Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

schnell in bester Ordnung und nach einem reiflich vorher auS- 
gearbeiteten und sorgfältig bestimmten Plan geschehen, das kann 
auch ihr politischer Feind nicht läugnen. Ich weiß nicht ob 
eS wahr ist wäS man hier unter den fremden Offizieren all- 
gemein erzählt, daß der General Graf Moltke in Berlin den 
Haupt^ntwurf deS russischen FeldzugSplanS ausgearbeitet habe (?) 
aber eS fei dem nun wie ihm wolle, der Plan ist tüchtig, 
Wcht feinem Urheber alle Ehre, und ward auch gehörig au6« 
geführt. In der Stärke von 280—290,000 Mann (so wird 
pnS wenigstens stets versichert, und die zahlreichen Ticherkessen 
die vom russischen Heer desertiren und heimlich über die Donau 
setzen um zu den Türken, ihren Glaubensgenossen, zu gelangen, 
Versichern eS immer übereinstimmend) stehen die Russen jetzt 
auf dem ganzen linken Donauufer von Galatz bis Kalafat, 
haben alle wichtigen Punkte besetzt, überall schwere Batterien 
errichtet und bereiten nun in aller Muße und Bequemlichkeit, 
nnd durch leine Feinde gestört, den Fluß-Uebergang vor. Ich 
glaube, daß dieser bereits erfolgt fein würde, wenn nicht 
Jupiter pluvius dem Auren einen gewaltigen Streich gespielt 
und sich als ein höchst werthvoller Bundesgenosse deS Pa- 
dischah bewiesen hätte. Der viele Regen in den letzten 
Wochen — und eS goß häufig als hätte der Himmel alle 
Echleußen geöffnet und eine zweite Sündfluth sollte die jetzige 
sündhafte Welt vertilgen — hat den Russen große Räch- 
theile gebracht, alle strategischen Berechnungen deS russischen 
ÄeneralstabS zu Schanden gemacht und der russischen Kriegs- 
kasse gewiß manche Millionen nutzlos gekostet. Es'war in 
den letzten 14 Tagen, seit Mitte Mai, unmöglich die ganz, 
aufgeweichten Landstraßen in Rumänien für Militärtransporte 
zu benutzen; der ganze Truppenaufmarsch mußte sistirt wer- 
den, da die Colonnen sonst im Morast stecken geblieben sein 
würden, und selbst viele Verschanzungen und aufgeführte Pat- 
terien der Russen wurden von den Fluchen der Donau, deS 
Sereth und der Aluta so überschwemmt, daß kaum die Aün- 
düngen der Geschütze auS dem Wasser hervorragten, die Erd^ 
arbeiten aber gänzlich fortgefpült waren. Auch bei den Tür- 
ten hörten alle Truppenmärsche einige Tage lang gänzlich auf, 
doch tbaten sonst die Wassergüsse keinen so grotzen Schaden, 
da alle türkischen Befestigungen auf dem hohen rechten Donau- 
ufer angelegt sind und auch die beiden Eisenbahnlinien von 
Lüftend fche nach Tfchernawoda und von Varna nach Ruft- 
schuk weiter durch den Regen nicht sonderlich litten. Freilich 
verflucht unbehaglich war eS um diese Zeit in allen türkischen 
Lagern, und die armen Soldaten, welche in elenden Erd- und 
Strauchhütten, dünnen Leinwandzelten oder undichten Bntter- 
Baracken lagerten, hatten viele Tage lang keinen trockenen Fa- 
den am Leib. Alle diese Uebelstände und die zum Theil höchst 
mangelhafte Verpflegung störten aber — ich will nicht sagen 
Pen Frohsinn, denn eigentlich heiter und zum Singen und 
Scherzen aufgelegt ist der türkische Soldat niemals, da er ja 
schon deS belebenden Elements der Feldflasche entbehrt — aber 
die Standhastigkeit der Truppen keinen Augenblick. Es war 
ja GotteS Wille, daß die Wasser vom Himmel darniederström- 
ten; sie wußten, daß die tödlich verhaßten GiaurS da drüben 
über der Donau noch mehr darunter leiden mußten als sie 
felhst; also ertrugen sie auch ruhig, und ohne im mindesten 
zu murren, alle Unbill der Witterung, hockten in lhren nassen 
Kleidern eng wie die Schafe in der Heerde zusammen, tranken 
ihren Kaffee, kauten ihr trockenes MaiSbrod, das den Haupt- 
sächlichsten Theil ihrer Nahrung bildet, und starrten viele 
Stunden lang ruhig in die düsteren Regenwolken hinein. Wahr- 
lich, diese unbeschreibliche Standhastigkeit der echten Türken ist 
eine in militärischer Hinsicht gar nicht genug zu schätzende 
Eigenschaft, und wenn ich diese kleinen hageren Burschen mit 
ihrer nicht zu beugenden Energie sehe, muß ich immer von 
neuem unwillkürlich die größte Hochachtung vor ihnen empfin- 
den. Wäre eS in der oberen türkischen Heeresleitung nur eben 
so gut bestellt wie die eigentlichen Feldtruppen muthig und zu 
allem und jedem "willig ftn\ und ständen alle diese vielen un- 
fähigen Generale auf gleicher Stufe der Tüchtigkeit mit der' 
gemeinen Mannschaft, so würden die Russm noch ungleich 
härtere Nüsse zu knacken bekommen als eS jetzt der Fall sein 
wird. So freilich kann ich meine Besorgniß vor dem unglück- 
! lichen Ausgang dieses ganzen Krieges nicht verh-hlen, und 
' fürchte die Panslavisten setzen zuletzt doch noch ihren Plan 
! durch, nämlich ganz Bulgarien, Bosnien und Serbien zu einem 
s russischen Vasallenstaat mit einem Großfürsten auf dem Throne 
^ zu machen, freilich viel, sehr viel Blut wird eS noch kosten, 
i bis dieser Wille der HH. Fadejeff und Tschernajtff, welche 
jetzt wieder plötzlich daS große Wort in Rußland fübren, ein 
kait »eeompli, wie die Diplomaten eS nennen, geworden ist 
Wie eS übrigens bei unseren Feinden auf dem linken 
; Donaufer aussieht, davon sind wir hier bis auf die kleinste 
Einzelheit vollkommen genau unterrichtet. ES kommen in den 
dunklen R-'gennächten viele russische Deserteure, gewöhnliche 
Tscherkessen, aber auch hin und wieder Polen, in Kähnen 
welche sie gewaltsam genommen haben, zu unS herüber. Auch 
an sonstigen Berichterstattern, vornehm und gering, fehlt e5 
nicht in Rumänien, und wenn eS dem SeraSkier gelüstet, kann 
er jeden Tag den Küchenzettel der russischen Generale erfahren. 
ES gibt nichts, was viele Griechen und Rumänen nicht thun, 
sobald sie nur ein guteS Stück Geld dabei verdienen können; 
und wenn er nur gehörig dafür bezahlte, würden sie selbst dem 
Teufel die Seelen ihrer eigenen Eltern verkaufen. Leider macht 
Abdul Kerim bei seiner unbeschreiblichen Passivität niemals den 
richtigen Gebrauch von allen diesen vielen Nachrichten über 
die Stärke und Aufstellung der russischen Heere Z<i, wäre 
Ejub Pascha jetzt der SeraSkier deS HeereS, so wür^e das 
türkische Hauptquartier wahrscheinlich in Bukarest statt jetzt in 
Schumla sein, und die ersten Kämpfe hätten unbedingt auf ru- 
mänischem Boden stattgefunden. 
Wie unS die desertirten Tscherkessen auS dem russischen 
Lager, deren Zahl schon über 1000 Mann, und darunter auch 
manche Offiziere, beträgt, erzählen, soll die Gährung unte; 
allen mohamedanischen Unterthanen deS Zaren (an 5 Millio 
nen Seelen) jetzt eine sehr gewaltige sein. Die Tataren in 
der Krim und alle die verschiedenen Bergvölker im Kaukasus 
warten nur auf türkische Landungstruppen und Waffen, um 
überall die Fahne des Propheten zu erheben und in einem 
wilden Aufstand loszubrechen. 
(Fortsetzung folgt.) 
Verantwortlicher Redakteur u. Herausgeber: Dr. Rudolf Schädler. 
Thermometerstand nach Reaumur in Baduz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
AbendS 
6 Uhr 
Witterung. 
Juni 
13 
~j-17 
+ 27 
+ 17 
fast hell;Ab.etw.R 
«r 
14 
+ *5>4 
+ 2 0% 
+ 17 
halb hell 

15 
+ 15 
+ 18-/2 
+ l6 
fast trüb 

16 
+10 
-}- 19 
■j- 19 
hell 
n 
17 
+ 12'/i 
+ 19 
+ 20 
m 
tr 
18 
+14 Vj 
+ 21 
+ 
halb hell 
w 
19 
+i2y 2 
+ 21 
+ 20 
hrll. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
20. Juni Silber. . . 11140 
20-Frankenstück 10.13% 
100 ReichS-Mark . 62,20 
London 126.60 
Druck von Heinrich Graff in Teldtirck.
	        

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