Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1875)

blick auf diese Temperatur waren die Straßen von Paris am 
Tage auch vollständig leer, um so mehr, a!S der größte Theil 
der Bevölkerung schon am Morgen mit den zahllosen Bahn- 
züqen dem Lande zugeeilt war Trotzdem wurden in Paris 
17 Fälle von Sonnenstich konstatirt, die aber nicht töbtlich 
Derliefen; die Pferde wurden von der Hitze schon ärger bela- 
-fügt; 34 dieser Thiere fanden eS für gut, ReißauS zu nehmen, 
zwei jedoch nur richteten erheblichen Schaden an. Außerdem 
wurden aber vier Menschen plötzlich irrfinnig 
Die Londoner Blätter bringen ganze Spalten lange Aus- 
wanderungSlisten von Solchen, welche wegen der herrschenden 
Hitze die Hauptstadt verlassen haben. Die aristokratischen 
Viertel im Westen der Stadt find verödet und die Minister 
haben stch auf ihre Landsitz?, oder auf die Jagd oder auf Ret- 
fen begeben. 
Daß die Sonnenstrahlen auch manchen Traubenbeeren zu 
warm wurden, haben wir in der letzten Nummer unseres 
Blattes mitgetheilt. Es dürste jedoch nicht uninteressant sein, 
eine Anficht über die nähere Ursache der Erscheinung „ver- 
brübter Traubenbeeren" zu vernehmen. Ein Einsender in das 
„Bündner Tagblatt" schreibt darüber: 
Wir suchen die Ursache in den Wirkungen deS gefräßigen 
SauerwurmS, für dessen Entwickelung unmittelbar nach 
der Blüthezeit die anhaltend feuchte Witterung sehr günstig 
war. Diese kleine Raupe benagt die jungen Blüthenstiele und 
bohrt stch auch in die Fruchtknoten ein. So lange nun der 
Stiel nicht rundum bis auf den holzigen Kern abgefressen ist, 
dauert namentlich bei anhaltender Nasse die Vegetation fort, 
allein sobald dann die Trockniß eintritt, zerfällt die Beere aus 
Mangel an Nahrung. Natürlich find die der Sonne stark 
ausgesetzten Trauben am frühesten von den Folgen dieleS Zer- 
störungSwerkeS betroffen, und so wurde beim Eintritt der hellen 
Witterung sofort ein überall gleichzeitig eintretender Abgang 
bemerklich. Man wird aber zugleich bei Untersuchung der 
Stiele solcher Beeren finden, daß dieselben benagt und bereits 
dürr find, nur noch die holzige Faser ohu^ al^ fleischige Um- 
kleidung zeigen Wäre der Witterungscharakter des Juli hell 
und trocken gewesen, so würde man diese Erscheinung nicht 
gehabt haben, wie sie jetzt auftritt, weil stch der Sauerwurm 
bei trockener Witterung nicht günstig entwickelt. DaS Jahr 
1875 steht überhaupt in den Annalen deS Ungeziefers auSge- 
zeichnet da. 
Vaduz, den 25 August. Wie man hört, zeigen stch in 
Graubünden in den Alpen und im Thal schon italienische Bich- 
Händler, besichtigen und kaufen hauptsächlich vor der Hand 
schöne Kühe. ES scheint demnach der Viehhandel kommenden 
Herbst lebhaft werden zu wollen. Für schöne Kühe sollen jetzt 
schon recht anständige Preise bezahlt werden. 
Politische Rundschau. 
Am meisten beschäftigt die Presse, wie das öffentliche In- 
teresse der Aufstand in der Herzegowina. Derselbe gibt den 
türkischen Staatsmännern Anlaß genug, an die Klage deS Zau 
berlehrlings zu denken; sie werden die Geister nicht mehr loS 
Wie eine Lawine hat die Bewegung klein angefangen, am 
goldenen Horn.schaute man mit ächt moSlemitischer Indolenz 
behaglich zu, die Bewegung wuchs von Tag zu Tag, in einem 
Treffen nach dem andern blieben die Insurgenten Sieger, von 
allen Seiten strömten Unzufriedene herbei und jetzt ist ihre 
Zahl bereits so boch gestiegen, daß Nadjib Pascha mit 20,000 
heranrückt, um die wild aufgeregte Provinz wieder zur Ruhe 
zu bringen. In den Köpfen spuckt das finnbethörende Bild ei 
nes großen freien SüdslavenreicheS, der Unwille über die tür- 
tische Lumpenwirthschast" gießt immer neueS Oel ins Feuer, und 
so schlägt die Flamme an immer neuen Punkten aus dem Bo- 
den. Bereits meldete ein Telegramm aus Alt-GradiSka an der 
slavonisch-türkischen Grenze von dem Ausbrechen eines Aufstan 
des im Kosaragebirge, der Save entlang. Ein türkisches Wacht- 
Haus, sowie alle CsardakS der türkischen BegS wurden abge 
brannt, 30 Türken getödtet, die Telegraphen-Linien zwischen 
Alt-GradiSka und der gegen steben Meilen südwestlich gelegenen 
Festung Banialuka zerstört, und die Familien der Christen flie- 
hen die Save entlang nach Oesterreich, wo sie natürlich neue 
Erregung hervorrufen werden. Der türkische Oberbefehlshaber 
wird also bald nach seiner Ankunft im aufständischen Bezirke 
genöthigt sein, seine Kräfte zu zersplittern, wenn nicht eine 
neue Truppensendung von Konstantinopel auS nach der boSnisch- 
slavonischen Grenze stattfindet. 
Die Insurgenten haben jedoch auch Feinde in der eigenen 
Bevölkerung. Wie die offiziöse „Polit. Korr." schreibt, greift 
die mohamedanische Bevölkerung in der Herzegowina, wiewohl 
selbst fast durchgehend slavischer Abstammung und. derselben 
Zunge, zu den Waffen, nicht etwa um gemeinsame Sache mit 
ihren christlichen Stammesbrüdern gegen die Regierung zu ma- 
chen, sondern um gegen die Insurgenten die Herrschaft deS IS- 
lamS und daS eigene Hab und Gut zu vertheidigen und zu 
sichern. Die bisherigen Erfolge der christlichen Insurgenten u. 
die dadurch grell hervortretende Ohnmacht deS türkischen Gou 
vernements haben die bis dahin ziemlich ruhig und gegenüber 
den christlichen AufstandS. Bestrebungen fast mehr wohlwollend 
als gleichgiltig gebliebenen MoSlimS aus ihrer Ruhe u. Sorg- 
losigkeit plötzlich aufgescheucht. Fast durchgehende den wohlha 
benderen Theil der Bevölkerung der Herzegowina bildend, ist 
ihnen mit einem Male vor ihrer Zukunft bange geworden, die 
sie stch als religiöse Verfolgung, Hand in Hand gehend mit 
einer Verdrängung u Verjagung von ihrem Grundbesitz, vor- 
stellen. Eine Art religiös-soeialer Panik hat stch ihrer bemäch- 
tigt. Schon seit Wochen versammelten fich die befitzenden mo- 
hamedanischen Bewohner der zerstreut liegenden Dörfer und 
Weiler zur Abhaltung von Eonventikeln, in welchen in geheim- 
nißvoller Weise das Verhalten gegenüber den sogen. RajahS 
(Christen) berathen wurde. Bricht aber wirklich der eigentliche 
Raeen- und Religionskrieg aus — und die Möglichkeit eines 
solchen muß sowohl zugegeben alS ernst ins Auge gefaßt wer- 
den — dann tritt eben die Frage auch für den zunächst be- 
theiligten Nachbarstaat in eine andere Phase. ES handelt sich 
dann nicht mehr darum, ob die Türkei ihren Besitzstand erhal- 
ten könne, und durch welche Mittel dieselbe in ihren Bemüh- 
ungen zu unterstützen wäre, sondern eS tritt die direkte Mah- 
nung an Oesterreich-Ungarn heran, ein Umsichgreifen deS 
Brandes zu hindern. Es würde in diesem Falle kaum mehr 
genügen, den Anlaß der ausgekrochenen Bewegung — die 
traurige materielle Lage der RajahS — zu beseitigen. Die 
Pacificirung müsse dann um einen erheblicher« Preis erstrebt 
werden. 
Ueber die Chancen des AufstandeS verbreitet sich der lan- 
deSkundige und berühmte Militärschriftsteller JuliuS v. Wickede 
in der „Köln Ztg." und stellt demselben folgendes Prognosti- 
kon: „Meine Ueberzeugung ist, daß diese Bewegung von der 
größten Bedeutung und der drohendsten Gefahr für die tür- 
kifche Herrschaft sein wird, sobald sie ,von irgend einer aus- 
wärtigen Macht eine wenn auch nur indirekte Begünstigung 
erfährt, daß aber andernfalls die Truppen deS Sultans, trotz 
ihrer schlechten Organisation, ihn bald unterdrücken werden, 
wenn die Empörer auf ihre eigenen Kräfte angewiesen bleiben 
. ... Im ganzen Balean, in Bulgarien, Bosnien, türkisch 
Kroatien und der Herzegowina find die Bekenner deS JSlamS 
nicht allein zahlreicher, fondern aucb kräftiger, wohlhabender, 
besser militärisch organifirt und mehr mit Waffen geübt und 
ausgestattet, als die Christen, und nur in Serbien, einem 
größtentheilS christlichen Staate, findet das entschiedene Gegen- 
theil hievon statt. So kann der Sultan seine christlichen Un- 
terthanen in jenen Gegenden ganz leicht durch deren moham- 
medanische Bewohner im Zaume halten." Daß ,der Aufstand
	        

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