 2003/90, Urteil vom 1. März 2004, LES 2/2006, S. 89 (91 f.) sowie StGH 2003/91, Urteil vom 1. März 2004, nicht veröffentlicht, S. 7 ff.; ähnlich auch StGH 2006/28, Urteil vom 2. Oktober 2006, nicht veröffentlicht, S. 29, das auf StGH 2003/90 Bezug nimmt.
	        

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