2.2
Rechtsfolgen einer Anwendung des Vorrangprinzips
Die Rechtsfolgen, die eine Anwendung des Vorrangprinzips nach sich
zieht, sind der Praxis des Staatsgerichtshofes ohne weiteres zu ent-
nehmen: In StGH 1998/9 — einem Fall, in dem es zu einem Normwi-
derspruch zwischen EWR-Sekundärrecht und einem formellen Ge-
setz gekommen war — heisst es, dass „das inländische Recht im
vorliegenden Fall ... nicht anwendbar (ist), da die erwähnte EWG-VO
als übergeordnetes Recht Platz greift?^98.
Diese Rechtsfolge, die vom Staatsgerichtshof als eine Auswir-
kung der ,Suprematie des EWR-Rechts"?^9? bezeichnet worden ist,
besteht — in Konfliktfállen — deshalb nicht nur im Verháltnis zum
EWRA, sondern auch im Verháltnis zu allen (anderen) vólkerrechtli-
chen Vertrágen auf der Rechtsquellenstufe der LV oder eines for-
mellen Gesetzes, weil der Staatsgerichtshof zwischen dem EWR- und
dem (anderen) Vólkervertragsrecht keinen Unterschied macht: , dem
EWR-Recht ... wie dem Vólkerrecht im Allgemeinen ... kommt im Für-
stentum Liechtenstein direkte Geltung (Durchgriffswirkung) zu'?500,
Dementsprechend führt eine Anwendung des Vorrangprinzips unab-
hàángig davon, um welchen vólkerrechtlichen Vertrag es sich im Ein-
zelfall handelt, zu ein- und derselben Rechtsfolge einer Unanwendbar-
keit des dem Vôlkervertragsrecht widersprechenden Landesrechts während
der Dauer der Normenkollision?901,
Diese Rechtsfolge ergibt sich aus der Praxis des Staatsge-
richtshofes nicht nur unmittelbar, sondern - und zwar unter den fol-
genden drei Gesichtspunkten — auch mittelbar:
e Sie ergibt sich erstens aus der Art und Weise der Ein- und
Durchführung des Vólkervertrags- im Landesrecht?992, die
dem auf der Lehre des Monismus' beruhenden System der au-
tomatischen Adoption entspricht?903 und die dazu führt, dass
Vólkervertragsrecht nach seinem (inner- bzw. zwischenstaatli-
chen) Inkrafttreten im Landesrecht ohne weiteres gilt (‚direkte
Geltung’ bzw. „Durchgriffswirkung“ 2504),
2498 StGH 1998/9, LES 3/1999 S. 183 (Kursivstellung durch den Verfasser).
2499 StGH 1998/9, LES 3/1999 S. 183 (Kursivstellung durch den Verfasser).
2500 StGH 1995/14, LES 3/1996 S. 122.
2501 Dahm/Delbrück/Wolfrum S. 103 sowie für die schweizerische Lehre unter der alten BV
Hangartner (Vólkerrecht) S. 663ff.
2502 Siehe hierzu das 6. Kapitel.
2503 StGH 1996/6, LES 3/1997 S. 151.
2504 StGH 1995/14, LES 3/1996 S. 122.
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