zu der die Kontroversen in der Lehre!68? ebenso beigetragen haben
wie die Irritation der „dogmatisch wenig befriedigenden Überle-
gung“ 1690 des Staatsgerichtshofes in StGH 1995/21 (wonach „die
EMRK ... in Liechtenstein faktisch Verfassungsrang“ 1691 besitzt1692),
Wird auf eine Festlegung in diesem Zusammenhang verzichtet, wird
der spekulativen wenn nicht gar willkürlichen Beliebigkeit Tür und
Tor geöffnet. Dies hat sich — abermals im Rahmen der sog. Verfas-
sungsdiskussion — unmissverstándlich gezeigt!693,
Vor diesem Hintergrund ist an den Staatsgerichtshof zu ap-
pellieren, sich - im Rahmen einer Wahrnehmung seiner ,verfas-
sungsrechtliche(n) Leitfunktion”1694 — ohne Verzug zum Rangverhált-
nis zwischen dem Vólkervertrags- und dem Landesrecht auszuspre-
chen.
Tut er dies, hat der Staatsgerichtshof nicht nur festzustellen,
von welchen Kriterien bei der Rangbestimmung auszugehen ist, d.h.
welche Ordnungsprinzipien zur Anwendung zu bringen sind. Festzu-
stellen ist vor allem auch, unter welchen Voraussetzungen ein vólker-
rechtlicher Vertrag einen ,verfassungswesentlichen Inhalt" besitzt,
den man ,sogar als (über)verfassungsrangig ansehen (kónnte)"1695:
Um dem Umstand einer immer stárkeren ,nternationalisierung der
Verfassung/!996, wie er von Bruha/Büchel hervorgehoben worden ist,
Rechnung zu tragen, hat der Staatsgerichtshof der Lehre zu folgen
und zu bestátigen, dass die LV einen Verfassungs- und unter Umstän-
den sogar einen Überverfassungsrang volkerrechtlicher Vertráge aner-
kennt. Dass sich die liechtensteinische Verfassungsordnung — und
1689 In der Lehre erstrecken sich die der EMRK zugewiesenen Rangstufen auf das Spektrum
zwischen der Rechtsquellenstufe eines formellen Gesetzes — wie bei Hôfling (Menschen-
rechtskonvention) S. 214 — und eines Uberverfassungsranges — wie bei Batliner (Volksrechte)
S. 162.
1690 Hôfling (Menschenrechtskonvention) S. 214.
1691 StGH 1995/21, LES 1/1997 S. 28 (Kursivstellung durch den Verfasser).
1692 In StGH 2000/27, n. publ., Pkt. 2.1 der Entscheidungsgründe, S. 10f des Entscheidungstextes
und in StGH 2001/2, n. publ., Pkt. 3.1 der Entscheidungsgründe, S. 21 des Entscheidungstex-
tes hat der Staatsgerichtshof das objektive Recht, und zwar Art. 23 Bst. b StGHG, als eine Er-
klárung dafür genannt, dass er der EMRK in StGH 1995/21 einen faktischen’ Verfassungs-
rang zuerkannt hat: Deshalb, weil eine Verletzung der EMRK ,gleich der Verletzung eines
Grundrechts der Landesverfassung mit Verfassungsbeschwerde gerügt werden“ könne, habe
der Staatsgerichtshof „der EMRK ... faktisch Verfassungsrang zuerkannt“.
1693 Siehe Punkt E. der bei der Regierung im Namen S.D. des Landesfürsten eingereichten und
unter http://www.fuerstenhaus.li verôffentlichten Gegenäusserung vom 4. September 2002,
wo es (ohne irgendeinen Verweis auf Lehre oder Praxis) heisst, es sei „allgemein bekannt“,
dass der EMRK nur der Rang eines formellen Gesetzes zukomme.
1694 StGH 1995/20, LES 1/1997 S. 38.
1695 Kley (Verwaltungsrecht) S. 54.
1696 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 5.
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