Vaduz, 6 Juni. Das schauerliche Unglück, das sich am
22. Mai zwischen Schaan und Vaduz durch das Jnbrand-
Gerathen eines Fuders Streue zugetragen hat, ist um so trau-
riger geworden, als nun auch Schlosser Marxer in Folge der
Brandverletzungen gestorben ist. Die so schwer geprüfte
Frau des/ Wrunglückten kam zudem vor dessen Todestage nie-
der und W in so kurzer Zeit und unter solchen Umständen
ihren Vater und ihren braven allgemein geachteten Mann ver-
loren. Eine schwere Prüfung!
Ausland.
Die Lage der Dinge in der Türkei hat durch die Ent-
thronung deS Sultans Abdul Aziz eine noch größere Wichtigkeit
erhalten. Scheinbar dürfte der nunmehrige neue Sultan
Mehmed Murad V. durch seine, einer durchgreifenden Reform gün-
stigeren Eigenschaften und durch die Umstände, unter denen er
an die Stelle deS frühern schwachen und verschwenderischen
Sultans tritt, bessere Aussichten für die Erhaltung der Türkei,
beziehungsweise für die Aufrechterhaltung des europäischen
Friedens bieten. Die meisten Staaten haben daher auch das
neueste Ereigniß als für den Frieden günstig begrüßt, nur
Rußland wurde durch den Sturz des Sultans augenfällig ver-
stimmt, weil eS mit diesem Vorfalle die besten Früchte seiner
doppeldeutigen'und jahrelangen Politik verliert. Die Verstim-
mung Rußlands und damit die entstandenen Grundsätze, welche
nun zwischen den Großmächten bestehen, sind jedenfalls besorg-
nißerregend und die Lage Europas zu einer kritischen. Die
Umarmungen und Artigkeiten der „alliirten" Diplomaten scheinen
eben doch mehr flüchtige Anstandsgefühle als wahrhaftige und
„schwindelfreie" Harmonien zu sein. Die Zeit der Thatsachen
dürfte dies illustriren.
Als Ergänzung zu den von uns bereits gebrachten Nach-
richten über die Entthronung deS Sultans Abdul Aziz theilen
wir einen telegraphischen Spezialberichf mit, welcher der „Polit.
Corr." aus Konftantinopel zugeht. Derselbe lautet: Die Revo-
lution welche sich innerhalb von zwei Tagen hier vollzogen,
ist weder eine Revolution des Volkes noch auch eine Palast-
Revolution gewesen. ES ist eine Minister-Revolution gewesen
welche Abdul Aziz den Thron gekostet hat. Die Conspiratton
war eine sein angelegte und glücklich durchgeführte, ein Meister-
stück in ihrer Art, insofern als die Verschwörer eS durchzusetzen
verstanden daß Abdul Aziz sie alle in seinen Kronrath berufen
mußte um ihm desto leichter den GarauS machen zu können.
Nun wird man begreifen was die Ernennungen so vieler
Minister ohne Portefeuille, was Mithad Pascha, Khalil Pascha,
Derwisch Pascha als Minister ohne Portefeuille zu bedeuten
hatten, nachdem Hussein Avni Pascha schon im Besitz der
Militärgewalt gewesen. Trotz alledem wäre Abdul Aziz kein
Haar gekrümmt worden wenn er einen Funken von Gefühl für
die Bedrängnisse seines Reiches noch im letzten kritischen Augen-
blick verrathen hätte. Abdul Aziz hätte den erschöpften Kriegs-
kassen Geld von seinem Privatschatz vorstrecken sollen, weil die
Pforte kein Geld zum Krieg mehr hatte und auch nirgends
solches mehr aufzutreiben wußte. Davon wollte er aber ab-
solut nichts hören und wissen. Dies schlug dem Fasse den
Boden auS. Am 29. versammelten sich sämmtliche Minister,
der Großwessier an ihrer Spitze, und der Scheich-ül-JSlam
Hairullah Effendi im Palaste von Dolma-Bagdfchö, wo sie
den Großherrn von ihrer Anwesenheit verständigten und sich
Einlaß verschafften. Nach einer anderen Version hätten sie
um Abhaltung eines ConseilS unter dem Vorsitze deS Padischah
angesucht, und soll tatsächlich daS Conseil zusammengetreten
fein. Genug an dem daß Hairullah Effendi dem Sultan
plötzlich ankündigte, daß daS Volk mit seiner Regierung unzu-
frieden und er demnach entthront sei. Unmittelbar nach dieser
ihn verblüffenden Ankündigung wurde Abdul Aziz mit der
Sultanin Valide gewaltsam in bereitgehaltene KaikS (Boote)
und nach dem Palaste Topkapa gebracht, wo er sich lebend in
sicherem Gewahrsam befindet. Am 30. Mai Morgens erklärten
die ebenfalls vollzählig anwesenden Würdenträger in Gegen-
wart deS Ulemahs dem mittlerweile in ihre Mitte berufenen
Murad Effendi seine Berufung auf den Thron, worauf der-
selbe sich in die nahe gelegene Moschee begab, mit dem Schwerte
'Mohammeds umgürtete und von da in den Palast verfügte
um die Huldigungen entgegenzunehmen. In mohammedanischen
VolkSkreisen herrschte nicht die geringste Bewegung. Die Eon-
spiration der Minister und ihr Ergebniß wurden zwar mit
orientalischem Gleichmuth, aber immerhin günstig aufgenommen.
Mehr Bewegung herrschte in den Chrifteuvierteln Galata und
Pera. Gestern Abends war ganz Konstantinopel beleuchtet.
Die Ruhe wurde nirgends gestört. Man versichert, daß die
Minister den Schatz des entthronten Sultans mit Beschlag be-
legt haben und demselben, der nach Asten (man spricht von
Bagdad) internirt werden soll, eine JahreSpension auswerfen
werden.
Nachdem die Herrlichkeit des Sultans Abdul Aziz ein so
jäheS Ende genommen, ist eS vielleicht nicht uninteressant,
mehrere Details über den Haushalt deS Sultans und sein
Budget zu erfahren. Das Personal beider Geschlechter, schreibt
die „Pr.", welches für die Bequemlichkeit des Großherrn zu
sorgen hat, zählt nicht weniger als 5- bis 6000 Individuen.
Die Ställe enthalten 625 Zug- und Reitpferde, zu deren
Wartung 935 Stallmeister, Kutscher und Reitknechte angestellt
sind. Durchschnittlich werden jährlich 25 Wagen von den
renommirtesten Fabriken in Europa angekauft; manche dieser
Wagen kosten 100,000 Fr. Die Ausgaben für Wagen und
Pferde belaufen sich jährlich auf 2% Millionen Fr. Der
Sultan hat wohl keine Vorliebe für die Jagd, eine desto größere
aber für wilde Thiere, und er gibt mehr als eive Million
jährlich sür den Unterhalt seiner Menagerie aus. Dieselbe
enthält über 150 Löwen, Tiger, Panther, Giraffen, Zebras zc.;
jedes der wilden Thiere verzehrt durchschnittlich acht Pfund
Fleisch zu l j / 2 Fr. daS Pfund. Der Harem ist noch weit
zahlreicher bevölkert als die Menagerie und enthält die anstän-
dige Zahl von 1200 Frauen, und obgleich keine specifizirten
Rechnungen über deren Ausgaben vorliegen, müssen im Ver-
gleich zu den Damen die wilden Thiere sehr ökonomisch genannt
werden. Obgleich die HaremSdamen wohl nicht jede acht
Pfund Fleisch täglich verzehren, so haben sie doch eine auS-
gesprochene Vorliebe für Süßigkeiten; die Ausgaben für PU&»
Zucker, der in der Zuckerbückerei des HaremS jährlich verbraucht
wird, erheben sich bis zu einer Summe von 400,000 Fr.
Die Kosten der Lebensmittel für den ganzen Palast betragen
mehr als 12 Millionen. Dem großherrlichen Haushalt sind
ferner 48 Aerzte und Apotheker zugetheilt, welche eine Befol-
dung von 657,000 Fr. jährlich beziehen, aber bloß 12 Almose-
niere und Muezzim (Gebetsausrufer), deren Unterhalt die be-
scheiden« Summe von 62,000 Fr. nicht übersteigt. Bergessen
wir auch nicht einen Hof-Astrologen, dessen Amt darin besteht,
gegen eine Entschädigung .von 13,800 Fr. jährlich die Nieder-
lagen der Feinde deö Halbmondes vorauszusagen, dann ein
Musikkorps, bestehend aus 300 Personen, '.velche doppelten
Sold und doppelte Ration vom Kriegsministerium beziehen.
Der Gultan hatte auch einen ausgesprochenen Geschmack für
Bau-Unternehmungen; mit den großen Ausgaben hiefür erhebt
sich die Totalsumme für die Bedürfnisse deS kaiserlichen HauS-
haltS auf etwa 50 Millionen Fr., ungefähr ein Zehntel deS
gefammten Einkommens der Türkei.
Ueber die Persönlichkeit deS nunmehrigen Beherrschers aller
Gläubigen, Sultan Mehemed Murad V. erfährt das „N. W.
Tgbl." einige Einzelheiten, die allerdings noch vor der nun
eingetretenen Katastrophe dem genannten Blatt aus Konstan-
tinopel mitgetheilt wurden. Wir entnehmen dem Schreiben
folgendes: „Bekanntlich hinterließ Sultan Abdul Medfchid bei