Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

Gesammtministerium gerichtet, in welcher auS Anlaß der Er- 
eignisse im Orient die Frage gestellt wurde: „Ist die kaiser- 
liche Regierung in der Lage über die Haltung der Monarchie 
beim Ausbruch und dem eventuellen Verlaufe des russisch-tür- 
tischen Krieges Auskunft zu ertheilen, und, im bejahenden Fall, 
Welche Ziele und Zwecke werden vom gemeinsamen Ministerium 
inS Auge gefaßt, un» wie gedenkt eS dieselben zu erreichen?" 
Ich habe die Ehre diese Interpellation im Namen deS Gesammt- 
Ministeriums mit den folgenden Eröffnungen zu beantworten: 
Die Haltung der Monarchie beim Ausbruch deS russisch-türki- 
schen KriegS entspricht derjenigen, welche sie seit der Dauer 
der orientalischen Verwicklungen eingenommen und konsequent 
beobachtet dat. Ihre Bemühungen um die praktische Verbesse- 
rung des Looses der Christen im Orient sind bekannt und 
Wurden allseitig gewürdigt. Gleichzeitig waren ihre Bestrebungen 
auf die Erhaltung deS Friedens und als diese unmöglich ge- 
worden, auf Lokalisirung des KriegS gerichtet. Nachdem es 
den Bemühungen der Machte nicht gelungen den Krieg zwischen 
Rußland und der Türkei hintanzuhalten, sieht sich die k. und 
. Regierung vor eine doppelte Aufgabe gestellt: erstens, alles 
aufzubieten, damit der Krieg keine europäische Komplikation im 
Gefolge habe, und zweitens bezüglich der Konsequenzen des 
Krieges auf die definitive Gestaltung der Dinge im Orient 
denjenigen Einfluß unter allen Umstanden zur Geltung zu 
bringen, welcher der Lage sowie den Interessen der Monarchie 
entspricht. Zur Wahrung dieser Interessen behalt sich die k. 
und königliche Regierung auch nach Erklärung der Neutralität 
Oesterreich-UngarnS die Freiheit ihrer Aktion vor. Es ist du 
k. und k. Regierung bisher gelungen, der Entwicklung der 
Ereignisse ohne militärische Vorkehrungen zu folgen. Hei wird 
ihrem Grundsatze, den Staatshaushalt durch keine unmotviirte 
Mobil,sirung zu belasten, treu bleiben und erblickt auch jetzt 
keinen Anlaß zu militärischen Maßnahmen. Andrerseits ist die 
Regierung sich bewußt, daß keine Macht im europäischen Orient 
näherliegende hochwichtige Interessen wahrzunehmen hat ulS 
Oesterreich-Ungarn. Sie kennt auch ihre Verantwortung in 
vollem Maße. Bei alledem sieht die Regierung den Ereig- 
nissen.mit Zuversicht entgegen. Sie schöpft diese Zuversicht 
aus den entschieden freundschaftlichen Beziehungen zu allen 
Mächten, auS der Offenheit mit der sie die Zielpunkte der 
österreichisch-ungarischen Politik nach jeder Richtung rechtzeitig 
zum Ausdruck gebracht hat, endlich aus der Ueberzeugung, daß 
Se. Majestät der Kaiser und König, wo eS die Interessen 
der österreichisch-ungarischen Monarchie zu schützen gilt, auf vie 
Hingebung seiner Völker und den Patriotismus ihrer Vertreter 
mit voller Sicherheit zählen kann. In dieser Zuversicht, sowie 
in dem Kraftge fühle, welches der Besitz einer durch die Vor- 
auSsicht der VertretungSkörper erfolgreich entwickelten HeereS- 
macht verleiht, sieht sich die Regierung auch gegenwärtig noch 
in der Lage, der Stimme Oesterreich-UngarnS ohne Ergreifung 
militärischer Maßnahmen die nöthige Beachtung zu sichern." 
Deutschland. Der deutsche Kaiser bereist gegenwärtig die 
„Neuen deuttchen Reichslande" „Elsaß Lothrmgen". Er wurde 
in Straßburg festlich empfangen und ist seitdem nach Metz 
weiter gereist. 
China. Nach einer Korrespondenz der „Times" aus 
Schanghai vom 15. März wüthet im Norden Chinas eine 
entsetzliche HungerSnoth, die sich von der indischen dadurch 
unterscheidet, daß von Sekten der Regierung so gut wie nichts 
zur Linderung deS Unglücks geschieht. Tausende sterben den 
Hungertod, hauptsächlich im äußersten Norden von Kiangsu, 
in Schantung, Petschili und Schanse. Die Berichte der prote- 
stantischen Missionäre — diese vertheilen die von ausländischen 
Gemeinden zusammengebrachten Gaben — schildern vor allem 
in Schantung die Noth a^S das denkbar schrecklichste Schau- 
spiel, hervorgerufen durch die Dürre des vorigen SommerS. 
Die Leute nähren sich theilweise von Blättern und Stängeln, 
Tausende aber (so meldet ein Herr Richard) haben nicht ein- 
mal daS, und sterben, nachdem sie ihre Kleider und ihre Kinder 
verkauft haben Viele kriechen, wenn sie keine Kleidung mehr 
besitzen, in unterirdischen Gruben zusammen. In der östlichen 
Vorstadt von Tschingtschau sind vier solcher Gruben. Ein 
Drittel der 240 Flüchtlinge war nach sechs Wochen todt; um 
den Platz eines Umgekommenen streiten sich die Lebenden. A«S 
Dörfern von 500 Familien werden 300 Fälle von Hunger- 
tod gemeldet. Allen diesen Schrecknissen gegenüber hat die 
chinesische Regierung nichts gethan als die jämmerliche Sum- 
me von etwa 14,000 Psd. St. auf die Gesammtheit der acht 
leidenden Distrikte anzuweisen. Die Leute erhalten auf diese 
Weise täglich % Penny. Täglich nimmt (so heißt eS in dem 
Briese Richards) die Sterblichkeit zu. Schnee bedeckt den 
Boden, und die armen Geschöpfe können nichts bekommen um 
ihren Hunger zu stillen. Nach drei Monaten werden einige 
Kräuter wachsen und die Bäume in Laub stehen, jetzt bietet 
der gefrorene Boden lediglich Todengrüfte. 
/ 
Veychiedenes. 
Badnz. Musikfreunden können wir die in Wien (t. 
Führichgasse 3) seit 4 Jahren erscheinende und bereits sehr 
verbreitete „E M. Ziehrer'S Deutsche Kunst- und 
Musik-Zeitung" bestens empfehlen. Dieses Blatt er- 
scheint jeden 8 Tag und enthält jede Nummer 1 bis 4 Ori 
ginal-Kompositionen, bestehend aus Salon Piöcen, Tanzstücken, 
Potpourris, TranSfkriptionen., Operetten zc., und zwar für 
Klavier, Harmonium, Zither, Violine, Cello, Flöte k , dann 
Lieder für ei«e und mehrere Singstimmen, sowie Männer-Chöre. 
Der tätliche Theil ist gleichfalls sehr reichhaltig; nebst auS- 
führlichen Besprechungen auS dem Gebiete der Musik, Theater, 
Literatur zc., enthält er gediegene und äußerst spannende Er- 
zähluNgen, Novellen, Romane :c., auS der Feder der berühm- 
testen Schriftsteller der Gegenwart. Endlich bringt jede Nummer 
ein vorzüglich ausgeführtes Künstlerportrait nebst Biographie. 
Wir können daher auch sagen, daß die Deutsche Kunst- und 
Musik-Zeitung im besten Sinne ein Familienblatt ist, welches 
den Musikliebenden ebensowohl Unterhaltung gewährt, als es 
zur Förderung ihrer Studien beiträgt 
$ 
* Der AuSwanderungSmord auf den Bergwiesen in Utah« 
Newyork, 25. März 
„Mord spricht mit wunderbaren Zungen!" Wie mannig- 
fache Bestätigung auch das furchtbare Dichterwort bereits ge- 
funden, eine furchtbarere ift ihm wohl noch selten zu Theil ge- 
worden, als jene, die vor zwei Tagen auf den Bergwiesen 
(Mountain meadows) deS in'S Herz deS großen Westens der 
Union eingebetteten Mormonen-TerritoriumS Utah in der Er- 
schießung deS Mormonenbischofs John de Lee zum blutigen 
AuStrag kam. — Seit Jahren bat der Name dieser Mountain 
meadows einen unheimlichen, räthselhaften Klang gehabt. Sie 
waren die Stätte eines jener Verbrechen gewesen, bei dem sich 
religiöser Fanatismus und Habgier vereinigt hatten, um Allem, 
was unmenschlich und grausam ist, ein Bacchanal zu bereiten, 
für welches man selbst aus den dunkelsten Blättern deS ISlamS 
vergebens nach einem Seitenstück sucht. 
Am 16. September 1857 war auf diesen Bergwiesen ein 
auS 120 Köpfen — Männer, Greise, Weiber und Kinder — 
bestehender AuswanderungSzug, der sich auf dem Wege nach 
dem kalifornischen Kanaan befand, abgeschlachtet und die Habe 
derselben von Indianern und Mormonen als Beute davonge- 
schleppt worden. DaS Gerücht von der Gräuelthat drang 
schnell genug über daS Felsengebirge, und mit ihm die Gewiß- 
heit, daß eS sich hier nicht bloß um eine Indianer -Unthat 
handle, wie von den Mormonen behauptet wurde, sondern daß 
die Heiligen selbst daran ihren vollen Antheil gehabt. — Aber
	        

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