Volltext: Kleinstaaten in Europa

5.FAZIT UND AUSBLICK INS 20. JAHRHUNDERT Mit dem deutschen und dem italienischen Nationalstaat schien sich das Schicksal derjenigen Kleinstaaten, die bis dahin die Zentralisierungs- schübe des 19. Jahrhunderts überlebt hatten, entschieden zu haben. Bis auf ganz wenige waren sie alle von den Nationalstaaten aufgesogen wor- den. Nur Staaten, die sich fähig zeigten, als Nationalstaaten anerkannt zu werden, überstanden die Zentralisierungsschübe des 19. Jahrhunderts. Zu den wenigen Ausnahmen gehört Liechtenstein54, wie auch An- dorra, Monaco, San Marino. Jede dieser Überlebensgeschichten fällt aus dem Normalverlauf der Staatsbildungen im 19. Jahrhundert heraus. Sie verstanden sich nicht als Nationen und wurden auch von den Nachbarn nicht als Nationen angesehen. Deshalb fehlte ihnen im Verständnis des 19. Jahrhunderts eigentlich die Staatsfähigkeit. Eine Nation zu sein, wurde im 19. Jahrhundert zur Vorbedingung für den eigenen Staat. Doch nicht jede Nation galt dem 19. Jahrhundert als staatsfähig. Dass «die Gedanken Gottes sich gleichsam» im «Leben grosser Nationen verkörpern»,55war nicht nur eine Überzeugung des eher konservativen deutschen Historikers Wilhelm Giesebrecht. Diese Überzeugung teilten auch, allerdings ohne Berufung auf Gott, Republi- kaner wie Mazzini und die Gründerfiguren des Marxismus, Karl Marx und Friedrich Engels. Nur denjenigen Nationen erkannte das 19. Jahr- hundert ein Recht auf den eigenen Nationalstaat zu, die sich fähig zeig- ten, ihn zu erkämpfen. Und das hiess, fähig zu sein zum Krieg. Der Va- ter aller neuen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts war der Krieg. Al- lesamt waren sie Kriegsgeburten. Nicht einmal die Schweiz macht davon eine Ausnahme. Jede Nation, die sich ihren Nationalstaat erkämpfen wollte, sei es durch Sezession aus multinationalen Reichen oder durch Integration 115 
Der europäische Kleinstaat im 19. Jahrhundert 54Nachdem Liechtenstein als Glied des Deutschen Bundes das Kleinstaatssterben zu Beginn des 19. Jahrhunderts überlebt hatte, war die Auflösung des Bundes und die Gründung des Deutschen Reiches die nächste Krisenphase. Wie Liechtenstein ge- meinsam mit Luxemburg, aber ohne Neutralitätsschutz diese Gefahrenzeit über- lebte, zeigt Peter Geiger: Geschichte des Fürstentums Liechtenstein 1848 bis 1866. Schaan FL 1971 (phil. Diss. Universität Zürich). 55Wilhelm Giesebrecht, Die Entwicklung der modernen deutschen Geschichtswis- senschaft, in: HZ 1, 1859, S. 1–17, S. 8 (Zitat umgestellt).
	        

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