Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1874)

Liechtensteinische 
Aweiter Jahrgang. 
Vaduz, Freitag 
Nr. 30. 
den 24. Juli 1874. 
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werden franco erbeten an die Redaction in Vaduz. 
Politische Rundschau. 
Deutschland. . Die Spalten der deutschen Presse sind qe- 
füllt von Detailberichten und -Betrachtungen über daS „Kis- 
stnger Attentat" und in den bayerischen Blättern spricht stch 
laute Freude darüber aus, daß der Attentäter kein Bayer ist. 
Die Warnung der „Köln. Zeitg." vor voreiligen Urtheilen über 
die Motive deS Verbrechens und weiterer Komplicität hat jedoch 
bei manchen liberalen Blättern nicht die verdiente Würdigung 
und Beherzigung gefunden, indem verschiedene Stimmen, der 
Untersuchung vorgreifend, die ultramontane Partei jetzt schon 
laut der direkten intellektuellen Urheberschaft und Mitschuld be- 
zichtigen. DaS Hauptorgan der Ultramontanen in Deutschland, 
die „Germania" äußert sich über daS Attentat: 
„Ganz Deutschland, ohne Unterschied der Parteien, wird 
einig sein in der tiefsten Entrüstung über den nichtswürdigen 
Verbrecher, der die Hand zum schnöden Meuchelmord eihebt 
Die Weltgeschichte hat der Mordthaten und Mordversuche, die 
auS politischem Hasse hervorgegangen sind, leider nur zu viele 
aufzuweisen; aber dadurch wird nicht im Geringsten die Ab- 
scheulichkeit dieses Verbrechens vermindert. Und erst recht darf 
man über ein solches Unterfangen entrüstet sein, wenn Jemand, 
der anscheinend auf dem Boden deS Christenthums steht und 
vielleicht sich sogar einbildet, für Glauben und Kirche wirken 
zu wollen, von Leidenschast oder Ehrgeiz sich soweit verblenden 
läßt, daß er alle Rücksichten auf die Lehren seines Glaubens 
mißachtet und zu dem schwersten Verstoß gegen die göttliche 
Weltordnung hingerissen wird. Wir wissen nicht, in wie 
weit die Andeutungen in Depeschen über die Zugehörigkeit 
KullmannS zu einem katholischen Vereine, über feinen „verdäch' 
tigen Verkehr mit einem katholischen Priester" und über die 
Verhaftung eineS Geistlichen richtig sind, und wir warten auch 
dieferhalb die aufklärenden Gerichtsverhandlungen ab. Es ist 
nicht undenkbar, daß durch die großartige Verfolgung unserer 
Kirche sich in einzelnen Individuen eine Summe von Leiden- 
schast, Haß und Wuth ansammelt, die schließlich in der gröbsten 
Auflehnung gegen alles göttliche und menschliche Recht zum 
Ausbruch kommt; aber undenkbar ist es, daß ein ruhig denken- 
der Mann ohne Weiteres einer Partei den Exzeß eines oder 
auch einiger 'Individuen, die stch zu dieser Partei zählen, zur 
Last legt; denn daß unter 14 Millionen Katholiken sich viel- 
leicht ein Rasender oder ein mit herostratischem Größenwahn- 
sinn versehener Narr befindet wird dem Fürsten Reichskanzler 
selbst wohl nicht so ungeheuerlich erschienen sein. Ein Theil 
der Presse wird natürlich trotzdem kein Bedenken tragen, die 
Schuld deS Einen der ganzen Partei aufzuhalsen oder gar der 
Kirche, welche in ihrer Moral ein derartiges Verbrechen zu den 
größten zählt." 
Die „KölM-DW^- wieder holt mit allem Nachdruck ihre 
Warnung vorZMeiliKen und ungerechten Urtheilen. „Es ist," 
schreibt sie, „bis auf den heutigen Tag eine auS grauer Vor- 
zeit herübergekommene Sitte oder vielmehr Unsitte in politischen 
und religiösen Parteien gewesen, ein von einem Mitglied? der 
Gegenpartei begangenes Verbrechen, dem nur einigermaßy! 
religiöse oder politische Beweggründe untergeschoben werden 
konnten, zu einer Verfolgung der gesammten gegnerischen Partei, 
zu einer Achterklärung wider die gegnerischen Grundsätze und 
Anschauungen ganz im Allgemeinen auszunutzen." 
Wie ein Extrablatt zum „Magdeb. Tagblatt" mittheilt, ist 
der Attentäter Eduard Kullmann in Neustadt-Magdeburg ortS- 
angehörig und von katholischen Eltern geboren. Sein Vatex, 
ein harmloser Mann, ist Fisckwaarenhändler. Eduard Kull- 
mann erwieS sich schon in der Lehre bei einem Böttchermeist<?r 
als frecher Bube, ging viel mit Pistolen um und way wegen 
roher Thatlichkeiten bereits schon im letzten Herbst in Magde- 
bürg mit Gefängniß bestraft worden. Schon zu Pfingsten d. IS. 
soll sich Kuttmann in der Werkstatt der Gebr. Welsch in d?r 
Neustadt geäußert haben, daß er nach Berlin reisen und he« 
Fürsten Bismarck ermorden wolle. Nach einem gestrigen Ä- 
legramm der „Köln. Ztg." auS Kissingen ist durch weitere irr- 
quisitorische Erhebungen festgestellt, daß Kullmann wirklich ge- 
gen Pfingsten 14 Tage in Berlin verweilte, um seinen Mord- 
«»schlag gegen den Fürsten Bismarck auszuführen. — AuS An- 
laß deS Attentats theilt die „Spen. Ztg." eine scherzhafte 
Aeußerung mit, die der Fürst vor zwei Jahren in einer parla- 
mentarischen Abendunterhaltung that. Als die Rede auf die 
Gefahr kam, in welcher er während des französischen Krieges 
schwebte, indem er sich in dem furchtbar aufgeregten Lande 
unter Beiseitelassung aller Vorsichtsmaßregeln der Möglichkeit 
eines meuchlerischen UebersalleS aussetzte, äußerte darauf BiS- 
marck, sein Leben stehe in GotteS Hand und er sei stetö bereit, 
dasselbe der Sache Deutschlands zu opfern. „UebrigenS/ 
fügte er hinzu, „gebe eS Meuchelmörder leider auch im Frieden 
so gut wie im Kriege. Es wäre vielleicht auch gar keine üble 
Einrichtung, wenn man, wie für daS Wild, auch für exponirte 
Minister eine Schonzeit einführte, während der nicht auf sie 
geschossen werden dürfte, dann wüßte man doch woran man 
wäre." 
Oesterreich Die vortrefflichen Ernte-Aussichten steigen 
den Ungarn zu Kopfe. Vor einem Jahre mußten Angesichts 
der herrschenden Noch die Getreidezölle jeweilig suSpendirt wer?- 
den und daS Land fühlte sich wohl dabei. Jetzt, wo ein rei- 
cher Erntesegen in naher Erwartung steht, besorgen die Ma< 
gyaren, die freie Einfuhr fremden Getreides könne die Preise 
zu sehr drücken, und so haben sie denn einen eigenen Beam- 
ten ihres Finanzministers nach Wien abgeordnet, damit dieser
	        

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