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„Ihr seid, von gerechter Freude erfüllt über daS große Er-
eigniß deS gestrigen TageS, festlich hiehergezogen, um dem eid
genössischen Banner, das hier von der Bundesstätte flattert,
einen patriotischen Gruß darzubringen. So tief und froh be-
wegt haben wir diesem eidgenösischen Banner, haben wir un-
serm Vaterlande lange nicht mehr zugejauchzt wie heute, wie gestern
um Mitternacht, als uns die volle Sicherheit geworden, daß daS
große Werk gelungen, daß der neue Bund von Volk und Ständen
in großer Mehrheit bejaht und besiegelt sei. ES ist gelungen!
Diese frohe Kunde hat heute jeder Berg dem andern, jedes
Thal dem andern verkündet; ste ist ausgegangen in alle Län-
der wo Schweizer wohnen, und ängstlich harrten was geschehen
werde; ein Jubel erfüllt daS Land, und tausend heiße Grüße
und Glückwünsche fliegen von Schweizerherzen auS allen Welt-
gegenden der doppelt lieben Heimat zu! Im neuen Glänze
strahlt die schweizerische Republik! Edler steht sie da, mensch-
licher, gereinigt von vielem was sie verunstaltete, freier und
gerechter, selbstbewußter und stärker! Und waS sie geworden,
ist ste am 19. April geworden, daS ist sie geworden auS sich
selbst und durch sich selbst in langem, gewaltigem innern Rin-
gen, volle Freiheit gewährend jedem Gegensatz, jedem auch dem
erbittertsten und maßlosesten Worte, mit Geduld, Standhaftig-
keit, Selbstüberwindung, Maßhalten und alteidgenössische treue
Verständigung suchend. Und wie es Männern geziemt die in
der Freiheit aufgewachsen sind, so hat daS Volk der Republik
am gestrigen Entscheidungstag in würdigster Haltung, in un-
getrübtem Frieden, die Ordnung sich selbst gebend, seine höchste
republikanische That gethan und daS neue Grundgesetz deS
Landes aufgerichtet Gin Strom von Freude in unserm Ge-
müth, ein Strom von Vaterlandsliebe geht aus von dem waS
wir Eidgenossen in den letzten 4 Jahren miteinander durchge-
rungen und durchgelebt haben, ein Strom der unser ganzes
schweizerisches Leben neu befruchten und einen neuen, Herr-
lichen Frühling uns bringen wird. Unsere Freude ist unge-
trübt trotz der 150.000 „ Neinwelche gestern in die Urne
gefallen sind. Wir wissen, daß sich unter diesen Schweizern
viele, viele Tausende befinden, welche nicht ungern gehört haben,
daß sie nicht obgesiegt. Wir wissen, daß abermals am ge-
strigen Tage viele Tausende noch befangen waren von Irr«
thümern und Vorurtheilen, welche eS nach Verlauf mancher
Jahre schon nicht mehr sein werden. Wir sind der festen Zu-
verficht, daß der eidgenössische Geist, welcher unsere Dreimal-
hunderttausend zusammengebunden hat, durch sein Walten
auch eine große Anzahl der jetzt noch Widerstrebenden finden
und mit uns zusammenbinden wird. Denen aber gegenüber,
welche im Vaterland und in seinem Volk ihre Wurzeln nicht
suchen und nicht finden wollen, wird die neugeborne Helvetia
ihre Macht brechen. Ihnen gegenüber wird sie fest und ent-
schieden zur Geltung bringen waS das Schweizervolk am heu-
tigen Tag als seine Meinung erklärt und besiegelt hat."
Frankreich. Der „Opinion nat." wird aus Nizza tele«
graphirt: „Letzten Sonntag hielt Herr Piccon, Abgeordneter
der Seealpen, auf dem Bankett der französischen und italieni-
schen Syndikate für die Eisenbahn von Nizza nach Coni in
italienischer Sprache eine Rede, in welcher er sich wie folgt
ausdrückte: „Bei dem Anblick dieser meiner theueren italienischen
LandSleute erbebt mein Herz vor Freude, und ich fühle in
mir alle meine italienischen Empfindungen und Wünsche wie-
dererwachen. Ich habe daS feste Vertrauen, daß in einem nicht
fernen Zeitpunkt unser schönes Nizza, diese heldenmüthige Jphi-
genia, das Opfer der italienischen Unabhängigkeit, zu seinem
wahren Vaterlande zurückkehren wird. Ich für meinen Theil
wäre bereit, dafür alle meine Interessen und selbst meine Fa
milie aufzuopfern, obgleich Sie wissen, wie innig ich dieselbe
liebe. Wenn ich an einem schönen Tage nicht mehr auf der
Welt sein sollte, um die Rückkehr Nizza'S zum Mutterlande zu
begrüßen, so würden, dessen bin ich gewiß, meine Gebeine elek-
trisirt wiedererstehen, damit ich an dem gemeinsamen Feste theil-
nehmen könne." Diese offenbar vorbedachte Rede hat in Paris
ein wahrhaft sprachloses Erstaunen hervorgerufen. Die Auf-
regung theilte sich auch dem Generalrathe mit, und in dem
Sitzungssaals war nur von dieser unbegreiflichen Ausschreitung
deS Hrn. Piccon die Rede. Die „Presse" und die „Patrie?
sind voller Entrüstung über diesen Vorfall; daS „UniverS"
wiederum voll Schadenfreude; das Organ des Hrn. LouiS
Veuillot erinnert daran, daß dieser selbe Hr. Piccon im März
187t der erste gewesen war, vVn der Tribüne der National-
Versammlung herab gegen die seinem Departement zugefchriebe-
nen separatistischen Tendenzen Verwahrung einzulegen. D«$
„Bien public" nennt die Meldung der „Opinion nationale"
eine „betrübende und jammervolle Neuigkeit."
Volkswirthschastliches.
Der Weinstock und der Wein, (in.)
Auf der entgegengesetzten Seite von Blatt und Auge aber
in gleicher Höhe sitzt am Knoten 3) eine Ranke oder eine
Traube und zwar ohne Gelenk, während, wie in der AbHand-
Handlung der letzten Nummer bemerkt wurde, die andern am
Knoten sitzenden Theile: Blatt und Auge mit Gelenken anhaf-
ten. Deßhalb kann Ranke oder Traube nie vom Blatt oder
Auge stumpf abgebrochen werden, sondern fasern beim Abbre-
chen aus. Im Herbste vertrocknen Ranke oder Traubenstiel,
fallen nicht ab und werden erst im folgenden Jahre als spröde
Theile durch Bewegung und Wind abgestoßen. In Kürze
wiederholend findet man, daß sich die Weinstockbestandtheile an
einem Knoten durch folgende Kennzeichen unterscheiden lassen:
1. DaS Blatt sitzt mit einem Gelenke an, welches nicht
durchwächst, sondern an dem eS von selbst abfällt.
2. DaS Auge sitzt mit einem Gelenk an, welches ver-
wächst, aber nicht abfällt.
3. Die Ranke oder Traube sitzt ohne Gelenk an, die
Ansatzstelle vertrocknet und fällt nicht von selbst ab.
Einen weitern Theil des WeinstockeS bildet derZwe i g. Die-
ser entsteht auS der Wiederholung der Knoten. Die Ent-
fernungen zweier Knoten sind unter dem Zweige kleiner, nach
oben größer; im Allgemeinen von 3 bis 5 Zoll, jedoch auch
darunter und darüber. Auf der Seite, wo an dem einen Kno-
ten das Blatt sitzt, findet sich beim vorangehenden und fol-
genden die Ranke oder Traube. Die Zahl der Knoten ist sehr
groß an einem Zweige, in der Regel 25 biö 30, an stark trei
benden Sorten hat man schon 80 gezählt. An einem im.
Frühjahr ausgetriebenen Zweige sitzt aber nur eine beschränkte
Anzahl von Blüthen oder was gleichbedeutend ist, von Trau-
ben und zwar sitzen diese ziemlich tief an der grünen Ruthe,
fast ohne alle Regel. Die Ruthe beginnt mit 3 bis 4 leeren
oder nur mit kleinen Ranken versehenen Knoten, zeigt dann
zwei Trauben, dann einen ränkenleeren Knoten, dann die dritte
Traube, dann wieder Ranken, welche je weiter nach der Spitze
des Zweiges, um so größer werden. Die Anzahl der Früchte
an einer grünen Ruthe hängt von den Arten der Rebe ab.
Die Regel ist: zwei Trauben auS einem Auge, dann
auch drei bis fünf. Ueber fünf Trauben werden selten be-
obachtet. Nach einem warmen Vorjahre zeigen stch oft drei
Trauben an jedem Auge, wenn auch die Regel nur zwei war.
Betrachtet man nun, daß drei Trauben der mittlere Ertrag von
einem Auge sind, daß die ausgetriebene Ruthe aber 30 bis 70 "
Knoten bilden kann, so sieht man, eine wie große Menge Holz
und Laub der Weinstock bilden kann, die zur Gewinnung von
Trauben keinen Nutzen hat. So wie die Trauben vorzugsweise
an den tiefsten Knoten sitzen, ebenso kommen die längsten Ran-
ken an den obersten Knoten vor, wo daS Bedürfniß deS Sto
ckes nach Befestigung das größte ist. Berührt eine Ranke nur
leicht einen festen Körper, so krümmt sie stch von selbst nach