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Liechtensteinische
Vierter Jahrgang.
Baduz, Freitag
Xr. 26.
den 30. Juni 1876.
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Vaduz, den 27. Juni 1876.
_____ Die Rebaktion
Ausland.
Deutschland. Am 20. Juni wurde der Erzherzog Alb»
recht von Oesterreich vom Kaiser Wilhelm zu EmS empfangen,
nachdem ßch am Tage, vorher Kaiser Alexander von seinem
Oheim verabschiedet hatte und lnach Jugenheim übergesiedelt
war. Die Zusammenkunft der Kaiser von Rußland und von
Oesterreich auf dem Schlosse Reichstadt in Böhmen soll am 3.
Juli stattfinden.
Oesterreich. Die Nummer der „Neuen Freien Presse"
vom 15. d. ist mit Beschlag belegt worden wegen des Leitar
tikels, der eine scharfe Kritik der auswärtigen Politik Oester-
reichs und Rußlands enthielt. ES war darin die Behauptung
aufgestellt, daß die eigentliche leitende Macht der Drei-Kaiser-
Allianz Rußland sei und daß dieses die Theilung der Türkei
plane. Die beiden andern Mächte seien sich dieses Vorhabens
entweder nicht bewußt, oder ste glaubten selbst, daß der Unter-
gang der Türkei nicht mehr aufzuhalten sei. Oesterreichs Pflicht
sei eS aber, an den Bestimmungen des Pariser Vertrags fest-
zuhalten, welcher die Integrität der Türkei garantirt. Im
Uebrigen erhielt der Artikel eine Rekapitulation der schon
früher gebrachten Behauptungen oder Enthüllungen über daS
zwischen Gortschakoff und Jgnatieff gesponnene Komplott, wel
che eben auf Theilung ^der Türkei hinauslief, aber durch die
Dazwischenkunft Englands vereitelt wurde. Berichte aus EmS
und London, welche ein paar Tage darauf die „N. Fr. Pr."
unbeanstandet brachte, bestätigen vollkommen jene Enthül-
lungen. —
Feldmarschall - Lieutenant Graf Bylandt, ist zum Reichs-
kriegSminister ernannt worden.
Türkei. Der Konstantinopeler Korrespondent der „Polit.
Korr." schildert den Eindruck, welchen die jüngsten Mord-
thaten auf die Bevölkerung der türkischen Hauptstadt mach-
ten, folgenderMaßen: „Die Aufregung zu schildern, welche sich
heute der ganzen Stadt in Folge der gestern in vorgerückter
Abendstunde bei Midhat Pascha zugetragenen Schlächterei be-
mächtigt hat, ist jede Feder zu schwach. Alles rennt wie be-
feffen hin und her mit dem todtfahlen Ausdrucke des Schreckens
und der Angst vor weiteren Blutthaten in den Mienen. Matt
weiß nicht, ob das furchtbare Ereigniß den Beginn einer
SchreckenS-Aera bedeute, welche den Eintritt einer gewaltigen
politischen und sozialen Katastrophe einleiten soll. Ratlosig
keit und Bestürzung sind die Zeichen deS TageS. In diesem
Augenblick weiß sich noch Niemand Rechenschaft zu geben, wa#
daS Gemetzel der letztverflossenen Nacht zu bedeuten hat. Hat
man eS mit der ersten That einer Gegenrevolution oder eine»
Racheakt zu thun? Auf den Gesandtschaften selbst ha/ Man
sich noch keine Meinung zu bilden vermocht, und nur auS verr
türkischen RegierungSkreisen hört man daS einzige LosungSwört:
Privatrache."
Räch den neuesten Berichten wurde dem Mörder am Mor*
gen nach der That das Leben genommen , Wahrscheinlich um
ihm so schnell alS möglich den Mund zu schließen.
Ueberhaupt haben die jüngsten Ereignisse in Konstantt'nopet
die Meinung Europas merklich verändert; nur wenige türken-
freundliche Blätter gewinnen eS noch über sich, all diese Mord-?
thaten in beschönigendem Lichte darzustellen. Medizinische Fach-,
blätter von hohem Range unterziehen die amtlichen Berichte
über den „Selbstmord" Abdul Aziz' einer strengen Kritik und
lassen durchblicken, daß der Tod deS letzten Sultans nicht
durch eigene, sondern durch fremde Hand erfolgt ist. Die
schnelle Hinrichtung des Tscherkessen Hassan, den man nicht
einmal verhört hat, macht ebenfalls einen eigenthümlichen Ein-
druck. Unbefangene Politiker hegen allgemein die Ansicht, daß
ein Regiment, das mit solchen Blutthaten begonnen hat, nicht
im Stande und nicht Willens ist, das Zeitalter einer euro-
päischen Civilisation im türkischen Reiche einzuleiten, auch wenn
nicht die thatsächlichen Verhältnisse der Tinpfropfung abend-
ländischer Cultur unüberwindliche Hindernisse entgegenstellten.
Nichtsdestoweniger tauchen immer zahlreichere ^Reformprojekte
auf und die türkenbe geisterte Presse meint, da jetzt Midhat
Pascha daS Heft unbestritten in den Händen hat, könne eS
an der Verwandlung deS OSmanenreicheS in einen konstitutiv-
nellen Staat gar nicht mehr fehlen. John Lemoinne schreibt
in den „DebatS": Sind alle diese Reformen möglich in einem
Lande, welches auf die Eroberung gegründet ist, durch die
Herrschaft mit den Waffen aufrecht erhalten wird? Wir wol-
len versuchen daran zu glauben, aber wir werden gleichzeitig
glauben, daß es keine konstitutionelle Türkei mehr gibt. Man
wird uns zugestehen, daß die bis jetzt angewandten Mittel
nicht konstitutionell waren, und daß die Reformatoren in felt»
famer Weife auf der parlamentarischen Bühne auftreten. Seit-
dem die Türken anzeigen, daß sie den Weg der Civilisation.
betreten undZsich die westlichen Institutionen einimpfen wollen,
hört man nur mehr von Revolvern, Dolchen und Scheeren