Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

d. h. befahl verschiedene Aenderungen in den kirchlichen Ge 
bräuchen, so die Herrichtung von Czarenthoren in den unirten 
Kirchen, die Anlegung der Popentracht seitens der unirten 
Priester :c. 
Ein Jahr später berichtet derselbe englische Generalkonsul, 
t>dfi die Reformen in der unirten Kirche und die Einführung 
beS griechischen RituS „mii Energie" weitergeführt werden, 
Widerstand „sott mit starker Hand" niedergedrückt und Anreger 
desselben sollen streng bestrast werden; eS sollen wohlgesinnte 
Geistliche für etwaige VermögenSbefchädigung Ersatz erhalten, 
widerspenstige Geistliche dagegen verbannt werden. Der Gene 
ralkonsul meldet weiter die Einsetzung einer „JnquisitionSkom- 
mission" in Siedlce. 
Die folgenden Berichte aus Warschau erzählen schon von 
Dragonaden, Stockschlägen und blutigen Kämpfen. 
Am 29. Januar 1874 theilt der Generalkonsul mit, in den 
Don den Uniten bewohnten Gouvernements von Siedlce und 
Lublin seien Unruhen ausgebrochen, „welche Blutvergießen, 
Verlust von Menschenleben und die barbarische BeHand- 
iung der Bauern zur Folge haben". Der schismatische Ad- 
ministrator der Chelmer Diözese, Popiel, hatte an den Grafen 
Tolstoi einige Monate vorher gemeldet, daß die kaiserlichen 
Verordnungen nur theilweise befolgt werden. Darauf über- 
sandte Tolstoi an Popiel ein Circular, durch welches die 
unirten Geistlichen zur Einführung strengster Umformitat mit 
der schismatischen Kirche, zur Abschaffung von Bänken, Orgeln, 
Kanzeln, Rosenkranz, Schellen bei der h. Messe, deS polni 
schen Gesanges u. s. w. angehalte n wurden. Viele Priester 
kamen diesem Befehle nach. Doch die Laien wollten die Kirche 
der untreuen Priester nicht besuchen und bedrohten diese mit 
dem Tode. Die Behörden sandten gegen die Bauern eine 
Abtheilung Soldaten; drei Bauern wurden todtgeschlagen 
und viele verwundet. Auch einige Kosaken wurden von 
den Bauern getödtet. Durch besondere Grausamkeit gegen die 
unirten Bauern zeichneten sich die Offiziere auS. Im Dorfe 
Minciewicz wollten die Bauern den abtrünnigen Priester nicht 
in die Kirche hineinlassen, sie wurden dafür alle eingefangen, 
und erhielten die Männer je 50, die Frauen je 25 und die 
Kinder je 10 Kn Uten hiebe Alle ohne Ausnahme; eine 
Frau erhielt sogar über 100 Schläge. Tie Gefängnisse in 
Siedlce waren überfüllt und so wurden die Gefangenen meisten« 
theils in den Hofräumen gehalten, was bei der strengen Kälte 
«ine abscheuliche Maßregel war. Die Gutsbesitzer und Inspek 
toren verließen die Gegend, weil sie von den Bauern um 
Schutz ersucht wurden, ohne diesen gewähren zu können. 
Laut einem Bericht auS dem nächsten Monat haben die 
geschilderten Verfolgungen in verschiedenen Gegenden stattge 
funden; häufig gab eS beiderseits Todte und Verwundete. 
Am 7. Marz meldet der Generalkonsul: Die ganze Gegend 
Wimmele von Truppen; die Metzeleien nähmen ihren steten 
Fortgang. Wo sich Widerspruch zeige, werde gleich so viel 
Militär in den Ort gelegt, daß dieser dadurch ruinirt werde. 
Außerdem werden bedeutende Contributionen erhoben. Die 
Bauern versammeln sich vor Tagesanbruch, um zu beten; für 
die Absingung von Hymnen seien sie zu Gesängniß von 15 
bis 30 Tagen verurtheilt. Die Bauern hätten beschlossen, 
lieber die Kirchen zu verbrennen, als zu gestatten, daß darin 
die anbefohlenen Reformen eingeführt werden. Der Gouver- 
neur von Lublin sei ein parteiischer Mann und seine Unter- 
beamten sehr ungerecht. 
Und am 12. Juni: Die meisten unirten Kirchen seien schon 
mit „reform"freundlichen Geistlichen besetzt; die Bauern mieden 
jedoch allen Verkehr mit ihnen; sie ließen ihre Kinder nicht 
taufen, die Ehe nicht einsegnen und beerdigten die Todten im 
Dunkel der Nacht. In den wichtigsten Fällen gingen sie in 
die katholischen Kirchen, die oft 80 bis 100 Werst (=* Kilo 
meter) entfernt lägen. 
Zu Neujahr 1875 berichtet der Generalkonsul: Die Bauern 
ständen unsägliche Leiden aus. In einem Dorfe habe ein 
Bauer sich und seine Familie mit Kohlendampf erstickt, um 
die Taufe eineS Kindes durch den Popen zu verhindern. Die 
Bauern bivouakirten im Walde und litten dort große Roth. 
Die Kosaken halten Befehl erhalten, sie „niederzujagen" 
unv in die Dörfer zurückzutreiben. Da die Kosaken die Saaten 
verheerten, ließen die Bauern an vielen Orten die Aecker un> 
bestellt; sie vermietheten sich als Arbeiter an die Domanial- 
besitzet. Diese würden dadurch in eine schwierige Lage ge- 
bracht. Wo die Polizei von solchem Verbältniß Wind bekäme, 
werde der betreffende Besitzer sofort unter Polizeiaufsicht gestellt. 
Durch diese Grausamkeiten glaubte man das Volk mürbe 
genug gemacht zu haben, um die berüchtigten „Massenüber- 
tritle" in Scene zu setzen. Am 27. Januar meldet das Or- 
gan der russischen Regierung, daß 50.000 Seelen und 26 
Priester den Czaren „um die Erlaubniß" gebeten hätten, in 
die russische Kirche überzutreten, und daß der Czar allergnä- 
dlgst geruht babe, diese „Bitte" zu gewahren. Am folgenden 
Tage paradüte in dem amtlichen Blatte bereits eine „Ergeben- 
heitöadreffe" der „Bekehrten." 
Man entsetzt sich wahrlich über diese unerhörte Heuchelei 
und schamlose Verlogenheit, wenn man den Bericht deS Gene 
ralkonsuls vom 29. Januar vergleicht. Darin theUt er mit, daß 
der „Massenübertritt durch verschiedene Mittel zu Wege ge- 
bracht worden, worunter Mißhandlung ein nicht unbedeutendes 
Element bildet." Die Kraft der Bauern war nämlich durch die 
vorhergehenden Quälereien noch nicht gebrochen; man mußte 
neue Gewalt mit Lug und Trug vereinigen, um die Uebertritte 
fertig zu stellen. In einigen Gemeinden wurden die Wider 
spenstigen herausgegriffen und nach Sibirien verbannt. Die 
Uebrigen gaben nach, als sie sahen, daß alle ihre Habe von 
Kosaken verzehrt wurde. In einem Orte, welchen der Konsul 
als Beispiel herausgreift, wurden die Bauern geprügelt, 
bis die Militärärzte erklärten, weitere Schläge 
würden ihr Leben gefährden. Sodann wurden sie ge- 
waltsam durch einen halbgefrorenen Strom getrieben, 
in welchem sie bis über die Hüften im Wasser gingen. Zwi- 
schen Soldatenspalier wurden sie in die Pfarrkirche getrieben 
und zur Unterzeichnung der Bittschrift an den Czaren ^ 
zwungen. Beim Herausgehen riefen sie: „Ihr mögt uns 
orthodox nennen, allein wir bleiben in dem Glauben unserer 
Väter". Nachdem die Bittschriften unterzeichnet worden waren, 
wurde eine Anzahl Bauern gezwungen, sie als Delegirte den" 
Behörden einzureichen und dem ErMschof ihre Unterwerfung 
anzuzeigen. „Die Maßregeln" — sagt der Konsul — „sind 
dem sehr ähnlich. waS zwischen 1835 und 1838 in Litthauen 
vorging, als über 1,000,000 unirter Griechen durch gute und 
böse Mittel in die Orthodoxie übergeführt wurden." 
Am 10. Februar berichtet er weiter: Unter den Unter- 
Zeichnern der „Bittschrift" um Aufnahme in die schismatische 
Kirche herrschte große Gährung und Aufregung. Sie erklären, 
nicht gewußt zu haben, waS sie unterschrieben, und erachten 
ihre Unterschrift nicht für bindend. Abgesandte, welche die 
Bittschrift überreicht hatten, seien bei 5er Rückkehr mißhandelt 
worden. Die Popen hätten dann andauernden Schutz der 
Polizei angerufen. Das Kosakenkontingent sei erheblich ver- 
stärkt worden. Der Konsul glaubt, daß die Regierung einen 
. Erfolg erzielt habe; einige Generationen werden sich wehren, 
in 30 Jahren werde aber Alles gut orthodox sein. 
Am 24. April hatten die „Bekehrungen" schon beträchtlich 
an Umfang zugenommen. Im Gouvernement Lublin waren 
weitere 25,000 Uniten in die russische StaatSkirche hineinge- 
zwungen; auS den „bekehrten" Gegenden entfernte man vor- 
fichtiger Weise die wenigen katholischen Priester, obschon diese 
sich sehr vorsichtig verhielten. 
Ehe etn Monai verfloß, waren sümmtliche Unirte bis auf
	        

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