Generation — nicht. nur nach vorne — sondern auch noch rückwärts gerichtet:
Angesichts der explosiven Kraft der Nationalitätenfrage erkannten die
gemässigten und ständischen Oppositionellen sehr bald, dass die Bewah-
rung und Erweiterung bisheriger traditioneller Rechte im Rahmen historisch
gewachsener Einheiten wie beispielsweise der Länder eine brauchbare Al-
ternative zum Nationalstaat hätte darstellen können. Ein weiteres anschau-
liches Beispiel für diese im wahrsten Sinn des Wortes revolutionären, näm-
lich zurückgewandten Vorstellungen bietet auch Venedig, welches 1848/49
seine traditionelle Adelsrepublik wiederhergestellt wissen wollte und kei-
neswegs nach einem geeinten nationalen Italien strebte.°2
Diese Visionen haben sich bekanntlich nach 1848 nicht mehr durchsetzen
können: der «Zug der Freiheit» bewegte sich von 1848 sehr klar in die
Richtung von Nationalstaat und Zensusvolk.® In dieser Hinsicht bedeutete
das Revolutionsjahr wohl eine entscheidende Weichenstellung.
Ein gesamtdeutscher Nationalstaat freilich war unter den Prämissen von
1848 noch nicht herstellbar — das bedeutete für die radikal-nationalen Re-
volutionäre von 1848 wohl die grösste Enttäuschung. Die Wiederherstellung
einer transnationalen, föderativen deutsch-österreichisch-italienischen Reichs-
struktur war unter denselben Prämissen nicht mehr möglich. Zu sehr haftete
solchen Visionen der Geruch des Reaktionären, Rückschrittlichen, Ständisch-
Aristokratischen an. Zwischen diesem «Noch nicht» und «Nicht mehr» mit-
teleuropäischer politischer Ordnung kam dem Jahr 1848 das Signum des
Scheiterns ebenso zu wie das der Geburtsstunde einer neuen Zeit.
So wurden die deutschen Staaten und vor allem Österreich mit seinen unter-
schiedlichen Nationalitäten 1848 mit der Hypothek entlassen, den revolu-
tionären Traum eines modernen National- und Zentralstaates erst erfüllen zu
müssen: Was für Österreich das Ende seiner staatlichen Existenz, für Deutsch-
land den preussischen Imperialismus mit sich gebracht hat — samt deren
Folgen im 20. Jahrhundert.
Wenn wir heute also das 150jährige Jubiläum von Freiheit und Gleichheit
feiern, so sollte nicht vergessen werden, dass der Preis für den demokra-
tischen Zentralstaat in Mitteleuropa der moderne Nationalismus gewesen
ist: Italien, Preussen, Ungarn traten in dieser Hinsicht bereits im späten
19. Jahrhundert das Erbe von 1848 an, die anderen Nachfolgestaaten der
Habsburgermonarchie folgten im 20. Jahrhundert, manche slawischen
Nationalitäten tragen an diesem Erbe bis heute.
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