Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1873)

Liechtensteinische 
Vaduz, Freitag 
Nr. 19. 
dm 30. Mai 1873. 
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werden franco erbeten an die Redaction in Vaduz. 
A v i 
Wir ersuchen hiemit unser«' verehrlichen Abonnenten, die 
mit dem Abonnementsbetrage noch im Rückstände find, den- 
selben an die betreffenden Briefboten \u entrichten. 
Auslandlichen Abonnenten bemerken wir, daß wir Ende 
dieses Monats den Betrag per Postnachnahme erheben werden. 
Vaduz, den 27. Mai 1873. 
Die Redaktion der liechtenst. Wochenztg 
Vaterländisches. 
Vaduz, den 27. Mai Der Wonnemonat Mai scheint 
dieses Jahr ein recht launiger Wonnebringer zu sein, denn 
Sonnenschein und Maienduft, Peitschregen und Sturmwind 
tanzen Tag um Tag ihren Reigen, als ob sie leibhaftige Ge 
schwister wären. Und gerade heute, wo der Leseverein von 
Vaduz dem Mai zu Ehren einen AuSstug nach Bludenz ver 
anstalten wollte, peitscht der Regen an die Scheiben, daß jeg« 
licher froh ist, innerhalb 4 Mauern über die Launen des wun. 
derschönen Monat Mai sich argern zu dürfen. 
An einem solchen Tage unter deS HauseS schirmender 
Dachung macht der Mensch gerne Gedankenspähne über Ver 
schiedenes, so auch über den Leseverein in Vaduz 
Unter allen jenen Vereinen, welche seiner Zeit wie Pilze 
aus unserem vaterländischen Boden herausgewachsen sind, ist 
der Leseverein in Vaduz derjenige, welcher am längsten seine 
Lebensfähigkeit bekundet. Wenn auch sein Name den ursprüng- 
lichen Zweck seiner Entstehung angibt, so hat ihm doch daS 
bäu,fige Zusammenkommen vaterländisch gesinnter Männer zur 
Zeit der Entstehung unserer Verfassung durch Wort und That 
eine höhere Weihe, eine größere Bedeutung verschafft. Man- 
ches wackere Wort, mancher richtige Gedanke ist innerhalb 
dieses Vereines zum Austausche gekommen und lebt heute noch 
fort in Verfassung und Gesetz Das gemeinsame Streben nach 
Volks Wohlfahrt hat im Vereine Herz und Mund geöffnet und 
als natürlichen Gespan geselliges Leben hervorgebracht. DaS 
war damalS; aber jetzt? Hier paßt ein Vergleich Wie die 
uns umgebende Natur ihren Frühling, Sommer, Herbst und 
Winter hat, so scheint auch dieser Verein ähnliche Wandlungen 
durchmachen zu müssen. Dasjenige, was viele seiner Mitglie- 
der gewollt, das Zustandekommen und die glückliche Ausbildung 
unserer Verfassung, ist erreicht worden, der fruchtbringende Herbst 
war gekommen, nun folgte ein Winter der Ruhe. Aber nimmer 
ruhen soll der Mensch, „Vorwärts" ist die Losung der Zeit. 
So muß auch für diesen Verein der Frühling wiederkehren, 
sonst „warte nur, warte nur, balde, balde schläfst auch du 
ein!" und uns bliebe dann das schwere Verhängniß, auch den 
Verein in t>it Gruft anderer schon im zarten Kindesalter selig 
entschlafener Vereine beizusetzen, Um dem Vereine eine neue, 
lebensfrische Anregung zu geben, ist im Vereine selbst beschlos- 
sen worden, von Zeit zu Zeit öffentliche Vorträge über allge- 
meine, die Landesinteressen berührende Gegenstände zur gegen- 
seitigen Anregung und Ausbildung abzuhalten; doch die Wänve 
haben keine Ohren, d. h. die Anzahl von teilnehmenden Mit- 
gliedern ist zu gering. Namentlich muß es Jeden, welcher die' 
VereinSthätigkeil von dieser Seite auffaßt, betrüben, wenn er 
wahrnimmt, daß das bürgerliche Element sich nach und nach 
aus dem Vereine gemacht hat. Der kernige, praktische Gedanke 
des schlichten Bürgers kommt dem Manne aus der gebildeten 
Klasse ebensowohl zu statten, wie umgekehrt der gemeine Mann 
den gebildeten benützen muß. In jedem Lande, welches sich 
einer gedeihlichen Fortentwicklung seiner Zustände erfreut, gibt 
Feuilleton. 
Meister Martin, der Kiifner, und seine Gesellen. 
Novelle von E. T. A. Hoff m a n n. 
(Fortsetzung.) 
Nachdem Friedrich dies Lied gesungen, zog er aus seinem 
Reisebündel ein Stücklein Wachs hervor, erwärmte es an seiner 
Brust, und begann eine schöne Rose mit hundert seineu Blättern 
sauber und kunstvoll auszukneten. Während der Arbeit summte 
er einzelne Strophen aus dem Liede vor sich hin, das er gesun- 
gen, und so ganz in sich selbst vertieft, bemerkte er nicht den 
hübschen Jüngling, der schon lange hinter ihm stand und emsig 
seiner Arbeit zuschaute. „Ei mein Freund" fing nun der Jung- 
ling an, „ei mein Freund, das ist ein sauberes Stück, wqs ihr 
da formt." Friedrich schaute ganz erschrocken um sich; als er 
aber dem fremden Jüngling in die dunkeln, freundlichen Augen 
sah, war es ihm, als kenne er ihn schon lange; lächelnd erwie- 
derte er: „Ach, lieber Herr, wie möget Ihr nur eine Spielerei 
beachten, die mir zum Zeitvertreib bleut auf der Reise." „Nun," 
fuhr der fremde Jüngling fort, „nun, wenn Ihr die so getreulich 
nach der Natur geformte zarte Blume eine Spielerei nennt, so 
müßt Ihr etit gar wackrer geübter Bildner sein. Ihr ergötzt 
mich auf doppelte Art. Erst drang mir Euer Lied, das Ihr nach 
der zarten Buchstabenweis Martin Häscher's so lieblich absauget, 
recht durch die Brust, und jetzt muß ich Eure Kunstfertigkeit im 
Formen hoch bewundern. Wo gedenkt Ihr denn noch heute hinzuwan 
dern?" „Das Ziel," erwiederte Friedrich, „das Ziel meiner 
Reise liegt dort uns vor Augen. Ich will nach meiner Heimath, 
nach der berühmten Reichsstadt Nürnberg. Doch die Sonne ist 
schon tief hinabgesunken, deshalb will ich im Dorfe unten über- 
nachten, morgen in aller Frühe geht's dann fort, und zu Mittag 
kann ich in Nürnberg sein." „Ei," rief der Jüngling freudig, 
„ei, wie sich das schön trifft, auch ich will uach Nürnberg. Mit 
Euch übernachte ich auch hier im Dorfe, und dann ziehen wir 
weiter. Nun, laßt uns noch eins plaudern." Der Jüngling Rein- 
hold geheißen, warf sich neben Friedrich in's Gras und fuhr dann 
fort: „Nicht wahr, ich irre mich nicht, Ihr seid ein tüchtiger
	        

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