Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

ben Seiten beträchtlich. Ich verlasse auf kurze Zeit den Hügel 
-von dem aus ich so lange den Gang der Schlacht beobachtet 
habe. Ich finde die Hauptstraße von Alexinatz mit Berwun- 
beten angefüllt. Mit blutigen Ärmen und Beinen schleppen sich 
die Leute herbei oder werden auf Karten herangebracht. Bis 
gegen 6 Uhr ist in der Situation noch keine entscheidende 
Wendung eingetreten, wenn schon das Schlachtgetöse keinen 
Augenblick geschwiegen hat. CS ist unverkennbar daß die Tür- 
T?n auf dem linken Flußufer bis über Alexinatz und seine 
Schanzen hinaus vorgedrungen find , dieselben also gewisser- 
Waffen Umgangen haben. Alle die Stellungen welche Tscher- 
najeffS Armee noch am Morgen inne hatte, find jetzt in den 
Händen der Türkett. Jndeß trotzdem daß Tfchernajeff einen 
Kampf auf Leben und Tod zu bestehen hat, treiben fich Hun 
derte seiner Soldaten müßig in Älextnatz umher! .... Aber 
die Katastrophe in den Ereignissen dieses TagS ist gekommen. 
In Serbien kennt man kaum eine Dämmerstunde. Die Nacht 
iritt plötzlich an Stelle des Tageslichts. ES ist fast finster, als 
wir, müde und hoffend die Türken möchten unS einen fried- 
tichen Schlummer in Alexinatz Mauern gönnen, unseren Hü« 
gel hinabstiegen, von dem auS wir doch nichts mehr sehen 
konnten, und abermals die Straßen der Stadt betraten. ES ist 
gerade 7 Uhr als wir am Fuße der Anhöhe dicht bei der 
Brücke über die Morawa anlangen. Dort stehen vier 24-Pfünder, 
die Pferve, abgeschirrt, daneben. Noch find die Geschützrohre 
heiß von langer Arbeit. Gibt es heute keine Verwendung mehr 
für dieselben? Ueberall zünden die Serben riefige Bivouac- 
Feuer an. Auch auS den türkischen BivouaeS rechts vor unS 
leuchten die Lagerfeuer. Die Verstümmelten werden vom Schlacht- 
feld auf Tragbahren herbeigeschleppt; ihre schmerzverzerrten 
Gesichtszüge sehen in dem zitternden, unflätigen Licht der Bi- 
vouacS-Feuer gräßlich aus. Hat man Waffenstillstand abge- 
schloffen? Liegen beide Parteien völlig erschöpft darnieder? Zehn 
lange Stunden hindurch hat man fich geschlagen, ist avaneirt 
und retirirt; hat jetzt die Erschöpfung der Kämpfer dem Schlach- 
ten ein Ende gemacht? DaS Zurückkommen der Artillerie und 
daS Parkiren der oben erwähnten Bierundzwanzigpfünder wür- 
den ähnliches schließen lassen. Aber nein! Plötzlich bricht der 
wüthende Donneb der türkischen Artillerie ausS neue loS. Kaum 
eine Meile von unS entfernt, auf dem Gipfel einer kleinen 
waldigen Anhöhe, erblickt man eine lange fortwährend flackernde 
und zuck.nde Feuerlinie. ES find die Türken, welche eine un- 
ten am Fuße der Höhe aufgestellte serbische Abcheilung de- 
kämpfen. Der Lärm ist betäubend. Durch unsere Ferngläser 
können wir die türkischen Infanteristen und Artilleristen an 
der Arbeit sehen, wie sie die dicht unter ihnen stehenden Ser- 
ben mit einem unaufhörlichen Kugelregen überschütten. Letztere 
Leisten trefflichen Widerstand, werden aber rasch zusammenge- 
schössen. Bon Minute zu Minute wird ihr Feuer schwächer, 
schließlich verstummt eS vollständig. Wir wissen daß keine ge 
schlossene Truppe mehr hinter jener wie Schnee an der Sonne 
zusammenschmelzenden Linie steht, daß in den Straßen der 
Stadt nur Unbewaffnete, Greise, Frauen und Kinder umher 
irren, aber keine kampffähigen Bataillone zur Hand find. In 
zwanzig Minuten kann daS türkische Feuer bis zur Haupt- 
straße heranreichen. Zwar stehen noch hoch über unS die Ka 
nonen in der großen serbischen Redoute. Aber die Türken find 
vor deren Kugeln ficher, denn fie befinden fich bereits im tod- 
ten Winkel zu der Schanze. Wir begeben uns zum Hotel am 
entgegengesetzten Ende der Straße, lassen unsere Pferde auf- 
satteln und reiten auf der Straße nach Deligrad davon. Mei- 
lenweit jenseits von Alerinatz bewegte fich eine fckst eompakte 
Eolonne von Wagen , Kutschen, Ochsen, Werden und Fuß- 
gängern auf der Straße dahin, alles in größter Eile, alles 
vor dem Feinde fliehend. DaS Artilleriefeuer hielt noch an als 
wir auS Alexinatz hinauSritten, hörte indeß eine halbe Stunde 
spätex auf. Um zehn Uhr NachtS erreichten wir Deligrad. Dort 
trafen wir den General Tfchernajeff." 
Türkei. Die „Corr. Orientale" veröffentlicht in ihrer 
neuesten Rummer den Erlaß (Fetwa) des Scheich-ül-JSlam, 
durch welchen der Sultan Murad V. abgesetzt und Sultan 
Abdul Hamid II. zum Herrscher deS oSmanischen Reiches tu 
nannt wird. Das sehr lakonisch abgefaßte Dokument lautet 
in der Übersetzung wie folgt: 
„Frage- Wenn der Herrscher der Gläubigen fich im Zu- 
stände der Geistesabwesenheit befindet, welche ihn verhindert 
die Leitung der Angelegenheiten deS Staats und der Religion 
zu führen, und wenn die von dem Gefetz des Cheri festgesetzte 
Frist von zwei und einem halben Monat verstrichen ist ohne 
daß eine Heilung eingetreten wäre, darf man den Kranken 
durch seinen gesetzlichen Nachfolger ersetzen? Ja oder nM? 
Antwort: DaS Gesetz sagt Ja. Der Scheich-ül-ZSlam, Hai- 
rullah " 
Dasselbe türkische Blatt theilt mit daß, gegenüber allen 
Gerüchten welche den neuen Sultan als reformfeindlich be- 
zeichnen, derselbe in den nächsten Tagen einen bereits redigirten 
Hat erlassen werde folgenden Inhalts: 
„t) Es sollen liberale Reformen auf der BafiS einer Eon- 
stitution vorgenommen werden. 2) Der Sklavenhandel, welcher 
trotz aller seine Ausrottung anstrebenden Dekrete immer noch 
an einigen Punkten deS oSmanischen Reiches betrieben wird, 
soll auf jeden Fall aufgehoben werden. 3) Die Armee soll reor^ 
ganifirt werden. Christen sollen in die türkische Armee eintreten 
dürfen; nur soll der Name „Christ" vermieden werden, und 
man soll fich ausschließlich der Bezeichnung „Muselman und 
Nicht-Muselman" bedienen. 4) Die Rechte und die Pflichten 
der Türkei den andern Mächten gegegenüber sollen gelegelt 
werden." 
Verschiedenes. 
* Weinfälschung. Die Syndikatskammer der Pariser 
Weinhändler hat an den Handelsminister ein Schreiben ge- 
richtet, in welchem fie über die künstliche Färbung der Roth- 
weine durch einen der neuen Theer-Farbstoffe, Fuchsei'n, klagt, 
und ihn auffordert, dagegen strenge Maßregeln zu treffen. DaS 
Fuchsei'n wird bald mit, bald ohne Arsenik zubereitet; in beiden 
Fällen ist eS, den Experimenten zufolge, welche der Chemiker 
Ritter in Nancy an lebenden Thieren gemacht hat, der Ge- 
sundheit schädlich, indem fie eine Zerrüttung deS Organismus 
herbeiführt. Da eS billiger ist als andere Farbestoffe, und 
dem Wein eine dunklere Färbung gibt ohne einen Satz zu 
hinterlassen, geben ihm die „Weinfabrikanten" des Südens und 
Ostens den Vorzug. Wahrscheinlich in Folge dieses Schrittes 
der Wein-Syndikatskammer find die Douanen von Paris an- 
gewiesen worden, keinen Wein mehr eingehen zu lassen, ohne 
jedesmal ein Muster davon behufs chemischer Prüfung zurück- 
zubehalten. 
* Amts styl. Ein Gemeindediener im AmtS-Bezirk Bret- 
ten in Baden hat letzthin tatsächlich folgende Bekanntmachung 
mit der Schelle verkündet: „Es wird hiemit bekannt gemacht^ 
daß jeder Hund mit einer 3 Meter (10') langen Blechmarke 
versehen werden muß. Wer einen Hund herrenlos herumlau- 
fen läßt, der wird mit 2 Mark bestraft und nach einigen Ta- 
gen getödtet." 
* Phyloxera. Dies verderbliche Infekt ist neuerdings, 
durch amerikanische Rebpflanzen in den Rebberg deS bei Stutt- 
gart liegenden königlichen Lustschlosses Wilhelma zugeführt, in 
Menge dort erschienen. Tag der Entdeckung. 5. und 6 Juli *< 
bei einer Anzahl Reben daselbst. Alle Maßregeln find getroffen, 
um dem Umsichgreifen deS Uebels vorzubeugen. 
Ebenso ist die Reblaus am Niederrhein erschienen und zwar 
durch Reben, die von der Regierung auS Amerika bezogen 
wurden, und da diese Rebflanzen vertheilt wurden, so ist Ge- 
fahr, daß die Plage an vielen Orten fich zeige. Auch dort 
ist nichts versäumt worden, den Feind zu bekämpfen. 
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