Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

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tritt der Geschwornen elf Tage nach dem Ereignisse. Bor ihnen 
stand Henri Perreau, jener Mann, der allein Aufschluß geben 
konnte; er stand vor ihnen sicher mit derselben Ruhe, mit der- 
selben Kaltblütigkeit, mit der er heute vor Ihnen steht. Er 
gab den Geschwornen die Ausschlüsse, die Sie kennen, meine 
Herren, und er bekräftigte seine Angaben mit einem Eide. Er 
erzählte, er habe seiner Schwiegermutter auf ihr Verlangen 
den Mechanismus des Revolvers gezeigt und auf die Frage, 
»ie er geladen werde, den Hahn geöffnet und eine Ladung 
hineingesteckt. Run habe ihm die Frau den Revolver aus der 
Hand genommen, den Hahn gespannt und den Drücker vier- 
diS fünfmal angezogen. Dann habe sie ihm die Masse mit 
ihrer linken Hand, die Mündung gegen sich gerichtet, zurück- 
gegeben uud in dem Momente, als er den Griff in die Hand 
Jenommen, sei der Revolver losgegangen und die Ladung der 
irau in die Schläfe gedrungen. Finden Sie die Angaben 
Perreau'S glaublich, daß die bejahrte Frau plötzlich ihre Auf- 
«erksamkeit von dem Briefe ablenkte und die Handhabung deS 
Revolvers kennen lernen wollte? daß ihr Perreau gezeigt, wie 
die Kammern gedreht, vor ihren eigenen Augen eine Ladung 
hineingelegt, den Hebel geschloffen und ihr den geladenen Re- 
volver in die Hand gegeben hat? Rehmen Sie wirklich an,, 
daß die Frau die Waffe in die Hand genommen? Zu wachem 
Zwecke? Halten Sie eS in der That für wahr, daß eine 
Dame, Die mit Feuerwaffen nicht vertraut ist, ihre OWrliche 
Scheu ablegt, vier- bis fünfmal den Hahn fcMnt tmd' dann 
die Unvorsichtigkeit begeht, die Waffe mit der Mündung gegen 
sich igekehrtj, zurückzustellen? Halten Hie eS, meine Herren 
Geschwornen, für möglich, daß, wenn stch die Waffe im selben 
Moment entladen haben sollte, daS tödtliche Blei zuWtz die 
Schlafe der Unglücklichen treffen tonnte? Und daS ^cki Alles 
Kt dem Zeiträume von 4-5 Minuten vorgefallen ~^ ~ ~ 
Vrigham müßte die Natur der Frauen abgelegt ^ 
Perreau die Wahrheit gesprochen! Aber auch die Th 
die Sektion der Leiche feststellte, eS sei die Kugel von 
»ach vom in den Kopf gedrungen, ist ein Beweis M M 
Unwahrheit der Angaben Perreau'S. Schon damals ertlqMU 
die Aerzte, daß das Geschoß nach der Stellung der Personetr 
dveseRichtung nur in dem Falle genommen haben kann, wenn 
did Frau im Augenblicke, als der Revolver losging, den Kopf 
nach rechts gerichtet habe, während ste doch mit der linken 
Hand den Revolver übergab. Ganz unglaublich i Der Ber- 
handlungörichter, an die Unschuld Perreau'S glaubend, forderte 
Vit große Jury «us, nicht zu viel Gewicht auf die Stellung 
der Getödteten zu legen, nachdem kein Grund vorhanden sei, 
Perreau des Meineides zu beschuldigen. DaS Berdikt lautete 
auf zufälligen Tod, wobei die Geschwornen aussprachen, Per- 
reau habe stch bei der Handhabung einer tödtttchen Waffe 
große Rachlasstgkeit und Mangel an Borficht zu Schulden 
kommen lassen. Ich will den Ausspruch der englischen Jury 
nicht kritifiren, rufe Ihnen aber die Worte deS Detektiv-Kom- 
»iffärS in Erinnerung, welcher, wäre nicht daS Berdikt ent 
gegengestanden, eS für Pflicht gehalten hätte, eine Anklage we- 
gen MordeS vorzubringen. 
Der Verdacht der Ermordung der Frau vrigham wird 
durch den grunlMen Ankauf des Revolvers, durch dessen 
Ladung mit scharfe« Pattonen und durch die Richtung nur 
verstärkt. Der Gewehrfabrikant Higham, alS Sachverständiger, 
sagte, er glaube nicht, daß Frau Vrigham die Pistole abfeuern 
konnte, wie Perreau eS beschrieben; der Sachverständige wollte 
aber keinen Eid auf die Unmöglichkeit schwören, weßhalb der 
Richter auf feine Aussage kün Gewicht legte. Auch die 
SerichtSärzte bezweifelten die Möglichkeit eines Unfalls: viele 
Freunde der Frau blieben überzeugt, daß ste ermordet wurde. 
Was hätte Perreau zum Morde der Schwiegermutter veran- 
lassen sollen? Perreau gab de« Untersuchungsrichter an, 
dieser Tod konnte ihm nur schaden. Die Verwandten geben 
aber den Aufschluß, daß die Schwiegermutter eS war, welche 
das Vermögen in Händen hielt Die amtlichen Berichte 
schildern PerreauS Gattin als schwachsinnig und deren Mutter 
bildete daS Hinderniß für Perreau, um in den unbeschränkten 
Genuß deS Vermögens zu gelangen. Glauben Sie nicht, 
daß das Verdikt der Jury anders gelautet hätte? Durch das 
Testament der Frau Elise Vrigham würde die Gattin Perreau 
zur reichen Erbin. Dieser zog nach London und nahm den 
Ramen Tourville an, wozu er keineswegs berechtigt gewesen. 
Wenn Tourville den dringenden Wunsch seiner Frau vorschützt, 
hiefür sein Werkzeug Turner als Zeugen aufrufend, so ist 
doch gewiß, daß der Stammbaum der BrighamS nichts vom 
Ramen Tourville enthält. Bielmehr sollte die Berufung auf 
die Verstorbene diese RamenS-Umwandlung rechtfertigen, welche 
erfolgte, und den Abenteurer Perreau, den mit dem schweren 
Verdachte deS MordeS seiner Schwiegermutter belasteten Perrau, 
zu entfernen und den Gentleman Tourville in die Welt ein- 
zuführen. 
Durch den Tod seiner Gattin gelangte Tourville in den 
Besitz einer JahreSrente von 2000 Pfund Sterling, während 
sein Kind Universalerbe wurde. Wenige Monate später trat 
ein Ereigniß ein, welches erst im Laufe der Verhandlung ein 
neues, höchst wichtiges Material zur Beleuchtung deS Charak- 
terS deS Angeklagten darbot. Im November 1871 fand der 
Briefträger Peckham bei seiner Heimkehr Feuer im Hause, rief 
nach Hilfe und wollte in'S Stockwerk eilen, um daß Kind 
TourvilleS zu retten, wurde aber von diesem zurückgehalten, 
der selbst gehen wollte. Tourville kam nicht zurück; ein 
Detektive ging hinauf, fand Tourville auf einem Sessel im 
brennenden Zimmer und daS Kind im Bette dem Tode nahe. 
Der Wachmann rettete daS Kind. Die Aussage TourvilleS, 
daß er daS Kind mit Lebensgefahr zum Fenster hinausgehalten, 
wird durch den Zeugen Clarke dementirt, welcher Tourville als 
Brandleger bezeichnet und als Motiv der That angibt: „Er 
wollte sein Kind verbrennen." 
Die Herren Geschwornen werden sich ihr Urtbeil darüber 
bilden, waS sie von der Aftaire dieses BrandeS zu halten 
DO«. Einige Jahre später heirathet Tourville seine zweite 
Madeline Miller, welcher er verschweigt, daß er einen 
hat — eine Herzlosigkeit, die einzig dasteht, ^r schickt 
in die Fremde und kaum hat er die zweite Frau 
so will er auch schon den Inhalt ihreS Testamentes 
stch ihr Vertrauen zu erwerben, vermacht er ihr 
i, daS bekanntlich sehr problematisch ist. 
(Schluß folgt.) 
Vera«t»w«Mcher Redakteur «.Herausgeber: Dr. Rudolf Schädler. 
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Thermometerstand nach Reaunmr in Vaduz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
Abends 
6 Uhr 
Witter ung. 
Juli 11. 
+ 10 
-f- 18 
+ 18 
hell 
* 12. 
+13 
+ 21 
+ tS 
halb hell 
» 13. 
+15 
+ 18-/2 
+ t6-/, 
» (f 
. 14. 
+ 15 
+ 20 
4> 15 
n h 
, 15. 

+ 17 
+ «k 
trüb; Reg. 
. 16. 
+10 
+ 17 
+ 12 
fast trüb; Reg. 
, 17. 
+ 9 
+ i7 
+ <1 
halb hell; Ab.Rg. 
Telegrafischer Kursbericht vo» Wien» 
19. "Juli Silber .109 50 
20-Frankenstück . . .... 9.94 % 
100 ReichS-Mark 61.35 
London 124.85 
Druck vo« Heinrich Grass in Eeldkirch.
	        

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