Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

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Neueste Nachrichten. 
St. Petersburg, 15. Okt. Der Vorschlag der Pforte 
'bezüglich des sechSmonatlichen Waffenstillstandes wird im Pu 
blikum als Schachzug gegen Rußland ausgefaßt. Ein sechs- 
monatlicher Waffenstillstand ohne vorherige Einigung über die 
Garantien für eine angemessene Behandlung der Christen sei- 
tenS der Pforte kann nur berechnet erscheinen den zu leistenden 
Garantien aus dem Wege zu gehen Ein Waffenstillstand, der 
nirgends den Frieden sicherstellt, neuen Gewaltmaßregeln den 
Unterthanen gegenüber offene Thüre läßt und daS vergossene 
Blut der christlichen Kämpfer nutzlos verschwendet sein läßt, 
"kann Rußland nicht konveniren; solche Propositionen müssen 
hier reizen, je mehr man sich angelegen sein ließ seitens der 
Regierung daS Interesse der Friedenserhaltung und der Tdeil- 
nähme für die bedrohten Glaubens- und Stammesgenossen 
voranzustellen. Der Vorschlag der Pforte kann hier keine gün- 
stige Aufnahme finden, je mehr die Erregung gesteigert wird 
durch die Sprache der englischen Presse, die in neuer Schwan- 
5ung und voll ist von Mißtrauen und Mißgunst gegen Ruß- 
land. Die immer wiederkehrenden Redensarten vom Wege durch 
Bulgarien nach Konstantinopel kennzeichnen die englische Stim- 
mung, welche die gemeinsame Sache Europas — den Christen 
zu ihrem Recht und zu menschenwürdiger Behandlung, sicher- 
gestellt durch Garantien der Großmächte, zu verheHn — aus dem 
Auge verliert. Man hält sich überzeugt daß unsere Regierung 
den türkischen Schachzug, den sechSmonatlichen Waffenstillstands- 
Vorschlag, ohne vorherige Einigung der Mächte darüber was 
nach Ablauf desselben zu geschehen hätte, zu pariren wissen 
wird. Ein kürzerer Waffenstillstand mit punktirten Friedens- 
bedingungen scheint in der Situation zu liegen 
Wie«, 16. Okt. Die „Deutsche Zeitung" meldet: Oester- 
reichS Neutralität in einem russisch - türkischen Kriege sei be- 
schlössen und der Preis für dieselbe festgestellt. — Die Mon 
tenegriner griffen Bilek (nordwestlich von Trebinjch an, wel- 
chem Mukhtar Pascha Hilfe sandte. 
Wien, 17. Okt. Italien erklärte gleichfalls den halbjäh- 
rigen Waffenstillstand als unannehmbar. — DaS „Neue Wien. 
Tagbl." meldet: Der Zar bewilligte seinem Finanzminister, v. 
Reutern, 300 Millionen Rubel im Weg eines NationalanlehenS 
zu erheben. 
Wien. 17. Okt. DaS „Fremdenblatt" erklärt: die Even- 
tualität daß Oesterreich das Drei-Kaiser-Bündniß verlasse, sei 
vollkommen ausgeschlossen. Bei Beginn deS Reichsraths steht 
eine Interpellation bezüglich der Orient-Frage bevor. 
Brüssel, 16. Okt. Der „Nord" antwortet auf den tele- 
graphisch avisirten „ TimeS "-Artikel: Wenn bei der gegenwär- 
tigen Lage etwas als tadelnSwerth bezeichnet werden könne, so 
sei eS der Umstand daß die Pforte den einstimmigen Forde- 
rungen Europa'S sich zu widersetzen vermöge, und man nicht 
darauf bestanden sei jenen Forderungen Gehör zu verschaffen. 
Der Rußland gemachte Vorwurf laufe darauf hinaus daß eS 
daS Programm Englands wirklich ernst genommen habe. 
Berlin, 16. Okt. Die „Nat-Ztg." weist den Appell der 
,TimeS" an Deutschland, seine Macht für die Erhaltung deS 
Friedens zu gebrauchen, zurück. Deutschland dürfe nicht seine 
eigene Ruhe zur Wahrung deS VortheilS anderer auf das 
Spiel setzen. Auch die „Nordd. Allg. Ztg." erklärt: Deutsch- 
land habe kein Interesse um eigene Opfer an Gut und Blut 
in der Orientfrage darzubringen. 
Wien, 16. Okt. Ein neuerlich beabsichtigter Collektivfchritt 
in Konstantinopel ist zweifelhaft geworden. Italien hat das 
Drängen der Westmächte und Oesterreichs auf die Annahme 
des Waffenstillstandes in Belgrad nicht unterstützt, ebenso we- 
nig in Centinje. 
Verschiedenes. 
* Tunnel zwischen Europa und Afrika. Auch 
die Meerenge von Gibraltar soll ihren Tunnel erhalten, der 
Europa innig mit Afrika vereint. So wenigstens plant eS der 
Verfasser einer jüngst in Madrid unter dem Titel „Dk inter 
kontinentale Tunnel" erschienenen Flugschrift. Dieser Tunnel 
würde, so weit er unter dem Meere belegen, nicht länger alS 
9 (engl.) Meilen sein, dazu kämen noch auf jeder Landseite 
6 (engl.) Meilen, so daß die Gesammtlänge 21 (engl.) Mei 
len nicht übersteigen würde. Die Kosten werden auf 4 Mill. 
Pf. St. veranschlagt. Sanguiniker träumen schon davon, daß 
nach Fertigstellung dieses Tunnels und desjenigen zwischen 
Dover und Calais „direkte Züge ohne Wagenwechsel" von 
London nach Zndien gehen könnten; die dazu erforderlichen 
Schienenwege kommen ja dem Riesenwerke der beiden Tunnels 
gegenüber kaum in Betracht. Es würde wegen dieser Abkür- 
zung des Weges nach Indien vielleicht auch die orientalische 
Frage in einfacherer Weise gelöSt werden können — wenn 
eben nach Vollendung der beiden Tunnels die Welt noch an 
eine orientalische Frage denkt. 
*Zur orientalischen Frage. Sultan: „Was 
versteht man unter russischen Rathschlägen?" Dolmetscher: 
„Unter russischen Rathschlägen versteht man ein Ding, daS 
mit Rath anfängt und mit Schlägen endigt." 
* Bei den in Elberfeld stattgehabten Manövern wurde ein 
Kind auf den Armen feines Vaters von einer Kugel getroffen 
und so schwer verletzt, daß es bald nachher starb. Bei einer 
spätern genauen Revision der Gewehre ist ermittelt worden, 
daß auS dem Gewehre eines Unteroffiziers scharf geschossen 
war. Der Unglückliche hatte die Patronen auf dem UebungS- 
schießplatz entwendet und mehrmals scharf geladen, um seinen 
Lieutenant zu erschießen, wobei er jedoch jedesmal nicht traf, 
bis endlich eine der verhängnißvollen Kugeln dem Leben eines 
unschuldigen KindeS ein Ziel setzte. Bei seiner Verhaftung 
legte der Unteroffizier sofort ein offenes Geständniß ab, ergriff 
aber, ehe eS verhindert werden konnte, fein Gewehr und schoß 
sich eine Kugel durch den Kopf, so daß er augenblicklich nieder- 
stürzte. . 
Landwirtschaftliches. 
Die Berwendung der Kartoffel. 
Die Kartoffel wird zumeist in verschiedenartiger Zubereitung 
unmittelbar zur Speise verwandt, läßt stch aber auch in Mehl, 
Brod, Sago, Essig, Syrup, Stärke, Seife, Branntwein ver- 
wandeln. Zum Beispiel: Geschälte, rohe Kartoffeln werden in 
dünne Scheiben geschnitten und mit Wasser Übergossen, wel- 
chem etwas Schwefelsäure (4 Tropfen auf 1 Loth) beigemischt 
ist. Nach 24 Stunden wird daS angesäuerte Wasser abge- 
gössen, dann spült man die Kartoffelscyeiben so lange mit sri- 
schem Wasser ab, bis jede Säurespur verschwunden ist, und 
trocknet sie im warmen Osen vollkommen aus. Sie lassen 
sich nun leicht zerreiben und bilden das Kartoffelmehl, das stch 
vom Weizenmehl wesentlich durch den Mangel an Kleber un- 
terscheidet. Die vorgegangene Verwandlung besteht darin, daß 
die Schwefelsäure das Pflanzeneiweiß, den Faserstoff und einen 
Farbstoff der Kartoffel völlig aufgelöst und nur das Stärke- 
mehl übrig gelassen hat. Nicht viel schwieriger ist die Ver- 
Wandlung der Stärke in Zuckerfyrup mittelst angesäuertem 
Wasser und Schlemmkreide. 
Gewiß ist die Einführung deS KartoffelbaueS in Europa 
eine unermeßliche Wohlthat gewesen. Auf kleinem Raum lie- 
fert die bescheidene Kartoffel eine große Menge von NahrungS- 
stoff. Sie hat manche Gegenden vor HungerSnoth geschützt; 
sie hat zur Verbesserung der Landwirthschast und zu reichlicher 
Viehhaltung sehr viel beigetragen. Für viele Gewerbe liefert 
sie das nöthige Material und ist heute noch ein allbeliebtes
	        

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