Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

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Der greise Fürstbischof von^BreSlau, Dr. Förster, hat sich 
nach Schloß JohanneSberg, einer Besitzung deS BreSlauer 
BiSthumS in Oesterreichisch-Schlesien begeben. Wie man Der- 
nimmt, gedenkt er von Oesterreich auS seine preußische Diözese 
zu verwalten. 
Oesterreich. Der Kaiser von Oesterreich ist nach mehr- 
wöchentlicher Abwesenheit, am 15. d. M. in semer ReichShaupt- 
stadt wieder eingetroffen. 
Bezüglich der bevorstehenden Zollvertragsabschlüsse Oe 
sterreichs mit verschiedenen auswärtigen Staaten soll in der 
diesseitigen ReichShülste eine entschiedene Strömung für den 
„S ch u tz z o l l" im Aange sein, während in der ungarischen 
Reichshälfte die tonangebenden Organe der Deakpartei ebenso 
eifrig für daö „Fre ihand^lsfystem" eintreten. Man darf 
über den Ausgang dieser großen wirtschaftlichen Frage in 
Oesterreich gespannt sein. 
Asten. Die Cholera tritt in Indien mit großer Heftig- 
keit auf ; von Cawnpore, Tyzabad, Zounpore und BenareS 
laufen erschreckende Berichte ein. Der Zug von BenareS, der 
am 8 AbendS in Lucknow Hütte eintreffen sollen, kam erst am 
9 Morgens an, da unterwegs so oft angehalten werden 
mußte, um die Todten und die Sterbenden auS dem Zuge zu 
entfernen. Ein anderer Zug, der an demselben Tage in Luk- 
now eintraf, brachte 8 Leichen von solchen, die während der 
Fahrt der Cholera erlegen waren. 
Verschiedenes. 
Der Untergang des „Schiller". 
Am 7. Mai ist der Hamburger Dampfer „Schiller" auf 
der Rückfahrt von^New-Nork^an der.mg.lische^Me ^ch^ 
Passagiere erster Klasse, 75 zweiter Klasse und 120 im Zwi. 
schendeck, ferner i00 Matrosen. Unter den.Passagieren sind 
viele Deutsche, auch Schweizer. Der Dampfer führte 300,000 
Doll an bac^r nebst der neuseeländischen Post Die Zahl der 
Geretteten beläuft sich auf 43 Personen, auch wurden 25 
Postbeutel geborgen. 
Alles ging gut, bis der „Schiller" in die Nähe der eng- 
tischen Küste kam. Da stellte sich ein dichter Nebel ein, der 
Freitag AbendS so dick wurde, daß man kaum eine Schiffs- 
länge weit sehen konnte Um 3 V 2 Uhr befand fich daS ' 
Schiff an der südwestlichen Seite der Scilly-Inselgruppe. Hier 
, pflegen die Dampfer ihre Ankunft durch Raketen und Kano 
nenschüsse zu signalisiren, und die Kunde hievon kommt auf 
demselben Wege nach Plymouth, so daß man dort auf ihr 
Eintreffen nicht vorbereitet ist. ES befand sich daher ein 
großer Theil der Passagiere 'an Bord. AlleS sah nach Licht 
vom Lande auS, nach dem Lichte vom Leuchtthurme auf Bis- 
hopa Rock, daS bei Hellem Wetter 16 Seemeilen weit sichtbar 
ist. Allein bei dem dichten Nebel war von dem Lichte nichts 
zu sehen, daS Läuten der warnenden Nebel-Glocke wurde auf- 
fallender Weise-überhört, und ungefähr um 10 Uhr fuhr der 
„Schiller" wenige hundert AardS vom Leuchtthurme auf die 
sogenannten Relarrier-Riffe, und ehe die rückgängige Bewegung 
der Maschine von Wirkung sein konnte, war der Schiffsboden 
eingestoßen. Es war Ebbe, als das Schiff scheiterte, die Fluth 
trat bald darauf ein und die Wogen begannen mit immer 
größerer Gewalt an dasselbe anzuprallen und darüber hinweg- 
zufegen. Wie mächtig die Brandung an diesen Inseln ist, 
geht daraus hervor-, daß der erste Leuchtthurm auf BiShopo 
Rock, der a< gußeisernen Pfeilern stand, im Jahre 1350 
noch vor seiner Vollendung weggerissen wurde. Der gegkn- 
wärtige Leuchtthurm ist aus Granit und 110 Fuß hoch; bei 
stürmischem Wetter gehen die Wellen über ihn weg. Dieser 
Riesengewalt konnte der „Schiller" nicht lange widerstehen. 
Zuerst riß die Fluth das Dach über der ersten Kajüte weg 
und damit fast alle Frauen und Kinder. Die Kanonen- und 
Raketensignale der Mannschaft waren nutzlos; auch wenn man 
sie hörte, war doch Hülfe- bei dem Nebel und der hochgehen- 
den See unmöglich. Von den 8 Booten wurden 7 herunter- 
gelassen, aber nur 2 davon erreichten bei anbrechendem Tage 
daö Land. DaS Rettungsboot zerschellte alS es kaum flott 
gemacht war. Die auf dem Schiffe Zurückbleibenden wurden 
nach und nach von den Wellen weggespült, und um 4 Uhr 
Morgens verstummte das letzte herzzerreißende Hülfegeschrei; 
der „Schiller" war gesunken. 
Einer der Geretteten, Herr Henry Stern läßt sich folgen- 
dermaßen vernehmen: 
„Die Reise schien von Anfang an unglücklich. Wir hat- 
. ten schon beim Auslaufen einige kleine Unfälle. Nach einigen 
Tagen schönen Wetters wurde das Wetter so schwer, daß alles 
GlaS an Bord zerbrochen wurve und zwei Tage lang Nie- 
mand von den Reisenden zur Mittagstafel kam. Am Freitag 
(7.) Abend 10 Uhr wurde eS mit einem Male so dunkel, daß 
manZnichlS mehr außerhalb des Schiffes sehen konnte. Der 
Kapitän ließ die Segel einziehen, die- Maschine langsamer ge- 
hen und die Spähwache verstärken. Schlimmer als der schwere 
Südwestwind und die schweren Wogen waren der Nebel und 
die Fluth. Ich sah nach den Scillylichtern auö, denn ich 
kannte die Gegend, wo wir waren, da stieß das Schiff, wäh 
rend e^ sehr langsam fuhr , auf einige Felsen. Kapitän Thomas 
befand sich in dem Augenblick auf der Brücke und viele Rci- 
sende auf Deck; viele Frauen und Kinder, auch einige Män 
ner lagen zu Bett. Man schoß Kanonen ab und ließ Raketen 
steigen; die Aufregung war ungeheuer 
Der Kapitän benahm sich alS Mensch und Seemann gleich 
vorzüglich, konnte aber in dem allgemeinen Schrecken nichts 
] Itfwir. cimu fiaiguu m t(ii Nvvt, irne zimmzlg 
tragen konnte, und gingen unter. Er feuerte seinen Revolver 
über die Köpfe deS Haufens ab, um ste im Zaume zu hal- 
ten; ich glaube, ich an seiner Stelle hätte mitten hinein ge- 
feuert. Während er von der Brücke aus Anstalten zur Ret- 
tung der Frauen und Kinder, welche die Hälfte der Reisenden 
ausmachten, zu treffen suchte, wurde er von einer Welle nebst 
dem Doktor und dem Oder-Ingenieur über Bord gespült. DaS 
war etwa 2 Uhr früh. Um Mitternacht lichtete sich der Ne- 
bel, und man sah daS Licht von Bishop's Rock. Im Gan- 
zen wurden etwa zehn Kanonenschüsse abgefeuert, dann aber 
wurde'daS Pulver naß. Die See rollte über das Schiff weg 
und füllte es nach und nach an. Ich half vier Bote über 
Bord bringen, allein die tobende See riß sie sofo.rt weg. Zwi 
schen 1 und 2 wurde der Pavillon über dem Salon, in dem 
Frauen und Kinder zusammengepfercht waren, mit ihnen von 
den Wellen -über Bord geworfen. Darauf kletterte ich in'S 
Takelwerk deS Fockmastes, wo ich bis Tagesanbruch blieb. Da 
wurde der Fockmast mit feinem Takelwerk weggerissen und die 
darin Sitzenden ins Meer geworfen. Ich schwamm, bis ich 
von einem Fischerboote gerettet wurde, in dem zwei Knaben 
saßen, die mit unübertrefflicher AuSvauer arbeiteten. Die mit 
dem Pavillon über Boro gespülten Frauen und Kinder wa- 
ren hoffnungslos verloren, und eS ist ^ein wahres Wunder, 
daß eine derselben MrS. Jones, gerettet wurde. 
. Viele Leute hatten die Unklugheit begangen, sich an die 
eisernen Masten festzubinden, von denen sie alS sie über Bord 
fielen, rettungslos in die Tiefe gerissen wurden. — In einem 
Eingesandt an die „TimeS" wird übrigens auf die Unsitte 
deutscher Dampfer aufmerksam gemacht, regelmäßig beim Vor- 
beifahren an den Scilly-Inseln Kanonen und Raketen abzu- 
feuern, um ihre Ankunft behufs Weitertelegraphirung anzu- 
zeigen. Der Einsender weist nach, daß wenn die Schüsse deS 
Schiffs, die am Lande gehört worden find, sofort als Un-
	        

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