Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

Liechtensteinische 
Vierter Jahrgang 
Vaduz, Freitag 
Nr. 39. 
den 29. September 1876. 
Redaktion in Vaduz oder bei den betreffenden Postämtern. — Emrückungsgebühr für die sgespaltene Zeile S kr. —Briefe und Gelder 
«erden franco erbeten an die Redaktion in Vaduz. 

Der lang erwartete Bericht deS englischem Botschaftssekre 
tärs Daring über die Gräuelthaten in Bulgarien liegt in einem 
Supplement zur amtlichen. „Gazette" von 42 Folioseiten vor. 
Das ganze Aktenstück trägt in unverkennbarer Weise den Stem- 
pel der Wahrheitsliebe, des Gefühls der Verantwortlichkeit und 
leidenschaftsloser Beurtheilung, und unterscheidet sich dadurch 
von anderen Schilderungen. Der Bericht wird eingeleitet durch 
eine Depesche des Botschafters Sir Henry Elliot an das Amt, 
datirt vom 5. Sept. Sir Henry Elliot sagt von dem Bericht: 
bestättigt nur zu klar, daß die Grausamkeiten in einem 
Umfang verübt worden sind der völlig genügt um die durch 
Ke hervorgerufene Entrüstung zu rechtfertigen, obgleich die Zahl 
der Opfer, zu einer Zeit aus 60.000 angegeben und nachher 
auf 30.000, glücklicherweise sich als übertrieben herausgestellt 
hat. Ew. Herrlichkeit wird finden daß, obgleich die Berichte 
welche über die brutale Art und Weise in welcher die Jnsur- 
rektion unterdrückt wurde, im allgemeinen sich als richtig er- 
wiesen haben, dennoch viele der besonders aufsehenerregenden 
Darstellungen als falsch oder stark übertrieben erscheinen wer- 
den. Der schlimmste von Hrn. Baring berichtete Fall ist der 
von Batak, welcher einem jeden der früher dargestellten an 
Grauen gleichkommt oder ihn übertrifft; aber man hat kaum 
etwas von ihm vernommen bis er durch Hrn. Baring aufge- 
funden wurde. Ew^ Herrlichkeit werden zufriedengestellt fein 
daß Hr. Baring seine Pflicht mit der Unparteilichkeit und Ge- 
wiffenhastigkeit erfüllt hat welche von ihm zu erwarten war. 
Ich nehme diese Gelegenheit wahr Ew. Herrlichkeit die Ab- 
schrist eines Briefs zu übersenden welchen der Minister der 
Vereinigten Staaten gütig genug gewesen ist mir mitzutheilen, 
und der von Hrn. Schuyler, dem amerikanischen LegationS- 
sekretär, welcher zur Anstellung ähnlicher Nachforschungen wie 
Hr. Baring auSgefandt war, herrührt. Er begleitete mehrere 
ZeitungSkorrespondenten; doch ich höre, daß keiner der Gesell- 
fchaft den Vortheil Hrn. BaringS besaß Türkisch zu verstehen, 
welches die meisten Bulgaren sprechen können, und daß sie 
notwendigerweise großentheisS von der Gnade der bulgarischen 
Dolmetscher abhingen t welche sie mit sich nahmen. Der ein- 
geschlossene Bericht Schakir Bey'S, welcher durch die Pforte 
abgesandt war um Nachforschungen im Bilajet der Donau 
anzustellen, ist ein so unbefriedigendes Dokument wie eS nur 
gesehen werden kann. Der Bericht deS außerordentlichen Ge- 
richtShofeS zu Philippopel ist gleichfalls beigeschlossen. In dem- 
selben findet sich daö Programm der Aufständischen, welches 
die Türken bestätigen und welches Herr Baring für ein au- 
thentisch^S Dokument hält." — Ausdrücklich legt Baring in 
seinem Berichte Zeugniß ab für die Bereitwilligkeit und Höf- 
lichkeit mit welcher ihn die türkischen Behörden bei seiner ihnen 
gewiß unwillkommenen Mission unterstützten. Er versichert auf? 
bestimmteste daß keinerlei Versuch gemacht wurde ihm Hinder- 
nksse in den Weg zu legen, sonst irgend etwaS zu verbergest 
oder seinen rückhaltlosen Berkehr mit der Bevölkerung zu stö* 
ren. Folgendes ist ein ausführlicher AuSzug aus seinem Be 
richt selbst: 
Herr Baring beginnt feinen Bericht mit Darstellung der 
Anfänge deS AufstandeS und bespricht dann die zu dessen Un- 
terdrückung ergriffenen Mittel. Thütiger Antheil am Aüfstanvs 
ward von zwei Klassen von Leuten genommen / Schullehkm 
und Priestern. „Die Schullehrer find zum großes Theil in 
Rußland erzogen. Sie kehrten mit einer oberflächlichen Bildung 
und einer Masse von Ideen über den PanslaviSmuS in ihrerr 
Köpfen nach Hause zurück. Am 19. (31) März fand eine Ver 
sammlung von 80 Agitatoren in Otlukeni statt, in welcher det 
Termin der allgemeinen Erhebung, den daS Bukareftet (Somtfe 
auf den 18. April (1. Mai) festgesetzt hatte, bis nach dem 
J (13) Mai verschoben wurde. Der AktionSplan ward, kurz 
wiedergegeben, wie folgt, festgestellt: „So viel wie mögllch die' 
Eisenbahn zu zerstören, einschließlich der Brücke bei Uzun Ke- 
upni; den Wagenpark in Sarembey zu verbrennen; Adria- 
nopel an 100 und Philippopel an 60 Stellen in Brand zu 
setzen und auch Sophia, Tatar-Bazardschik, Tschtiman» JSladi 
und eine Zahl Dörfer zu verbrennen, sowie alle Mohamme- 
daner zu tödten, welche Widerstand leisten würden, und ihrer 
Habe sich zu bemächtigen; gewisse wichtige Punkte wie Arrat- 
Alan, Kaloser, Tschukurlu u. s. w. zu besetzen. Bazardschik 
solle mit 3000 Mann angegriffen und die RegierungSvorräthe 
in Beschlag genommen werden. Die Erhebung solle allgemein 
und gleichzeitig sein. Solche Bulgaren die sich weigerten dem 
Aufstande sich anzuschließen, sollten mit Gewalt dazu gezwun- 
gen und ihre Dörfer den Flammen überliefert werden." 
Nach Beschreibung der militärischen Maßregeln welche zuv 
Niederwerfung des AufstandeS ergriffen wurden, sagt der Be- 
richt: „Sobald nur die regulären Truppen auf dem Schau- 
platz erschienen, war der Aufstand beendet und viel Blutverl 
gießen und nutzlose Zerstörung von Eigenthum würde gespart 
worden sein, wenn sie nur etwas eher abgesandt wordey 
wären." 
Darauf bemüht sich Herr Barin g zu zeigen auf welche 
Weise der Ausstand unterdrückt wurde, und widerlegt zunächst 
verschiedene in England gegen die Türken erhobene Beschul- 
digungen. Durchaus unwahr sei eS daß Wagenladungen mit 
menschlichen Köpfen je durch die Straßen irgendeiner Stadt 
gefahren wurden. Unwahr sei eS daß Weiber und Kinder un- 
ter den Augen der Behörden selbst in Philippopel und Tatar 
Bazardschik verkauft wurden. Während der schrecklichen Ver- 
wirrung seien ohne Zweifel viele Kinder abhanden gekommen.
	        

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