Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

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tüchtig zu machen. Die Deutschen machen in unserer Men na- 
tionalen Beschäftigung einen neuen Anfang, der viele Vortheile 
bietet. Weder vom wissenschaftlichen noch vom wirtschaftlichen 
Standpunkt auS betrachtet ist England in der Lage, mit Ge 
ringschätzung auf die Erfahrung zu blicken, welche sie auszu- 
weisen haben, und eS ist zu hoffen, daß die Mittheilung dieser 
Erfahrung eine bereits wohlbegründete Gemeinschaft nationaler 
Ziele und Interessen noch weiter fördern wird." 
Die österreichische Nordpolexpedition. 
Bei der Begrüßungsfeier in der geographischen Gesellschaft 
in Hamburg haben die beiden Nordpolfahrer Weyprecht und 
Payer sehr interessante Vorträge gehalten, die wir einer Mit« 
theilung der Wiener „Presse" wie folgt entnehmen: 
Weyprecht, stürmisch begrüßt, dankte zuerst für den Em- 
pfang der ihm und seinen Genossen in Hamburg geworden, 
und fuhr dann fort: Wie bekannt war das Jahr 1872 be- 
züglich der Eisverhältnisse ein äußerst ungünstiges. Gegenden 
in welchen früher kein Stück Eis zu finden war und die voll- 
kommen offenes Wasser hatten, waren vor zwei Jahren mit 
Eis bedeckt. Schon 100 Meilen westlich von den Admirali- 
tätöinseln, wo die See sonst eisfrei war, stießen wir auf die 
EiSkättte. Dieselbe war zwar dünn aber fest, so daß wir 
unser Fahrzeug nur mit großer Mühe durch daS Landwasser 
durchzwängen und bis unter Nowaja Semlja gelangen konnten, 
wo wir anfangs einige Tage im Eis lagen. Aber mit einem 
Nordwestwind segelten wir dann im Landwasser nordwestlich. 
Am 12. Aug. 1872 wurden wir vom Grafen Wilczek und 
und Baron Stemegg auf dem „JSbjörn" begrüßt. Wir segelten 
hierauf am 13. August in guwettheiltem Eis, bis am nach- 
sien Morgen unser Schiff im Eis festlag. Wir hielten uns 
8 Tage unter dem Schutz eines kleinen Kaps bei der Baren- 
Insel. Ein frischer Südwestwind trieb das Eis so, daß das 
Wasser um unS bald besetzt, bald offen War. Am 21. Aug. 
traten wieder Veränderungen ein. Wir nahmen vom „JSbjörn" 
Abschied, der in östlicher Richtung abfuhr. Nachmittags ge- 
riethen wir in eine große Wacke, in der wir bis Mitternacht 
steuerten. Dann schloß ein Ostwind das Eis. Der Wind 
fiel, und das Schiff wurde mit Eis besetzt. Wir waren mit 
Wissen und Willen im Eis geblieben, da wir die trotz ungün« 
stiger klimatischer Verhältnisse gewonnenen zwanzig Seemeiten 
nicht verlieren wollten, und hofften östliche Winde würden daS 
Eis wieder öffnen. Statt des erwarteten Ostwindes traten 
aber Windstille und bedeutende Schneefälle ein: die Temperatur 
sank, auö dem losen Eise wurden EiSmassen, in denen wir 
drei Wochen festgehalten word.en sind. Am 9. Sept. brachen 
die Eismassen auf; ein frischer Nordwind trieb die Eisfelder 
und in? einem derselben den festgefrorenen „Tegetthoff" bald 
o^wärts, bald westwärts. Bei dem fortwährenden Sinken der 
Temperätur. war alle Arbeit das Schiff zu befreien, unnütz. 
Anfatt^S Oktober begannen die Eispressungen. Die Eisfelder 
trieben und stießen unter dem Einfluß deS Windes an einan 
der; in südlicher Richtung .vorübertreibend, rieben sie die Kan 
ten ab, und schoben sich über einander, wodurch Brüche ent- 
standen und gebirgige Formationen sich bildeten. DaS Eis 
feld, in welchem der ^Tegetthoff" eingepackt war, war dadurch 
immer kleiner geworden und am 13. Oktober geborsten DaS 
Schiff gerieth.dadurch in die größte Gefahr zerquetscht zu 
werden. ES wurde durch unter den Kiel geschobene EiSmas 
sen in die Höhe gehoben. Der Frost nahm mdeß immer mehr zu. 
Die Zustände dauerten fünf Monate; wir kamen nicht 
zur Ruhe. Bald fror daS Eis zusammen, bald öffneten sich 
Sprünge und verursachten neue Pressungen. Da die Gefahr 
wuchs, wurdAt Maßregeln zum zBerlassen deö Schiffes getrof- 
fen. Aller Proviant wurde auf Deck und einiges auf daS 
Eis gebracht, damit im Nothfall für kurze Zeit Nahrung vor- 
Händen fei. Das Schiff wurde abwechselnd gehoben oder seit 
lich geneigt. Die Unruhe und das Bewußtsein niemals in 
Sicherheit zu sein, waren geradezu aufreibend. Inzwischen 
wurden wir durch die Windströmungen stetS nördlich getrieben. 
Ende Januar hatten wir den 73. Langegrad und 79 Breite- 
grad erreicht. Hierauf ging die Bewegung wieder rückwärts, 
und begann ein westliches Treiben. Im Sommer 1373 wurden 5 
Monate auf vergebliche Bemühungen das Schiff aus dem Eise 
zu befreien verwendet. Alles Arbeiten, Sägen, Sprengen und 
Bohren war umsonst, ba um daS Schiff mächtige EiSmassen 
waren Wir sabrizirten eigene Bohrer, da die mitgenomme» 
nen Werkzeuge sich alS untauglich erwiesen. Endlich war der 
Vordertheil deS Schiffes doch in offenes Wasser gebracht, aber 
den rückwärtigen Theil zu befreien war unmöglich, da 30 Fuß 
unter dem Kiel noch festes Eis lag. Im September waren 
wir gezwungen die Arbeiten wieder einzustellen. Ende August 
1873 wurde zum erstenmal neues Land gesehen. Die Freude 
hierüber war eine außerordentliche denn bis dahin war die 
Expedition erfolglos gewesen. Diese Landentdeckung war daS 
erste greifbare Resultat deS monatelangen Herumtreibens. Wir 
wurden, nach Norden gedrängt, an die Südküste einer Insel 
angetrieben wo wir am Landeise festfroren. Mitte Oktober 
war der 80. Grad erreicht. Dann wurden wir aber wieder 
südlich getrieben, bis endlich das Schiff zu Ansang Novembers 
vollkommen bewegungslos bei 79^ 51' nördlicher Breite und 
58^ 56' westlicher Länge liegen blieb. Dort liegt das Sichff. 
noch heute. Im Sommer schmolzen von der Oberfläche der 
EiSmassen 4 Schuh. Dadurch gelangte des Schiff um 4 
Schuh tiefer, ^so daß es Ende deS Jahrs 1873 nur noch aus 
4 Schuh im Eise stack. ES lag aber auf der Backbordseite, 
und mußten alle Masten gestützt werden damit eS nicht ken- 
tere. ES wurde für die festen Instrumente eine Schneehütte 
gebaut, und begann eine Serie höchst interessanter, metereolo- 
gifcher, astromischer und magnetischer Beobachtungen. Die 
Nordlichter waren zahllos und unbeschreiblich prächtig die 
Herrlichkeit ihrer Farbenpracht und.ihres Farbenwechsels. Ihr 
Feuer erglänzte weiß, grün und roth; Strahlenkranz, Bänder 
und Kronen waren von ungeahnter Größe und Schönheit. 
Die Magnetnadel war so gestört, daß sie gar nicht konstant 
blieb, sondern Unruhe für sie Regel war. Die Beobachtun- 
gen boten hinreichende Beschäftigung für den Winter. Im 
übrigen verlief derselbe ruhig. Im nächsten Frühjühr 1874 
begannen die Schlittenexpedittonen. Ende Februar wurde im 
Offiziersrath nach Untersuchung deS Schiffes und Aufnahme 
eines Protokolls die Verlassung des Schiffes beschlossen, so 
lange die Mannschaft Kraft genug besaß die Gefahren und 
Mühseligkeiten eines Rückzugs zu bestehen. Dieselben drohten 
sehr groß werden. Die Vorbereitungen wurden mit aller Um- 
sicht 'getroffen; drei Boote mit Zelten überdeckt, derart auSge- 
rüstet, daß eventuell jedes allein bestehen könne. Sie wurden 
auf Schleifen gesetzt, und jedes Boot mit 18 Zentner Provi 
ant beladen. Am 20. Mai waren die Vorbereitungen been- 
digt, und um 8 Uhr Abends wurde der Marsch angetreten. 
Der Weg war fürchterlich. Wir mußten uns durch HamochS 
durchwinden, im Schnee kriechen, Thäler zwischen Eisbergen 
durchwandern, wobei oft einzelne eingebrochen sind. Die 
Schlitten mußte man im weichen Schnee tragen und dabei auf 
den. Händen und Füßen sich fortbewegen. Oft .sind die 
Schlitten derart eingesunken, daß die Befreiung nur unter 
dem größten Kraftauswande möglich war. Hiebet haben wir 
furchtbar vom Frost gelitten. Jeden Weg mußten wir fünf 
Mal machen, drei Mal Gepäck tragend, zwei Mal leer gehend. 
Bei der größten Anstrengung wurde täglich nur eiste halbe 
Seemeile zurückgelegt. Nach 14 Tagen, am 3. Juni, waren 
wir nur 7 Seemeilen vom ^Tegetthoff" entfernt, hatten die 
Grenze des FestlandeiseS erreicht, und Treibeis angetroffen, so 
daß weder Boote noch Schlitten benutzbar waren. ES mußte 
ein viertes Boot vom Schiffe geholt werden, so daß wir. erK
	        

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