Volltext: Kleinstaaten in Europa

Schweizer Politikwissenschaftler verfolgt die Geschichte der Mischver- fassung bis in die Gegenwart und diskutiert ausführlich den Strang der Reichspublizistik, der das Römischdeutsche Reich als Mischverfassung charakterisiert. Der Schweizer Jurist Johann Caspar Bluntschli steht in dieser Tradition, wenn er in seiner «Deutschen Statslehre für Gebildete», 1874 erschienen und bald schon in zweiter Auflage verbreitet, dem 
zu- sammengesetzten Staat– er zeichnet sich aus durch Mischverfassung – ein eigenes kleines Kapitel widmet.21Wissenschaftliche Karriere gemacht hat dieser Begriff jedoch erst in den letzten drei Jahrzehnten, und zwar in englischer Übersetzung als 
composite stateoder composite monarchy. Mit diesen Begriffen – wörtliche Übersetzungen könnte man meinen, sei es von Bluntschlis 
zusammengesetzter Staatoder von Samuel von Pu- fendorfs 
respublicae compositae, die er den 
respublicae simplicesgegen- überstellt,22doch die Autoren scheinen das deutsche und das lateinische Quellenwort nicht zu kennen – haben zwei angesehene britische Früh- neuzeithistoriker, Helmut Georg Koenigsberger 1975 und John H. El- liot 199223, die Staatenwelt im frühneuzeitlichen Europa charakterisiert. 102Dieter 
Langewiesche 21J. C. Bluntschli: Deutsche Statslehre für Gebildete. Nördlingen 1874, S. 142–149. Eine erweiterte 2. Auflage ist 1880 erschienen. In anderen Studien hebt Bluntschli hervor, dass verschiedene Nationen in einem Staat zusammenleben können. Darin sieht er die höchste Form von Staatlichkeit, nicht in dem national homogenen Staat. Auch dies lässt sich als Kontinuität zur Organisationsform des zusammengesetzten Staates verstehen. So deutet er die Schweiz als einen mehrnationalen Zusammen- schluss von Kantonen, die ihrerseits «durchweg nationale Staaten» seien; Bluntschli: Die nationale Staatenbildung und der moderne deutsche Staat. Ein öffentlicher Vor- trag. Berlin 1870, S. 25; vgl. Bluntschli: Die schweizerische Nationalität (1875), in: Bluntschli: Gesammelte kleine Schriften. Bd. 2. Nördlingen 1881, S. 115–131. 22Vgl. Franz Bosbach: Mehrfachherrschaft – eine Organisationsform frühmoderner Herrschaft, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.): Membra unius ca- pitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640–1688). Berlin 2005, S. 19–34, S. 20. 23H[elmut] G[eorg] Koenigsberger: Dominium Regale or Dominium Politicum et Re- gale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europa, in: Koenigsberg: Poli- ticians and Virtuosi. Essays in Early Modern History. London 1986, S. 1–25; J[ohn] H. Elliott: A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992)   S. 48–71. Vgl. auch Harald Gustafsson: Conglomerates or unitary states? Integra- tion processes in early modern Denmark-Norway and Sweden, in: Thomas Fröschl (Hrsg.), Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der frühen Neuzeit vom 15. bis 18. Jahrhundert. Wien/München 1994, S. 45–62. Gustafsson spricht, ohne Koenigsberger oder Elliot zu erwähnen, auch von «con- glomorate empires».
	        

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