Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1873)

Liechtensteinische 
Vaduz, Freitag Nr. 17. den 16. Mai 1873. 
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werden franeo erbeten an die Redaction in Vaduz. 
Der Zustand der Volksbildung in den euro- 
päischen Staaten. 
Auf der niedrigsten Stufe der Volksbildung steht Ruß- 
land, wo von 1000 Bewohnern nur 4 des Lesens und Schrei- 
benS kundig sind. In Polen sind es etwa 9%, welche sich 
der Kunst des LesenS und Schreibens erfreuen. Mit Polen 
auf derselben Stufe stehen Rumänien, Spanien, Portugal und 
jener Theil Italiens, welcher früher den Kirchenstaat bildete. 
Besser, aber nicht etwa gut, steht eS mit der Volksbild 
ung in Italien, Griechenland und Oesterreich-Ungarn. In 
Italien können, besonders im Süden, 74% nicht lesen unv 
schreiben. Oesterreich-Ungarn hat sehr verschiedene Bildungs- 
Verhaltnisse in seinen einzelnen Ländern. Wahrend in der 
Bukowina von 100 Kindern nur 10, in Dalmatien 13, in 
Galizien 16 und in Kroatien 20 die Schule besuchen, erfreuen 
sich in Tyrol fast sämmtliche Kinder, in Mahren 99, in Ober- 
und Niederösterreich 98 und in Steiermark 80 % deS VolkS- 
schulunterrichteS. In Kärnten besuchen nahe 80 % die Volks 
schule. Im Königreiche Ungarn geben Einige 44%, Andere 
61 % der Schulpflichtigen als schulbesuchend an. Sehr charak- 
terisirend für die Schulzustände Ungarns ist es, daß vor einem 
Jahre noch sich dort einige Lehrer fanden, die wohl lesen, aber 
nicht schreiben konnten. 
Dr. Richard Andree beweist an der Hand militärischer 
Berichte, daß im Jahre 1865 von den in Oesterreich abge- 
stellten Rekruten in Kram nur 3^, in Dalmatien 1 y 4 , in 
Galizien 4%, in Siebenbürgen 8%, in Kroatien 13, in Mah 
ren 45 3 / 4 , in Ungarn 25 %, in Tirol 36y 2 # in Böhmen 60^, 
in Schlesien 69^ und in Niederösterreich 83%% lesen und 
schreiben konnten. 
In Galizien hat mehr als die Hälfte der Gemeinden 
keine Schulen; dafür aber entfallen auf Galizien 23% der 
Verbrechen, 37% der Morde, 50% der TodeSurtheile deS 
ganzen KaiserstaateS. An der Volksbildung nimmt in Oester- 
reich größtentheilS der deutsche Stamm Antheil. Die Deutschen 
in Oesterreich brauchen jährlich 951,000 Schulbücher, während 
die übrigen Nationen zusammen nur 1 Million brauchen. 
In Großbritanien (England) beträgt die Zahl der Nicht- 
unterrichteten 50 %. In Belgien, daS uns so oft als Muster- 
staat vorgehalten wurde, sind mehr als die Hälfte der Bewoh- 
ner deS LesenS und Schreibens unkundig. Von 760,000 
schulpflichtigen Kindern besuchen 160,000 keine Schule. Nur 
2,269,000 Belgier sind im Besitze der notdürftigsten Schul 
kenntnisse; 2,578,000 können weder lesen noch schreiben. In 
Frankreich schwankt die Zahl der Nichtunterrichteten zwischen 
30 und 75%; 800,000 schulpflichtige Kinder besuchen keinen 
Unterricht. 
Zu den Ländern mit gut unterrichteter Bevölkerung ge- 
hören die Schweiz, Deutschland, Holland, Dänemark, Schweden 
und Norwegen. Die Völksbildung ist in Deutschland ein 
Gemeingut der Nation. Ebenso ist in der Schweiz und in 
Dänemark selten ein Nichmnterrichteter zu finden. In Schweden 
und Norwegen kommt auf 1000 Personen nur eine, welche 
keinen Unterricht genossen. 
Ueberblickt man die Reihe der europäischen Staaten, so 
findet sich, daß die Länder mit Bevölkerung germanischer Ab- 
stammung die günstigsten Bildungsverhältnisse zeigen. Schmerz- 
lich aber muß eS jeden Volksfreund berühren, wenn er auS 
diesen statistischen Angaben .sieht, daß % der Bewohner 
Europa's ohne Unterricht verkümmern müssen. 
Nach dem Kärntischen Schulblatt. 
Feuilleton. 
Meister Martin, der Küfner, und seine Gesellen. 
Novelle von E. T. A. Hofsmann. 
(Fortsetzung.) 
Spangenberg versuchte, indem er wieder seinen Platz einnahm, 
ein heitereö Gesicht anzunehmen, und Paumgartner brachte andere 
Dinge aufs Tapet. Aber wie es geschieht, daß die einmal 
verstimmten Saiten eines Instruments sich immer wieder verziehen, 
und der Meister sich vergebens müht, die wohltönenden Accorde, 
wie sie erst erklangen, aufs neue hervorzurufen, so wollte auch 
unter den drei Alten nun keine Rede, kein Wort mehr zusammen- 
passen. Stangenberg rief nach seinen Knechten und verließ 
ganz mißmuthig Meister Martins Hans, in das er fröhlich 
und guter Dinge getreten. 
Die Weissagung der alten Großmutter. 
Meister Martin war über daS unruhige Scheiden seines alten 
wackern Kundmanns ein wenig betreten, und sprach zu Paum- 
gartner, der eben das letzte Glas ausgetrunken hatte, und nun 
auch scheiden wollte: „Ich weiß doch nun aber gar nicht, was 
der alte Herr wollte mit seinen Reden und wie er darüber am 
Ende noch verdrüßlich werden konnte." „Lieber Meister Martin," 
begann Paumgartner, „Ihr seid ein tüchtiger, frommer Mann, 
und wohl mag der was halten darauf, was er mit Gottes Hülfe 
wacker treibt und was ihm Reichthum und Ehre gebracht hat. 
Nur darf dies nicht ausarten in prahlerischen Stolz, das streitet 
gegen allen christlichen Sinn. Schon in der Gewerksversammlung 
heute, war es nicht recht von Euch, daß Ihr Euch selbst über 
alle übrigen Meister setztet; möchtet Ihr doch wirklich mehr ver- 
stehen von Eurer Kunst, als die Anderen, aber daß Ihr das ge- 
radezu ihnen an den Hals werfet, das kann ja nur Aerger und 
Mißmuth erregen. Und nun vollends heute Abend! — So ver 
blendet konntet Ihr doch wohl nicht sein, in Spangenbergs Reden 
etwas Anderes zu suchen, als die scherzhafte Prüfung, wie weit 
Ihr es wohl treiben würdet mit Euerm starrsinnigen Stolz. 
Schwer mußte es ja den würdigen Herrn verletzen, als Ihr in 
der Bewerbung jedes Junkers um Eure Tochter nur niedrige
	        

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