rechts entscheidet der Staatsgerichtshof in beiden Fällen „in freier
Kognition“?2596,
Von zentraler Bedeutung ist aber auch die Frage, in welchem
Ausmass der Staatsgerichtshof die Völkervertragsrechtsmässigkeit
des Landesrechts in Normenkontrollverfahren überprüft. Diese Frage
betrifft vor allem die Art und Weise, in der die Anfechtungsmöglich-
keiten ausgestaltet bzw. den Einzelnen vom StGHG?9?7 zur Verfü-
gung gestellt werden.
Für eine Antwort auf diese Frage nach dem Prüfungsumfang ist
auf die Praxis des Staatsgerichtshofes in StGH 2002/84 einzugehen.
In diesem Erkenntnis hat der Staatsgerichtshof im Anschluss an
StGH 1999/14 und StGH 2000/33 und unter Berufung auf WilJe?998
erklárt, dass die LV und das StGHG „hinsichtlich der Überprüfung
der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und der Gesetzmaéssigkeit
von Verordnungen im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfah-
rens^ eine ,spezifische Überprüfungskompetenz des Staatsgerichts-
hofes"?599 vorsáhen. ,Insoweit^, d.h. im Rahmen dieser Zuständig-
keit (deren Grundlage der zweite Teilsatz von Art. 23 Bst. a SIGHG
ist), sei es „als Eintretensvoraussetzung nicht erforderlich, dass ein
Beschwerdeführer zusätzlich zur Normenkontrollrüge die Verlet-
zung eines anerkannten Grundrechtes geltend macht“2600,
Diese Erklärung des Staatsgerichtshofes dient — allem An-
schein nach — der Beseitigung einer Rechtsunklarheit, zu der es durch
seine Erkenntnisse in StGH 1999/14 und in StGH 2000/33 gekom-
men war?90!, Ihre Quintessenz besteht darin, zum Ausdruck zu brin-
gen, dass „der Staatsgerichtshof ... eine in einem Verfassungsbe-
schwerdeverfahren anzuwendende Norm von Amtes wegen oder auf
Antrag unabhängig davon auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen
(kann), ob diese Norm überhaupt den sachlichen Geltungsbereich eines an-
erkannten Grundrechts tangiert. Denn ein Gesetz erweist sich als ver-
fassungswidrig, wenn es gegen irgendeine Verfassungsnorm verstösst
2596 StGH 2002/84, n. publ., Pkt. 2.1 der Entscheidungsgründe, S. 17 des Entscheidungstextes.
Dass der Staatsgerichtshof in Normenkontrollverfahren in freier Kognition entscheidet, be-
deutet unter anderem, dass er in diesen Fállen über eine blosse Willkürprüfung hinausgeht.
2597 Art. 23, 24ff und 28 Abs. 2 SIGHO; siehe hierzu oben Pkt. 3.1.
2598 Wille (Normenkontrolle) S. 112.
2599 StGH 2002/84, n. publ., Pkt. 2.1 der Entscheidungsgründe, S. 17 des Entscheidungstextes.
2600 StGH 2002/84, n. publ., Pkt. 2.1 der Entscheidungsgründe, S. 17 des Entscheidungstextes.
2601 Siehe hierzu das 21. Kapitel Pkt. 2.3.
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