Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

Wenigstens spricht ein Anzeichen dagegen, nämlich die Ungnade 
in welche General Jgnatieff gefallen. Es ist dies keine Un- 
gnade auf welche so leicht eine Rehabilitirnng folgen könnte, denn 
der General Jgnatieff ist es auf welchen mit Recht der Vor 
wurf fällt den Zaren durch falsche Berichte über die türkischen 
Zustände und die Widerstandsfähigkeit der Türkei irregeführt zu 
haben. Man spricht es bereits offen aus daß es vielleicht gar 
nicht zu dem russisch-türkischen Kriege gekommen wäre, wenn 
Jgnatieff nicht auf denselben hingearbeitet hätte. Wie über die 
türkische Armee, hat man sich freilich auch über die eigene ge- 
täuscht. Daß man sich von den Niederlagen bei Plewna trotz 
aller Zuzüge nicht erholen kann, hat hauptsächlich in der tiefen 
Demoralisation der Truppen seinen Grund. Neben dem mora- 
tischen ist der physische Zustand derselben ein Hemmniß für die 
russische Kriegführung. Allerlei Krankheiten herrschen unter den 
Truppen, und zwar nicht bloß unter jenen die bereits die Donau 
-überschritten haben, sondern auch unter den in Rumänien auf 
dem Durchzuge befindlichen, und die Außerachtlassung aller sani- 
tären Borschristen ist die Ursache. Die Syphilis herrscht in 
solcher Weise, daß ganze Divistonen im Vormarsche gehindert 
werden. Die Unzufriedenheit in Rumänien wächst mit jedem 
Tage. Die Lieferanten werden nicht bezahlt und sind zum Theil 
bereits ruinirt. Man erinnert sich mit Schrecken an den Krim- 
krieg, in welchem die Lieferungen gleichfalls mit Bons bezahlt 
wurden, die aber erst nach 15 Jahren zur Einlösung gelangt 
sind. Die Gerüchte von über kurz oder lang zu gewärtigenden 
Friedensverhandlungen werden in den russischen Kreisen durchaus 
nicht so ungünstig aufgenommen wie man im Auslande glaubt. 
Fällt die nächste Schlacht zu Ungunsten Rußlands aus, so wird 
man wohl die Geneigtheit der Pforte auf die Autonomisirung 
Bulgariens einzugehen in Erwägung ziehen. Es gibt unter- 
richtete Leute welche meinen, daß sich zwischen den etwaigen tür- 
kischen Zugeständnissen und der russischm Forderung, daß Bnl- 
garien in einen selbständigen Staat verwandelt werde, ein Mittel- 
weg finden lasse, wenn man nämlich, da an eine rnssische 
Secnndogenitur nicht mehr zu denken ist, einen mohamedanischen 
Prinzen an die Spitze Bulgariens stellte. Die Blicke richten 
sich sogar bereits auf den ägyptischen Prinzen Hassan, von dem 
man annimmt, daß er eine geeignete Persönlichkeit wäre, gegen 
dessen Erhebung auf den „bulgarischen Thron" auch England 
vielleicht nichts einzuwenden hätte. 
Neueste Nachrichten. 
Wien, 20. Aug. Die Presse meldet aus Bukarest: 
Das VII. und das X. Armeecorps sind bereits vollständig auf 
dem rechten Oonan-Ufer. Bei Plewna fanden gestern Vorposten- 
kämpfe statt. Die russische Cavallerie unterbrach die Verbindung 
Osman Paschas mit Sophia. 
Konftantinopel, 20. Aug. Es geht das Gerücht: Sulei- 
man Pascha habe sich mit Mehemed Ali Pascha auf der Straße 
nach Tirnowa vereinigt. Aus der Umgebung von Tirnowa 
wird ein Vorpostengefecht signalisirt. 
Et. Petersburg, 21. Aug. Der „Russische Invalide" 
meldet: Der General der Artillerie, Generaladjutant Baranzew, 
beendete eben die Besichtigung der Ostsee-Festungen Wiborg und 
Sweaborg. Dieselbe ergab daß sich alles in gutem Zustande 
befinde. Das praktische Zielschießen ergab sehr gute Resultate. 
Baranzew drückte dem Commandanten seine Zufriedenheit aus, 
ebenso den Officieren und Mannschaften. 
Belgrad, 21. Aug. Fadejeff ist mit General Hidrof aus 
Rumänien hier angekommen. Gestern trKf aus Montenegro 
Wesselitzky ein, und wurde am Abend vom Minister des Aeußeru, 
Ristitsch, empfangen, worauf ein bis 4 Uhr früh dauernder 
Ministerrath stattfand, dessen Beschlüsse jedoch noch unbekannt sind. 
Konstantinopel, 20. Aug. Der serbische Bevollmächtigte, 
Christitsch, erklärte heute der Pforte: in Serbien sei von einer 
angeblichen Absicht Rußlands, einen Theil der russischen Armee 
durch Serbien marschiren zu lassen, nichts bekannt. Ebenso 
sei es unbegründet, daß Serbien beschlossen habe, am Kriege 
theilzunehmen. 
Konstantinopel, 20. Aug. Nach einem Telegramm Mehe- 
med Ali Pascha's hat gestern bei Jaghiseler in der Umgebung 
von Eski-Dschuma ein für die Türken günstiges Gefecht statt- 
gefunden. — Bisher ist keinerlei eine Vereinigung Suleiman 
Pascha's mit Mehemed Ali Pascha bestätigendes ofsicielles Tele- 
gramm veröffentlicht worden. — Ein Telegramm Mukthar Pa 
scha's meldet: der russische Verlust in dem Kampf am vorigen 
Samstag betrage 1500 Todte und Verwundete und mehrere 
Gefangene. Der türkische Verlust belaufe sich auf 117 Todte 
und 342 Verwundete. 
Wien, 20. Aug. Die „Polit. Eorresp." berichtet tele- 
graphisch aus Cetinje, 20. Aug.: Die Montenegriner er- 
stürmten gestern Abend das letzte Vorwerk von Niksitsch am 
Berge Tschadjalitza, und dringen nun durch die Stadt gegen 
die Festung vor. Gestern wurden 5000 Montenegriner an die 
Gränze nach Krschtatz und Drubujatschi zu einer Recognoscinmg 
expedirt, da 10,000 Türken, größtentheils Baschi-BozukS unb 
Mustehafiz beim Berge Smjawina hart an der montenegrini- 
schen Gränze bei Erobujak, eintrafen. — Ein anderes Tele- 
gramm der „Polit. Eorresp." aus Bukarest, 20. Aug., lau- 
tet: Fürst Mirsky' ist zum Kommandanten sämmtlicher rufst- 
scher Truppen von Tirnowa bis zum Schipka-Paß ernannt 
worden. Der Herzog von Leuchtenberg steht mit beträchtlichen 
Kräften bei Elena. — Bei einer Reeognoscirung gegen Plewna 
machte die russische Cavallerie zahlreiche türkische Gefangene. Die 
Positionen zwischen Lowatz und Selwi sind von den Russen be- 
setzt. — Zwei türkische Monitors im Vereine mit den FortS 
von Silistria bombardiren heute Kalarasch. 
Berlin, 21. August. Füst Bismarck, der gestern Abend noch 
die Minister v. Bülow und v. Radowitz empfing, begab sich 
heute Vormittag nach Babelsberg zum Vortrag beim Kaiser. 
Wien, 21. August. Die „Polit. Corr." meldet aus Kon- 
stantinopel, 20. August: Die Pforte ordnete die unverweilte 
Coneentrirung von 50,000 Mustahastz 2 Klasse in Adrianopel, 
Sophia und anderen Punkten Bulgariens als neue Reserve au. 
Ferner befahl der Sultan die Bildung einer zweiten Reserve- 
armee aus 60,000 anatolischen Mustahafiz, welche in Konstan- 
tinopel formirt werden wird. Die Stellung Server Paschas soll 
ueuestens erschüttert sein. — Ferner berichtet die „Polit. Corr." 
aus Bukarest, 21. August: Bei den jüngst gepflogenen hoch- 
wichtigen Berathungen des russischen Generalstabes habe die Ab- 
ficht die Oberhand behalten, die ins Stocken gerathenen Opera- 
tionen alsbald kräftigst wieder aufzunehmen und keinen Punkt 
freiwillig zu räumen. 
* Wien, 21. August. Die „Presse" meldet aus Ragusa. 
Die Montenegriner erstürmten nach heftigem Bombardement das 
größte Fort von Niksitsch, Tschadjelitza auf der Anhöhe Tschav- 
jelitza, sowie sämmtliche Verschanzungen außerhalb von Niksitsch. 
Fürst Nikola forderte zur Uebergabe aus, welche wahrscheinlich 
erfolgen wird. — Aus Iassy: In Folge der Rüstung Griechen- 
lands gingen zahlreiche Griechen aus Odessa als-Freiwillige nach 
Athen. — Aus Tiflis: Die Banden von Ali Beg wurden b« 
Tschereloi gänzlich geschlagen; Ali Beg floh, wurde aber vo« 
einem Mohamedaner gefangen an die Russen ausgeliefert. 
Malta, 21. August. Die englischen Kriegsschiffe „Wye" und 
„Hotspur" find hier eingetroffen und alsbald zum Geschwader 
in der Besika-Bai weiter gegangen. Das Panzerschiff „Agincourt" 
ist gleichfalls nach der Besika-Bai abgegangen. Dasselbe nahm 
Handwerkzeug zu Schanzarbeiten in einer für 400 Sappenre und 
Genietruppen ausreichenden Menge mit. 
St. Petersburg, 21. August. Officiell aus Gornji- 
Siuden, 20. August: Suleiman Pascha beabsichtigt äugen- 
scheinlich nach erfolglosem Angriff auf den Hankiöi-Paß andere 
Pässe des Balkans anzugreifen. — Aus Alexandrapol, 20.
	        

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