Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

fand im Herzen Europas fei eine sichere FriedenSbürgschait, 
aber man müsse dasselbe auch in den Stand setzen diese Mis- 
fion zu erfüllen. (Lebhafte Zustimmung.) Die von verfchie- 
denen Seiten angenommenen furchtbaren wirtschaftlichen Zu 
stände könne er nicht erblicken: den schwindelhaften Unterneh 
mungen der Borjahre sei ein viel zu zroßeS Mißtrauen deS 
Publikums gefolgt, wie lange dies dauern werde wisse er nicht; 
daß eS aufhören werde wisse er, daß eS bald aufhören werde 
glaube er. Die Nation werde sich wiederfinden als solche, 
die mit erhöhter Intelligenz und ungeschwächter Kraft fortar- 
beite. Der Minister erwähnt schließlich die neuen Steuergesetze, 
wovon er, wenn auch die Brausteuer nicht gefallen sollte, die 
Vörsensteuer empfehlen müsse. „Sie werden," schloß der Mi- 
nister, .mit der Annahme der Börsensteuer nur das Wohldes 
Reiches fördern." Im weiteren Verlaufe der Debatte wies 
Eamphaufen die mißverständliche Auffassung zurück als wolle 
die Regierung die Steuergesetze fallen lassen. Dieselbe werde 
vielmehr mit aller Wärme dafür eintreten. LaSker konftatirte 
die Uebereinstimmung der ReichStagSmehrheit mit der Wirth, 
schaftSpolitik der Regierung und wies den Borwurf zurück, daß 
die liberale Gesetzgebung die wirtschaftliche ftrifitf verschuldet 
habe. Das Haus beschloß die wichtigsten EtatSgruppen an die 
Budgetkommission zu verweisen. 
Oesterreich. Erzherzog Franz, Herzog von Modena, ist 
am 20. d. M. in Wien gestorben. Derselbe wurde am l. 
Juni 1819 geboren und war seit 18 März 1860 seiner Krone 
verlustige Kardinal Rauscher ist gefährlich erkrankt. Die 
Teilnahme um sein Befinden ist in allen Kreisen eine sehr 
große. 
Unter den von der österreichischen Regierung im ReichSrath 
«ingebrachten 10 Eisenbahnvorlagen befindet sich auch ein 
neueS Projekt für die A r l b er g b a hn. Nach den Motiven zeigt 
dieses Projekt große Abweichungen voa dem 1872er Projekte 
Die Arlberg'Wafferscheide soll nämlich nicht — wie projektiv 
war —bei einer KulminationShöhe von 1267 Meter mittelst 
eines 12,400 Meter langen Tunnels überschritten werden, 
sondern durch einen Tunnel von nur 6740 Met** Länge in 
einer Eeehöhe von 1415 Meter. Die Gesammtbaukosttn der 
Linie (Bludenz-Landeck-JnnSbruck) sind auf 34 3 Millionen 
veranschlagt, wovon auf den Haupttunnel allein 8.6 Mlllio- 
nen entfallen. Auf Grund der am Gotthard gewonnenen 
Resultate wird die Bauzeit für diese Vahn auf 5 Jahre (statt 
früher 8% Jahre) veranschlagt 
Rußland. Die neue Kundgeburkg deS „Regierungs-Anzei 
ger»," in welcher sich Rußland zur Beruhigung bezüglich der 
Orientfrage an die ausländische Presse wendet, lautet wört 
lich wie folgt: 
„Die in einem Theile der europäischen Presse anläßlich der 
gegenwärtigen Wirren in der Herzegowina laut gewordenen 
Befürchtungen finden weder in der allgemeinen politischen Si- 
tuation Europas noch auch in dem besonderen Stande der 
Dinge aus ver Balkan-Jnsel ihre Berechtigung. Noch niemals 
befand sich Europa in einer günstigeren L^ge als jetzt, um er- 
folgreich u friedlich alle Schwierigkeiten zu beseitigen, welche seine 
Ruhe beeinflussen könnten. Drei mächtige Reiche des Nordens stre- 
ben mit vereinter Kraft u. unterstützt von den übrigen europaischen 
Regierungen danach eine friedliche Lösung der in der Herzegowina 
eingetretenen Verwicklungen zu finden, und niemand kann daran 
denken den Frieden zu stören und sich in einen Gegensatz zu 
den allgemeinen friedliebenden Bestrebungen zu stellen. Und 
somit darf denn abermals positiv ausgesprochen werden, daß, 
so beklagenSwerth die Verwicklungen auch sein mögen die 
gegenwärtig auf der Balkan-Halbinsel herrschen und die Ruhe 
Europa'S beeinträchtigt haben — die vereinten Anstrengungen 
der drei Mächte mit Hülfe der übrigen europäischen Cabinete 
diesen Verwicklungen einen der jetzigen friedliebenden Stim- 
mung entsprechenden Ausgang geben werden, und jedenfalls 
der Friede Europa'S so sicher auf dem gegenseitigen Vertrauen 
und Einvernehmen der Großmächte ruht, daß für die Störung 
desselben durchaus keine Gefahr zu erblicken ist." 
Verschiedenes. 
* Ueber das große Eisenbahnungl ück bei Gö- 
pfritz entnehmen wir der „Presse" folgendes Nähere: 
„Der Wien-Egerer Personenzug Nr. 9 ging am 4. d. M. 
AbendS mit 310 Passagieren von Wien ab. Unterwegs waren 
etwa zwei Drittel der Passagiere ausgestiegen. Mit voller Ge 
schwindigkeit passirte der Train die Bahnstrecke Göpfritz- (Groß- 
Sieghards)- Schwarzenau. Beiläufig in der Mitte des WegeS 
stürzte die Maschine den einige Klafter hoben Bahndamm 
hinab, und riß alle Wagen biS auf einen mit in die-. Tiefe. 
Einige Wagen wurden förmlich zertrümmert, und die Maschine 
war umgestürzt. AuS den Trümmern heraus vernahm man 
daS Jammern der Passagiere, die Klagetöne Verwundeter, das 
Aechzen der Sterbenden. Zudem war eS Nacht, was den 
schrecklichen Eindruck dieser Scene um ein bedeutendes erhöhte. 
Nach den ersten Augenblicken deS allgemeinen Schreckens faß- 
ten lich einzelne unversehrt geblieben« oder nur leicht verletzte 
Passagiere, und nach Verlauf einer geraumen Zeit langten von 
Göpfritz, Schwarzenau, Groß.Sieghards und den umliegenden 
Ortschaften Aerzte und HülfSpersonal ein. Doch ihren guten 
Willen konnten sie nicht ihrem Wunsche gemäß bethatigen, denn 
es bedurfte einer weitaus bedeutenderen Händezahl; dann bot 
dem Rettungswerk die herrschende Fmsterniß die größte Schwie- 
rigkeit. Nichtsdestoweniger wurde unermüdlich gearbeitet, um 
jenen so rasch als möglich Rettung zu bringen, die einer sol- 
chen bedurften. Eine große Anzahl Verwundeter wurde auS 
ven Wagen gezogen und ärztlicher Hütfe zugeführt. Von dem 
Zugpersonal ist, bis auf einen Kondukteur, ein Theil getödtet, 
der andere verwundet worden. Der Kondukteur,, welcher vor 
wenigen Tagen dei dem Zusammenstoß eines Personen- und 
eines gemischten ZugeS in Tabor zugegen war und unbeschä- 
digt blieb, ist am 5. d., Nachmittags um 2 Uhr in Wien ein- 
getroffen, und meldete der Generaloirektion die Einzelheiten 
dieses Unglücksfalles, dessen Zeuge er gewesen. DaS eigentliche 
RettungSwerk begann erst als um 6 Uhr Morgens ein HülfS- 
zug von Wien mit dem Delegirten der Generalinspektion der 
österreichischen Eisenbahnen, Kommissär Wilke und dem Central- 
inspektor Karl Klaudy auf der Unglücksstätte eintraf. Einige 
Stunden später erschien auch der Generaldirektor Hofrath Ritter 
v. Kogerer, um die Leitung deS RetlungSwerkeS und die der 
Erhebungen zu unterstützen. BiS 10 Uhr Vormittags wurden 
fünf Leichen und neun Schwerverwundete aus den Trümmern 
hervorgezogen. Unter jenen befanden sich der Maschinensührer, 
der Heizer, der Postoffizial Hravetzky (Vater von sechs unmün 
digen Kindern), und der Kondukteur Watzinger (Vater eines 
4 Monate alten KinveS.) Den Postoffizial BohuSlaw, der 
gleich fernem unglücklichen Kollegen vom heißen Wasser, daS 
auS dem Kessel der Maschine herausströmte, schrecklich verbrüht 
worden war, tranSportirte man un sterbenden Zustande von der 
Unglücksstätte in daS nächstgelrgene Dorf. Gin junger Mann, 
NamenS Dauer, der im Korrespondenzwagen manipulirte, 
wurde lebensgefährlich verwundet. Der Brustkasten ist ihm ein- 
gedrückt worden, außerdem erlitt er eine Wunde am Hinter- . 
Haupte. Wie schon erwähnt stürzten alle Wagen biS auf den 
letzten den Damm hinab. In diesem einen, zur Hälfte erste, 
zur Hälfte zweite Klasse, befanden sich drei StabS- und zwei 
Oberoffiziere, die der ihnen drohenden Gefahr wie durch ein 
Wunder entgingen. Die genaue Anzahl der Todten kann bis 
jetzt nicht einmal annäherungsweise angegeben werden, denn 
die Trümmer unter welchen verstümmelte Leichen liegen, 
konnten noch nicht beseitigt werden. ES wäre schwer alle die 
Details der Katastrophe anzuführen, wir wollen für heute nur 
eine einzige der vielen so tragischen Scenen, die sich zutrugen,
	        

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