Volkswirthschastliches.
Der Weinstock und der Wein. (Vlll.)
Der Schnitt des Weinstocks und seine Erziehung.
(Frei bearbeitet mit Verwerthung von Studien aus Mohr'S
und Bados Schriften.)
Mr kommen nun zum Schnitte der Trag reden,
welche eigentlich den Zweck deS RebstockeS erfüllen.
Diese fitzen immer am obersten Theile deS Stockes, inso-
ferne keine Verjüngung desselben vorgenommen wird. Pei ei-
nem kräftigen Weinstocke werden gewöhnlich zwei der passend-
ften Tragreben angeschnitten. Die stehenbleibenden verkürzten
Reben heißen wir Schenkel, daher auch der Name Schen
kelstock. AlleS übrige einjährige Holz wird als überflüssig knapp
am alten Holze mit der Scheere weggeschnitten. Wie viele
Augen an jedem Schenkel stehen bleiben sollen, dafür haben
wir keine eigentliche Regel. Lei uns sind nur 3—5 Augen
gebräuchlich. In vielen Weingegenden aber, wo man mehr
aus ein großes Quantum als auf die Güte deS WeineS sieht
und die Reben auch besser im Dünger hält, werden 8—10
Augen gelassen. Die schwachtreibenden Sotten, welche ein
schwächeres Wurzelwerk haben, aber auch die edelsten Weine
erzeugen werden gewöhnlich kürzer geschnitten Zu diesen zäh-
len die hier einheimischen Burgunder und Klevner, dann der
weiße Rißling und Traminer welche kurz geschnitten in guten
Lagen die besten Weine liefern. Starktreibende Reben,
welche längere Äuthen machen, haben auch ein größeres Wur-
zelwerk; können also auch einen längeren Schnitt ertragen und
eine größere Anzahl Trauben ernähren und zur Reife bringen;
z. B. der weiße Räufchling (die Burgauer), die frühe blaue
Portugieser, Ortlinger, Sylwaner — ihre Weine sind wässri-
ger und gehaltloser. Diese Sorten, welche mit ihren langen
kräftigen Wurzeln in einem weiten Umfange deS BodenS ihre
Nahrung an sich ziehen, nehmen mit einem geringeren Boden
verlieb; in fetter Erde wird ihre Vegetationskraft zu sehr an-
geregt. Beim Schnitte sind also die Rebsorten dieser zwei
Klassen: schwachtreibende und starktreibende wohl
zu unterscheiden, indem die letzteren einen längeren Schnitt er-
trägen, als die ersteren. — Kurze Tragschenkel werden beim
Anbinden nicht gebogen; längere Schenkel mit 6—12 Augen
müssen am Stocke halb oder gapz gebogen werden. (Bo-
genreben) Am Drahtgeländer hat man Gelegenheit dieselben
aus der vertikalen Lage unter einem passenden Winkel von
20—-60° abzubinden und sie heißett die Anzug- oder Stockreben.
Senkt man sie aber noch tiefer, bis sie horizontal am Drahte
liegen, so nennt man sie Ausleger. — Wiederholen wir nun
der Uebersicht wegen die verschiedenen Benennungen der ge-
schm'ttenen Rebhölzer am Schenkelstocke, so unterscheiden wir:
1. Zapfen, Reserve- und Zuzugzapfen, mit nur 2 Augen,
meist unten am Stocke sitzend, mit der Hauptbestimmung
Zuchtruthen sür'S künftige Jahr zu erzeugen. Frucht-
bildung ist Nebenzweck.
2. Tragschenkel,
a. kurze Schenkel, mit 3 bis 5 Augen — theilS
. zur Frucht- und theilS zur Zuchtruthenbildung,
b. lange Schenkel mit 6 — 10 Augen, welche je
nach der Lage, in welche sie abgebogen erscheinen,
dann die Namen ganze oder halbe Bogen,
Strecker oder Anzugreben und Ausleger
erhalten. Fruchtbildung ist ihr Hauptzweck. Bei nie-
deren Reben, wo keine Zapfen nöthig sind, werden
aus den untersten Augen der Schenkel die Zucht-
ruthen gezogen; in diesem häufigen Falle erfüllen sie
zwei Bestimmungen zugleich, nämlich Frucht- und
Ä Zuchtruthenbildung.
Nach der Länge einer geschnittenen Rebe (Schenkel) un
terscheiden wir:
den Kwzschnitt,
den Mittelschnitt und
den Langschnitt.
ES bleibt uns noch zu bestimmen übrig, wie viele, kürzere
oder längere Schenkel an einem Weinstocke stehen sollen. Wie
i wir später noch näher erörtern wollen, hängt dieS nicht allein
j von der Entwicklung deS Weinstockes, die derselbe schon erreicht
! hat oder zu erveichen fähig ist , sondern auch von der Größe
i deS Raumes, welcher ihm angewiesen ist, sowie von der Frucht-
barkeit deS Bodens ab
, Man rechnet bei ganz günstigem Boden höchstens 72 bis
j 84 Augen auf 1 Wiener Klafter Eine dichtere Bepflanzung
blingt keine Vortheile. Bei uns kommen im Reihensatze mit
26 W -Zoll Distanz, 7 y 2 Reben auf 1 Klafter, daher wären
unter günstigen Verhältnissen mehr als 10—-12 Augen per
Stock nicht räthlich.
Wollen wir schöne kräftige Zuchtruthen für'S Nächste Jahr
ziehen, so schneiden wir kurz, laufen dabei aber Gefahr Heuer
wenig Frucht zu erhalten. Wollen wir viel Frucht bekommen,,
so müssen wir lang schneiden; wir werden dann aber um so
schwächere Zuchtruthen für das folgende Jahr erzeugen ujidi
oft auch die Form deS <5tode& beeinträchtigen. Bei Stöcken,
welche zu ihrer Fruchtbarkeit den Lang schnitt erfordern, muß
man einen Mittelweg einschlagen. Man muß an jedem Stocke
(oder an jedem Seitenaste bei größeren Stöcken) eme tiefer
stehende Rebe mit 2 Augen und eine höher stehende mit 8—-
12 Augen zu Bogen oder Ausleger stehen lassen. DaS untere
Holz tragt zwei schöne Zuchtruthen sür'S nächste Jahr, von
denen dann die untere Ruthe (Zapfen) wieder mit 2 Augen
und die obere (Tragschenkel) lang zu schneiden ist. DaS alte
Fruchtholz wird als unnütz knapp vom Stocke abgeschnitten.
Auf diese Weise werden die drei Anforderungen der Be-
ständigkeit, der Form und der Erzeugung von schönem Holz
und schönen Früchten völlig erfüllt.
Aber auch beim Kurzschnitt eines SchenkelftockeK mit
normaler Größe ist eS zweckmäßig 2 Hölzer oder Reben stehen
zu lassen — nebst allfälligen tiefer am Stocke sitzenden Zapfen,
welche wenn nöthig zur Verjüngung der Rebe stehen bleiben.
Jeder Stamm (oder Hauptast bei Spalieren und größeren
Stöcken) soll immer 2 Reben haben, auf welche er den Saft
leitet. Die untere Rebe wieder mit 2 Augen für die Holzer-
zeugung, die obere mit einigen Augen mehr zur Fruchtbildung.
So wiederholt sich die gleiche Operation alle Jahre, bald kür-
zer bald länger im Schnitte.
Der Schenkel für die Zuchtruthen muß senkrecht gebunden,
der längere Tragschenkel aber muß mehr abwärts gebogen und
in dieser Lage befestigt werden, um die Saftströmung zu ver-
langsamen und auf alle Triebe gleichmäßiger zu vertheileck
Wenn wir nun im günstigsten Falle aus jedem Auge im
engen Reihensatze mit 26" Distanz 2 Trauben produzieren, so
könnte ein guter Rebstock 12 bis 30 Trauben tragen. Selten
aber besteht ein Weinberg aus lauter kräftigen Reben, so daß
die Durchschnittszahl des erzielbaren TraubenquantumS in eine»
guten Jahre wohl mehr als um die Hälfte kleiner ist.
Rechnen wir einen Schoppen Wein als JahreSertrag auf
einen Weinstock, fo bekommen wir auf 100 Klafter (ä Klafter
36a') 748 Schoppen oder 187 Maß Wein, rvozu eine vor-
zügliche Ernte nöthig ist. Zu einem Schoppen Traubensaft
find aber wenige mittelgroße Trauben erforderlich.
Jede Gegend hält ihre Art Schnitt und Erziehung für die
beste. Manche beschränken die Menge der zu erwartenden
Frucht aus ein sehr kleines Maß, um die Früchte recht edel zu
bekommen und andere lassen lange Reben stehen und ernten
zahlreiche Trauben. Außer der Meinung *>er Menschen hat
die Natur des BodenS einen besondern Einfluß, so daß man
allmälig in jeder Gegend diejenigen kleinen Abweichungen an-
nimmt, welche der Oertlichkeit am besten entsprechen. Die Grund-