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sich 15 sofort bereit erklärt, Vertreter nach Bern zu senden.
Es bestätigt sich, daß Frankreich aus finanziellen Gründen, we-
nigstens für die nächste Zeit, seine Mitwirkung abgelehnt hat,
da es nicht daran denken könne, den Porto-Tarif demnächst
herabzufetzen Die türkische Regierung, welche bekanntlich in
der Erledigung von Geschäften etwas säumig ist, hat noch keine
Zeit gefunden, eine definitive Antwort zu erlheilen; doch glaubte
man bestimmt, daß dieselbe noch eintreffen und günstig lauten
wird. Die Erklärung Rußlands endlich war für die Idee des
Kongresses sehr sympathisch gehalten, hielt jedoch aus „äußer-
lichen Gründen" die Zeit des Zusammentritts für nicht sehr
geeignet und beantragte die Vertagung des Congresses. We-
gen der großen Wichtigkeit, welche Nußland hinsichtlich seiner
ungeheuren Ausdehnung für ein einheitliches Porto hat, befür-
wortete die deutsche Regierung beim Schweizer Bunde den Ler-
tagungkantrag des St. Petersburger Cabinets.
Seit einiger Zeit rumorte in den Blattern die Mähr, ein
böser deutscher Graveur habe auf die neuen schweizerischen 20
Fr. Stücke nur mit der Loupe wahrnehmbar den Kopf des
deutschen Kaisers in Gestalt eines Punktes oder Stern
chens eingeschmuggelt. Dann hieß es, der Punkt sei ein
Kindskopf, dann der Kopf des Graveurs. Nun ist es das
gewöhnliche Münzzeichen der belgischen Münzstätte, in der die
Stücke geprägt und überdies ist der Graveur kein Deutscher,
sondern ein Belgier.
Spanien. Emiiio Castelar, Spaniens großer Redner, ist
mit zwei Duttel Stimmen zum Präsidenten der Körles erwählt
worden. In seiner Antrittsrede hält er am föderalistischen
Prinzip fest und verwirft die Diktatur. Dagegen dringt er
energisch auf die Wiederherstellung der Ordnung und Unter-
drückung jeder Empörung.
Die Ka» listen sind in mehreren Treffen geschlagen worden;
das bedeutendste ist die Niederlage, welche ihnen der General
Santa Paul bei Arroniz in der Nähe von Estella (Provinz
Navarra) beigebracht hat. Die Belagerung von Estella hatten
die Karlisten aufgeben müssen, dagegen hatten sie in der Nahe
dieser Festung eine befestigte Stellung eingenommen. Die Ver-
lüfte, weiche sie erlitten, waren bedeutend, aber eben so groß
die der republikanischen Truppen.
Türkei. Der Aufenthalt des Schah von Perfien in
Konstantinopel, dem ein so glänzender Empfang vorauSgegan-
gen, endete in völliger Nichtbeachtung. Das Publikum nahm
gar keine Notiz von dem Gaste und der Sultan markirte seinen
höhern Rang m jeder Weise. Schon bei der Landung stieg
er zuerst in sein Ruderboot hinab und rief dann dem hinter
ihm Wartenden mit brüsker Geberde zu: „So komm doch!"
Wer dem Schah auch nur nachfrug, gab sich als Europäer zu
erkennen und galt als Maulaffe.
Diesmal ließ sich Hans Grützner nicht lange bitten, da er
noch größere Erle als sein Gebieter zu haben schien. Wie der
Blitz fuhr er mit seinen Armen in den grauen Kommismantel
setzte er die alte Soldatenmütze schief auf das kurz geschorene
Haupt und stürzte fort nach dem Hause, vor dem die eben an-
gelangte Feldpost hielt
Hier war ein Drängen und Treiben, wie es sich gar nicht
beschreiben läßt. Offiziere und Gemeine, Infanteristen und Ka-
valleristen warteten mit Sehnsucht auf die Bertheilung der einge-
gangenen Nachrichten aus der Heimath. So manche Hand die
vor dem Feinde nie gezittert, bebte jetzt, als sie das Siegel er-
brach' so manches Männerauge, das selten oder nie geweint,
füllte sich jetzt mit Thränen und über manches wilde, bärtige Ge-
ficht flog ein milder Freudenschimmer. Da stand der junge Soldat
und las den Brief seiner Mutter, deren Liebe nicht nur aus jedem
Worte, sondern auch aus den beigelegten blauen Wollensocken
sprach, die sie mit eigener Hand gestrickt und neben ihm der alte
Landwehrmann,' der die liebevollen, wenn anch unorthographischen
Zeilen seiner Frau und die Krackelfüße seiner Kinder mit Ent-
Amerika. In Massachusets, wo der Ausschank von Bier
nicht allein am Sonntag, sondern jederzeit vom Gesetz zum
Verbrechen gestempelt worden ist, wurden von der Zentral-
Distrikts-Curt in Worcester am 7. d. M. sechs deutsche Bier-
wirthe, die sich dieses Verbrechen zu Schulden kommen ließen,
zu 6 Monat Korrektionshaus und einer Geldstrafe von 100
Doll. verurtheilt, Dabei wurde noch vom Richter angeordnet,
daß die Verurtheilten dafür 1000 Doll. Bürgschaft stellen, daß
sie innerhalb eines Jahres sich nicht wieder desselben Verbrechens
schuldig machen; in Ermanglung der Bürgschaft aber haben
dieselben für die ganze Zeit in'S Gefangniß zu wandern. In
Chicago sind die Zustände auch nicht minder schön. Dort wendet
die Polizei ihre Kräfte nicht nur für strenge Durchführung der
Polizeistunde an Erst neulich trieb sie eine Gesellschaft von
Deutschen auseinander, indem sie dieselbe nach Ablauf der Poli-
zeistunde mit ihren Knüppeln bearbeitete und nach dem Polizei-
gewahrsam schleppte. Der Unwille der Deutschen gegen die
Polizei über diese Behandlung ist groß, und sie sagen, daß es
in Deutschland selbst in der schlimmsten Polizei- und Nacht-'
wächterSzeit nicht ärger gewesen sei.
Verschiedenes.
* Zn Weinselden (Ct. Thurgau) findet vom 5. bis 14
Oktober 1873 eine schweizerische landwirtschaftliche Ausstellung
statt. Das Unternehmen soll colossale Dimensionen angenom-
men haben. Die Viehausstellunq, ursprünglich auf 700 Stück
berechnet, zählt mehr als 1200 Anmeldungen. Daneben fin-
den sich landwirtschaftliche Erzeugnisse aller Art; ferner Ma-
schinen und Geräthe. Auch die Bienenvölker werden in Wein-
felven vertreten sein.
Bei der geringen Entfernung Weinfelvens ist auch den
unsrigen Landwirthen Gelegenheit geboten, die AusstellungS-
gegenstände in Augenschein zu nehmen.
* Aus - Mar seil l e wird gemeldet: „Die größte Thätig-
keit herrscht seit mehrere« Tagen in unseren Marseiller Häfen;
binnen 48 Stunden liefen 144 Schiffe mit Getreide ein. Die
hiesigen griechischen Häuser haben eine Anzahl Schiffe aus-
gerüstet, um weiteres Getreide in Odessa, in Taganrog und an
den Ufern der Donau zu holen. Was seit einem Monate an
Getreide gewonnen wurde, ist nicht zu berechnen. Die griechi-
schen Häuser, wie Scaramanja, Radcanschi, Rallt und Argenti,
legten Millionen zurück. Einfache Mäckler gewannen bis 20,000
Franken die Woche.
* In Wien ist das großartige Werk der Versorgung der
Stadt mit Quellwasser aus den steierischen Gebirgen,
an welchem seit 10 Iahren mit 21 Millionen Gulden Kosten-
aufwand gearbeitet wurde, in das vorletzte Stadium der Vollen-
dunq gelangt, Das Wasser brauchte 25^ Stunden, um die
zücken las. Endlich kam auch die Reihe an Freund Grützner,
der auf seine Anfrage etuen Brief erhielt, mit dem er zu seinem
Herrn eiligst zurückkehrte
„Nun wie steht's? fragte dieser, ungeduldig dem Boten die
Hand schon von Weitem entgegenstreckend.
„Es ist blos Einer gekommen," antwortete der Bursche
phlegmatisch.
„So gib doch her!"
„Nicht für Sie, Herr Lieutenant, nur ein Brief für meine
Wenigkeit."
„Was der Kerl für ein Glück hat" dachte der Offizier, der
seinen Diener im Stillen darum beneidete.
Die gelauschte Erwartung war eben nicht dazu angethan, die
gute Laune des Lieutenants zu verbessern. Verdrießlich starrte
derselbe durch die gefrorenen Fensterscheiben den rothen Abend-
Himmel an, während der Bursche einige abgebrochene Schemmel-
beine in den Kamin warf und das letzte Stearinlicht anzündete,
da es bereits in dem Zimmer dunkel geworden war.
(Fortsetzung folgt.)