Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

bamal5,.daß Serbien als unmittelbarer Nachbar jener Provin- 
gen mehr als irgendjemand durch die periodisch wiederkehrenden 
Aufstände in moralischer und ökonomischer Beziehung in Mit- 
leidenschaft gezogen werden müsse, weßwegen eS in unserem 
Interesse liegt, daß einem solchen Zustande der Dinge ein- für 
allemal ein Ende gemacht werden solle. 
Da aber zu gleicher Zeit die Hohe Pforte, im Einver- 
Handnisse mit den Großmächten, das PacifieationSwerk in ihre 
Hände nahm, und zwar mit Ausschluß jeder anderen Mitwir 
kung, so war eS unsere Pflicht mit Achtung und Geduld da^ 
Resultat jener Versuche abzuwarten, welche die Großmächte 
lebhaft zu Gunsten unserer leidenden Brüder unternommen 
haben. Indessen hat die seit Jahrhunderten von dem bedrück- 
Im Volke, welches zu den Waffen gegriffen, gemachte Ersah- 
rung, demselben kein Vet trauen zu den Maßregeln eingeflößt, 
welche die Hohe Pforte zum Zwecke der Beruhigung ergriffen 
Hatte; eS fand keine Garantie in denselben gegen die Wieder- 
lehr der Uebelstände, welche daS Volk so oft zu den Waffen 
trieben. Der heldenmüthige Kampf wurde in der Herzego- 
wina auch weiter fortgesetzt, und fürchterliche Metzeleien und 
fchreckenSvolle Grausamkeiten blieben überall, namentlich aber 
jn Bosnien, an de» Tagesordnung. Während wir das Ende 
dieses ZustandeS der Dinge an unseren östlichen Grenzen ab- 
warteten, brach ein anderer Aufstand an einem anderen Grenz- 
Punkt unseres Fürstenthums aus. Bulgarien ist zu einem 
Schauplatze solcher Vernichtungs- und AuörottungSakte gewor- 
den, welche unser Jahrhundert gar nicht kennt. 
Ausbrüche des muselmännischen Fanatismus verpflanzten 
sich von den blutigen Schlachtfeldern aus nach allen Gegen 
den der europäischen Türkei und tauchten selbst in Konstanti- 
ttopel auf, im Schöße der Diener und Verbreiter des Korans, 
welche jetzt einen entscheidenden Einfluß auf daS Schicksal der 
Wolter im Kaiserreich ausüben. Solchen Erscheinungen gegen- 
über mußten alle Hoffnungen, daß die insurgirten Provinzen 
in Bälde beruhigt werden konnten, fallen gelassen werden. Die 
Ausfichten wurden immer trüber, so daß uns gar keine Hoff 
nung beleben kann, Serbien aus der schweren Lage, in wel 
cher eS sich bereits ein Jahr befindet, befreit zu sehen 
Trotzdem, daß unsere Lage eine unerträgliche geworden' 
unternahmen wir nichts waS den Großmächten und der Pforte 
das Werk der Paeification erschweren könnte. Im Gegentheile, 
meine Regierung hat alleS gethan was sie nur tbun konnte 
um zur Beruhigung der Geister beizutragen. Die Flüchtlinge 
auS Bosnien wurden empfangen und mit großen Opfern er- 
halten; an den Grenzen wurde unsrerseits eine musterhafte 
Ordnung erhalten, während unsere Armee, welche zur Beruhi- 
gung der Grenzbewohner auSmarschirt war, noch im Herbste 
deS Vorjahres nach Hause geschickt wurde. AlleS nahm in 
unserem friedlichen Lande seinen naturgemäßen Lauf; der öS- 
manischen Pforte wurde keinerlei Veranlassung gegeben gegen 
Serbien Maßregeln zu ergreifen, die nur daS Mißtrauen dik- 
tirt haben könnte. Trotz alledem schloß die oSmanische Regie- 
rung unser Vaterland von den Mündungen deS Timok bis zu 
jenem der Drina mit einer starken Armee ein. DaS türkische 
Heer nahm uns gegenüber eine drohende Haltung an; die 
wilden Horden der Baschi-Bozuks, Tscherkessen und Arnauten 
unternahmen nicht selten, von Abtheilungen der regulären Armee 
unterstützt, Einfälle in unser Land; sie Überfielen ruhige Bür 
ger. plünderten unsere heiligen Kirchen auS, brannten unsere 
Häuser nieder, trieben unsere Heerde« weg und raubten aller- 
orten unser Hab und Gut, hinter sich Schutthaufen und Leichen 
zurücklassend. « 
Brüder ! Ein Jahr bereits erduldet ihr diese blutigen Szenen 
auf dem Boden unseres theuren Vaterlandes, welches unsere 
Väter um den Preis ihres Blutes für uns erworden haben. 
Nicht nur die Einwohner einzelner Bezirke, sondern auch 
jene ganzer Gränzkreise mußten ohne Unterlaß an die Gränze 
eilen,, um daS ihnen von Räuberhand genommene Gut zu 
retten und das Leben ihrer Familie zu schützen. Alle Schritte 
welche meine Regierung bei den oSmanischen Behörden und 
bei der Pforte selbst unternahm blieben fruchtlos. Die de» 
waffneten Einfälle hörten nicht auf, während die türkische 
Armee uns auch ferner in einem BelagerungSstände hielt der 
jedem Handel, jeder Arbeit ein Ende machte, so daß wir un- 
sere Zuflucht zu außerordentlichen Maßregeln nehmen mußten, 
um den Rest unseres VolkSvermögenS vor dem völligen Ruin 
zu retten. 
Ohne im Kriegszustände zu sein, ertragen wir alle nachthei- 
ligen Folgen deS Kriegs. 
Nur eurer großen Geduld, nur eurer Achtung vor den 
Gesetzen und dem Gehorsam mit welchem ihr die Anordnungen 
meiner Behörden aufgenommen habt, ist eS zu danken, daß 
ihr bis jetzt euren verletzten Gefühlen wie eurem gerechten 
Zorn keinen Ausdruck gegeben habt. 
Kann man demnach meiner Regierung verargen daß ste, 
die Beschlüsse der VölkS-Skupschtina vollziehend, Maßregeln zur 
Verteidigung der solchergestalt bedrohten LandeSsicherheit er- 
griffeu hat? Und dennoch hat die oSmanische Pforte Serbien 
daraus einen Vorwurf gemacht, daß eS (ich unterstehe für ei 
gene Vertheidigung vorzusorgen, jenem Serbien welches die 
Pforte selbst zwang mit Aufbietung aller seiner Kräfte, mit 
Aufopferung aller seiner FriedenSintereffen sich in den Stand 
der Nothwehr zu setzen. 
Brüder! Ohne einen Augenblick die Wege der Mäßigung 
und Vernunft verlassen zu haben, und selbst im Widerspruch 
mit euren beleidigten Gefühlen, gab ich den Rathschlagen dIr 
Garantiemächte Gehör und verschloß, in meinem und eure» 
Herzen das Echo welches dieses in der zivilikrten noch uner- 
hörte Benehmen der Türkei hervorrufen mußte. Diesen Weg 
der Mäßigung verließ ich auch dann nicht als die Pforte, 
statt die Ursachen zu beseitigen welche diesen Zustand hervor- 
gerufen haben, eS für gut fand von mir eine Aufklärung zu 
fordern wegen der Maßregeln die wir zum Zwecke der Ber- 
theidigung unseres Landes ergreifen mußten. Nachdem ich auf 
eine bescheidene und zuvorkommende Art die Aufklärung dem 
fuzeränen £>ofe gegeben habe, gab ich meine Bereitwilligkeit 
kund einen Spezialgesandten nach Konstantinopel zu entsenden, 
welcher im Einverständnisse mit der Pforte die Grundlage 
ausfindig machen sollte auf welche ein dauerhaftes Einver- 
nehmen zwischen uns und der kaiserlichen Regierung hergestellt 
werden könnte. 
Aber waS glaubt ihr, welche Aufnahme fand dieser neue 
Beweis meiner Versöhnlichkeit bei der hohen Pforte? Während 
die Pforte mein persönliches Anerbieien mit Stillschweigen 
überging, wurde die türkische Armee mit neuer Anspornung 
an unsere Gränzen dirigirt; wilde Horden Baschi-BozukS, 
Tscherkessen und Arnauten beginnen aufS neue Serbien Ich zu 
nähern; aus der Tiefe Asiens wurden die barbarischen Kurde« 
in der Absicht herbeigerufen damit Serbien dem Raub und den 
Flammen überliefert, damit sein Wohlstand vernichtet, seine 
Lolkswürde gebrochen und ausgelöscht werde. - 
Da es der Pforte unmöglich ist, ihre Mißwirtschaft vor 
der Welt zu rechtfertigen, faßte sie den Plan Serbien die 
Verantwortlichkeit für jene Sünden aufzubürden, für welche 
sie ihren Völkern gegenüber ganz allein verantwortlich ist. 
Die Pforte scheint zu glauben daß, wenn das vorgeschrittene 
Serbien vom Erdkreis verschwinden würde, eS kein Land mehr 
im Orient gebe welches durch seine Existenz allein die fernere 
Unzulässigkeit der jetzigen Zustände in der Türkei bewiese. 
Brüder! Wenn wir nach solchen feindseligen Schritten und 
Absichten der Türkei auch ferner auf dem Wege der Zurück- 
Haltung blieben, würde unsere Mäßigung als Schwäche, unser 
Schweigen als Furcht gelten, welche nicht würdig ist der 
Nachkommen der Duschan und der Milosch. Ist aber auch
	        

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