Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Identität

es, dass ich nunmehr seit 35 Jahren in Liechtenstein zu Gast bin. Bei die- ser Rückschau kommt mir eine Szene in den Sinn, die ein gutes Viertel - jahr hundert zurückliegt: Es war ein sonniger Spätherbst-Tag. Über der Bündtner Herrschaft wölbte sich das schwermütige Blau eines föhnigen Herbsthimmels. Wir, eine kleine Runde von Tirolern, sassen in einem Weingarten und schlürf- ten rubinroten Fläscher, einen «wurzelechten» Wein, wie Kenner rau- nen. Wir blinzelten wohlig trunken über die herbstlich verfärbte Wein - land schaft und streichelten unseren Geist. Unsere Gesichter koste die Herbst sonne, unsere Gemüter erwärmte der Rebensaft. Von Sonne und Wein durchglüht, feierten wir die kleinen Gedanken, die – heiteren Vö - geln gleich – durch unser Gehirnganglien flatterten. Als sich zu fortge- schrittener Stunde nostalgische Wehmut breitzumachen drohte, ent- schlüpfte mir das folgende Wort: «Wenn Alemannen ihr angestammtes Heim verliessen, verdingten sie sich als Saisonarbeiter. Sie gingen für eine Weile in die Fremde, weil der Magen knurrte. Wenn jedoch Tiroler ihrer Heimat den Rücken keh- ren, tun sie es, weil ihr Hirn knurrt.» Dieses Bonmot begeisterte die Runde und steigerte die Lust auf weiteren Weingenuss. Wie ich damals heimkam, weiss ich nicht mehr. Bis heute aber weiss ich, dass vom Glück gesegnet ist, wem das Hirn knurrt, und dass es der Entwicklung und Ent faltung der Persönlichkeit gut tut, wenn wir beizeiten den heimi- schen Stall verlassen, den Stallgeruch abstreifen und beginnen, unser Le - ben als Gast einzurichten. Sein Dasein als Gast zu entwerfen, ist ein existentialphilosophischer Akt. Gast zu sein, ist keine Rolle, sondern eine Haltung. Das Leben ins- gesamt fordert zum Gast-Sein auf: Es lädt den Menschen zu einer – in des Wortes doppelter Bedeutung – einmaligen Reise im Raumschiff Erde, einem gastlichen Gefährt, sofern es pfleglich behandelt wird. Wer den Gast-Status verinnerlicht hat, darf sich den wunderbaren Luxus der Dank barkeit leisten. Er ist sich der Verpflichtung bewusst, dass alles, was er in Händen hält, nur ein Lehen ist, das er eines Tages in möglichst gu tem Zustand der Mitwelt zu hinterlassen hat. Die Haltung eines Gastes nötigt zur täglichen Standortbestimmung. Sie lehrt, objektiv zu gewichten und aus der Position distanzierter Schau zu wägen. Ein solcher Mensch verwahrt die Zeit, die kleine Zeit seines Lebens, mit kluger Sorgfalt und lässt nicht zu, dass über diese begrenzte Zeitspanne die Dämonen des Hasses 
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Als Ausländer in Liechtenstein
	        

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