Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

18. KAPITEL: GRUNDSÄTZE FÜR DIE BEHEBUNG VON 
NORMENKOLLISIONEN 
Ausgangslage 
Dass in den Fällen einer Normenkollision zwischen dem Vólkerver- 
trags- und dem Landesrecht Rechtsklarheit darüber bestehen muss, 
nach welchen Grundsätzen die Gesetzgebungs- und die Vollzugsor- 
gane ihr Verhalten auszurichten haben, liegt auf der Hand. Allein, in 
Liechtenstein scheint diese Rechtsklarheit nach wie vor nicht zu be- 
stehen?937, Eine Antwort auf die Frage, welche Vorgaben für eine 
Behebung von Normenkollisionen auf der Ebene der Gesetzgebung 
und des Vollzugs bestehen, tut aus diesem Grunde not — wobei der 
erste Fall den Neben- und der zweite Fall den Hauptschauplatz bildet. 
2337 Ein Beispiel hierfür bildet die Entscheidung VBI 1997/85, Jus&News 2/1998 S. 186ff. In dieser 
Entscheidung hatte die VBI über einen Konflikt zwischen Art. 4 EWRA und Art. 28 EWRA auf 
der einen und Art. 180a Abs. 2 PGR auf der anderen Seite zu befinden; in Frage stand die 
Vereinbarkeit einer Einschránkung des gescháftsführenden Verwaltungsrates einer liechten- 
steinischen Verbandsperson mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 4 EWRA) und mit der Frei- 
zügigkeit (Art. 28 EWRA). In VBI 1997/85, Jus&News 2/1998 S. 191 hatte die VBI nach eige- 
ner Aussage ,zu prüfen, wie dieser Konflikt zweier (Gesetzesbestimmungen!' gelóst wird“ und 
erklárt: ,Gemáss dem Grundsatz, dass die lex specialis vorgeht, müsste Art. 180a PGR in 
seinem Wortlaut dem EWRA vorgehen. Das EWRA ist jedoch das jüngere Recht. Ausschlag- 
gebend ist jedoch der Rang des EWRA in der Rechtsordnung. Dem EWRA und damit Art. 4 
und Art. 28 Abs. 2 EWRA kommt zumindest übergesetzlichen Rang zu ... Somit ist den Be- 
schwerdefilhrern beizupflichten, dass Art. 180a Abs. 2 PGR dem EWRA derogiert bzw. dass 
Art. 180a PGR EWR-konform zu interpretieren ist“. Die Vorgehensweise, die in dieser Argu- 
mentation in Erscheinung tritt, greift auf eine Reihe von Lösungsmechanismen (wie auf eine 
Anwendung der klassischen Derogationsregeln, auf eine Anerkennung des Vorrangprinzips 
und auf eine völkervertragsrechts- bzw. EWR-rechtskonforme Auslegung) zurück, ohne sie in 
eine schlüssige Folge zu stellen. Zutreffend wäre es gewesen, die völkervertragsrechts- bzw. 
EWR-rechtskonforme Auslegung in einem ersten Schritt heranzuziehen, um festzustellen, ob 
ein echter Konflikt zwischen Art. 4 EWRA und Art. 28 EWRA einerseits und Art. 180a Abs. 2 
PGR andererseits besteht (oder durch einen Einsatz dieses Mittels ausgeschlossen werden 
kann), in einem zweiten Schritt das Vorrangprinzip im Verhältnis zwischen dem EWR-Recht 
und dem Landesrecht anzuerkennen und in einem dritten Schritt von einer Anwendung des 
dem EWR-Recht widersprechenden Landesrechts abzusehen. Siehe zu allem Becker 
(Schnittstellen) S. 141ff. 
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